Galo muss all sein Geschick aufbieten, um das schwer beladene Kanu durch die Stromschnellen zu navigieren. Den Motor musste er hochklappen: Der Río Bobonaza führt zu wenig Wasser. Galo hofft, dass es regnen wird und der Wasserpegel steigt. Seine Hoffnung wird enttäuscht. Mehr als fünf Stunden dauert deshalb die Fahrt von Canelos nach Sarayaku, vorbei an teils felsigen, teils sandigen Uferböschungen eines üppigen Regenwaldes in allen nur erdenklichen Grün-Schattierungen.
Fische springen, Papageien kreischen. Die Idylle eines letzten intakten Fleckchens Regenwald trügt. Im ecuadorianischen Amazonasgebiet sind die Klimaveränderungen deutlich zu spüren. Der extrem niedrige Wasserpegel ist da nur ein Indiz. Industrielle Land- und Holzwirtschaft, Bergbau und Erdölförderung gefährden akut den Lebensraum der Kitchwa und anderer indigener Völker.
Den Kitchwa gehören das Land - dem Staat die Bodenschätze
Er habe in den 1990er-Jahren bei mehreren Erdölfirmen gearbeitet, berichtet Edgar:
"Da habe ich gesehen, wie die Umwelt verschmutzt und wie schlecht die Angestellten behandelt wurden. Die haben die Flüsse, die Mündungen und Lagunen verseucht."
Das war im Norden Ecuadors. Als Edgar in sein Heimatdorf Sarayaku zurückkehrte und auch dort Öl gefördert werden sollte, machte er mobil. Das war 1996. Die argentinische Firma CGC bekam die Bohrrechte für Block 23 zugesprochen, ein 200.000 Hektar großes Fördergebiet, deren Felder teilweise unter Sarayaku lagen. Den Kitchwa dort gehören zwar 140.000 Hektar Regenwald insgesamt, die Bodenschätze jedoch dem Staat.
"Diese Trennung zwischen Land und Bodenschätzen ist lächerlich. Wir machen da keinen Unterschied bei unserem natürlichen Lebensraum. Deshalb pochen wir auf Einhaltung der internationalen Menschenrechte, wie sie in der Verfassung vorgeschrieben sind. In Artikel 169 steht, dass für Megaprojekte im Gebiet von indigenen Völkern deren Zustimmung einzuholen ist."
Ölfirma platzierte Dynamitstangen für Voruntersuchungen
Und das ist versäumt worden, erläutert Patricia Gualinga. Die kleine dynamische Frau mit pechschwarzen Haaren bis zur Kniekehle ist Sprecherin des etwa 1.400 Mitglieder zählenden Volkes des Zenits, wie sich die Menschen von Sarayaku nennen. Gemeinsam haben sie den Widerstand organisiert, konnten aber nicht verhindern, dass die argentinische Ölfirma CGC Dynamitstangen zur seismischen Voruntersuchung platzierte.
"In Sarayaku sind daraufhin drei indigene Arbeiter der Firma festgenommen worden. Sie wurden nie misshandelt oder gefoltert. Wir haben ihnen nur gesagt, wir wollen nicht, dass ihr auf unser Gebiet kommt und unseren Lebensraum zerstört. Später wurden sie freigelassen. Unsere Leute wurden allerdings in Militärhubschraubern zur Ölgesellschaft geflogen, wo sie gefoltert wurden."
2010 bekam Sarayaku 1,3 Millionen Dollar Entschädigung
18 Verfahren wurden gegen die Führer Sarayakus eingeleitet. All das konnte den Widerstand der Bewohner gegen das Erdöl nicht brechen. Sie zogen bis vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof in Costa Rica. Der entschied zugunsten der Kitchwa und verurteilte 2010 den ecuadorianischen Staat. Sarayaku bekam eine Entschädigung von 1,3 Millionen Dollar. Davon wurden eine Mini-Fluglinie mit zwei Cessna Maschinen und eine Bank für Mikrokredite gegründet.
Die Ölfirma freilich erhielt 20 Millionen Dollar Kompensation von der Regierung Ecuadors, und das obwohl die Dynamitstangen noch immer im Boden sind. Der Staat hat die Auflagen des Urteils nicht erfüllt, will Patricia Gualinga bei der heutigen Anhörung vorm Menschenrechtsgerichtshof argumentieren:
"Es gibt zwei kontroverse Punkte: Der Sprengstoff wurde nicht von unserem Gebiet entfernt und unsere Genehmigung wurde nicht eingeholt."
"Wir könnten viel von diesen Leuten aus Sarayaku lernen"
Letzterer Punkt ist besonders brisant und aktuell: Denn der Staat hat erneut Bohrlizenzen auch für Teile des Gebiets von Sarayaku ohne Zustimmung der Bewohner an Agip und die chinesische Firma Andespetroleo vergeben. Die Kitchwa in Sarayaku sind jedoch wild entschlossen, weiter zu kämpfen: Für den Erhalt ihres Lebensraums und somit für ihre Art zu Leben.
"Dank unseres Widerstandes können wir noch fischen und jagen im Urwald. Das ist doch alles, was die indigenen Völker brauchen", resümiert Eriberto beim Fischen auf dem Rio Bobonaza. Wie lange er das noch kann, bleibt offen. Denn längst nicht alle indigenen Gruppen der Region leisten so entschlossen Widerstand, dabei können sie durchaus auch auf prominente Unterstützung zählen:
"Alles friedlich in ihrem Leben, in Harmonie mit der Natur. Ich möchte, dass es so bleibt, wie es bis jetzt ist, und dass die Leute ihre Lebensqualität verbessern, ohne ihre eigenen Werte zu verkaufen. Und bis jetzt haben sie es gezeigt, dass es möglich ist. Und ich glaube, wir könnten viel von diesen Leuten aus Sarayaku lernen."
Sagt einer, der es wissen muss: Alberto Acosta war früher einmal Minister für Bergbau und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors.