Nachia erzählt von ihren Sorgen mit einem sanften Lächeln. Die syrische Mutter freut sich, dass sie ihre 22 Jahre alte Tochter einen Tag vor Weihnachten aus Lesbos abholen und nach Athen bringen konnte. Zwei Jahre hatte sie die Tochter nicht gesehen. Der Krieg in Syrien hatte die beiden auseinandergerissen. Nachia hat drei weitere Kinder und einen Mann - und die sind seit langem schon in Deutschland:
"Ich möchte zusammen mit meiner Tochter nach Deutschland gehen."
Zerrissene Familien
Nachia wartet seit zwei Jahren darauf, nach Deutschland weiterreisen zu dürfen. Die Syrerin ist ein besonders krasses Beispiel dafür, was passiert ist, als die deutsche Bundesregierung beim Thema Familiennachzug kräftig auf die Bremse drückte. Hilde Hülsenbeck, die Pfarramtssekretärin der deutschensprachigen Kirchengemeinde in Athen, ist in diesem Punkt ratlos:
"Wenn eine ganze Familie völlig zerrissen ist. Eine Tochter in der Türkei, die Mutter in Athen. Ein Kind in der einen Stadt in Deutschland, ein Kind in der anderen Stadt in Deutschland. Da fragt man sich: Was soll das? Wozu ist das gut?"
Menschliche Hilfe
Hilde Hülsenbeck ist für Nachia und die anderen syrischen Gäste, die jetzt im Garten der Christuskirche in Athen stehen, zu einer Art Ersatzmutter geworden. Sie hilft aus, wenn in einem der Gästezimmer etwas fehlt. Außerdem muss regelmäßiger Deutschunterricht laufen. Irgendwann mal - so hoffen es die Mitarbeiter der deutschsprachigen evangelischen Kirchengemeinde in Athen, können die Gäste aus Syrien zu ihren Familien nach Deutschland weiterreisen:
"Ich bin dazu da, um sie hier an die Hand zu nehmen und dem Menschen, der vor mir steht, ein bisschen Milderung der Verhältnisse zu ermöglichen und einfach menschlich für sie da zu sein. Bisschen Freude ihnen zurückzubringen. Und ihnen auch bei den Papieren behilflich zu sein - für weitergehende Unterstützung sind aber andere dran."
Hart ist es für alle
Mit anderen meint Hilde Hülsenbeck zum Beispiel Anwälte und die Mitarbeiter der Botschaft. Oder die Asylbehörden. Thema Familiennachzug: Die deutsche Pfarrsekretärin in Athen verfolgt die Nachrichten aus Deutschland darüber. Dass es kräftigen Streit bei der Regierungsbildung in Berlin um dieses Thema gab und gibt, findet Hülsenbeck merkwürdig:
"Da spricht man von Fällen, von Härtefällen. Also es muss richtig hart werden, damit man eine Familienzusammenführung schnell organisieren kann. Aber ist es nicht hart genug überhaupt, von seinem Kind getrennt zu sein? Ist es nicht hart genug, wenn man als Mutter sein Kind in ein Schlauchboot setzt und irgendwelchen Verwandten oder Freunden mit auf die Flucht gibt? Und zwei Jahre und länger warten muss, bis es endlich soweit ist, dass man zu seinem Kind kann?"
Warum streitet sich Europa, warum streiten sich Politiker bei der Regierungsbildung in Deutschland so heftig um die Flüchtlingsfrage? Hilde Hülsenbeck hat auf diese Frage keine Antwort, weil sie und die Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe der evangelischen Kirche deutscher Sprache in Athen sich diese Frage nicht stellen. Die Frage, ob sie helfen sollen oder lieber doch nicht.