Katrin Michaelsen: Was auffällt: Ganz geräuschlos verläuft eine Öffnung der Ehe fast nie. Das zeigt sich auch gerade hierzulande. Die Ehe für alle bringt ein enormes Tempo in den Wahlkampf zwischen CDU und SPD, wahrscheinlich soll noch in dieser Woche darüber im Bundestag abgestimmt werden. Wie lange sich die Debatte über die Öffnung der Ehe hinziehen kann, das zeigt sich in Frankreich. 2013 von der sozialistischen Regierung beschlossen, offenbarte sich Frankreich als ein tief gespaltenes Land in dieser Frage, mit heftigen Gegendemos, einem Kulturkampf, der die Sozialisten noch bei den diesjährigen Wahlen Stimmen gekostet hat. Vor allem am Adoptionsrecht und an der künstlichen Befruchtung störten sich die Gegner. Die Politiker gaben die Frage schließlich weiter an den Ethikrat, und der hat gerade gestern entschieden, dass alleinstehenden Frauen die künstliche Befruchtung künftig erlaubt werden solle. Soweit die französische gesellschaftliche Gemengelage. Es lohnt aber auch der Blick in die Niederlande, denn sie waren weltweit der erste Staat, der im Jahr 2001 die Ehe für alle auf den Weg gebracht hat. Unsere Reporterin Kerstin Schweighöfer war bei der Geburtsstunde dieses Gesetzes dabei. Frau Schweighöfer, wenn wir uns ansehen, wie es seitdem um die rechtliche Situation für homosexuelle Paare in den Niederlanden steht, gibt es eine Gleichstellung zu heterosexuellen Paaren, oder gibt es doch noch Unterschiede, wie zum Beispiel beim Recht auf Adoption?
Kerstin Schweighöfer: Es gibt nur noch einen Unterschied: Wenn in einer heterosexuellen Ehe ein Kind geboren wird, hat der Ehemann automatisch die volle elterliche Autorität und gilt als Vater, auch wenn er gar nicht der biologische Vater ist. Wenn hingegen in einer homosexuellen Ehe ein Kind geboren wird oder einer der Partner ein Kind gezeugt hat, also der biologische Vater ist, dann muss der andere Partner dieses Kind erst adoptieren, um als Vater oder Mutter anerkannt zu werden. Ansonsten aber haben homosexuelle Ehepaare in den Niederlanden inzwischen die gleichen Rechte und Pflichten wie heterosexuelle Partner und sind gleichgestellt, auch in Sachen Adoption.
"Mehrheit der Abgeordneten im Parlament wollte die Ehe für Homosexuelle öffnen"
Michaelsen: Werfen wir erstmal noch einen Blick zurück. Wie war das damals im Jahr 2001? Was hat damals den Ausschlag gegeben, die Ehe für alle zu öffnen?
Schweighöfer: Es gab vor dem 1. April 2001, als dieses Gesetz in Kraft trat, nur die Möglichkeit, seine Beziehung registrieren zu lassen, und zwar seit 1998. Doch diese Beziehungen waren benachteiligt. Da musste mehr Erbschaftssteuer bezahlt werden, da gab es auch nicht die Möglichkeit der Adoption. Und eine Mehrheit der Abgeordneten wollte die Zivilehe deshalb damals auch für Homosexuelle öffnen. Doch das damalige Kabinett war vehement dagegen, weil es die Folgen eines internationalen Alleingangs fürchtete, und das, obwohl es damals eine Koalition ohne Christdemokraten war, die sogenannte lila Koalition aus Rechtsliberalen, Sozialdemokraten und progressiven D66-Demokraten. Jedenfalls konnten sich Parlament und Kabinett damals nicht einigen, und deshalb schaltete das Justizministerium eine unabhängige Expertenkommission ein. Die jedoch gab den Abgeordneten recht: Wer Homosexuellen die Ehe untersage, diskriminiere, und die Ursache dafür sei die Ablehnung von Homosexualität. Eine Ehe, so die Kommission weiter, sei eine dauerhafte Verbindung, im klassischen Sinne zwischen Mann und Frau, doch dieses Mann-Frau-Element sei in einer dauerhaften Beziehung nicht ausschlaggebend, und auch die Fortpflanzung, so befand die Kommission, bräuchte kein wesentlicher Bestandteil der Ehe zu sein. Und dadurch hat das Kabinett dann seinen Standpunkt geändert. Das neue Gesetz konnte mit einer großen Mehrheit verabschiedet werden und trat ein Jahr später in Kraft. Und es war wirklich ein Medienspektakel, ein wahres Happening, als am 1. April 2001, kurz nach Mitternacht im Amsterdamer Rathaus die Champagnerkorken knallten und die Hochzeitstorten angeschnitten wurden und sich die ersten vier homosexuellen Ehepaare der Welt das Ja-Wort gaben, ein Frauenpaar und drei Männerpaare.
"Toleranz für Homosexuelle ist nicht selbstverständlich"
Michaelsen: Die Niederländer sehen sich jetzt als Vorreiter, waren der erste europäische Staat, der die Ehe für alle erlaubt hat. Heißt das auch zugleich, dass es eine große Toleranz für gleichgeschlechtliche Paare in den Niederlanden gibt?
Schweighöfer: Nein. Die Toleranz mag vielleicht größer sein als in anderen Ländern, aber sie ist nicht selbstverständlich, an ihr muss sozusagen konstant gearbeitet werden. Denn auch die Niederländer kennen Übergriffe auf Homosexuelle. Erst im letzten Frühjahr gab es mehrere Vorfälle dieser Art, und das Entsetzen im ganzen Land war groß. Es kam zu Demonstrationen gegen Homo-Gewalt, wie es kurz genannt wird, und bekannte Politiker liefen auch demonstrativ Hand in Hand durchs Haager Regierungsviertel. Es gibt auch Untersuchungen, Zahlen. Sieben von zehn Homosexuellen werden diskriminiert, erleben verbale oder sogar körperliche Gewalt. Und bei der Polizei sind die Anzeigen seit 2009 drastisch gestiegen, von etwas mehr als 400 auf fast 1.600, also eine Vervierfachung in den letzten sechs Jahren. Zu Verurteilungen aber kommt es nur in sieben Fällen pro Jahr.
Michaelsen: Übergriffe auf Schwule und Lesben sind also an der Tagesordnung, obwohl die Niederlande ja eigentlich als eine offene Gesellschaft gelten. Wie erklären Sie sich das?
Schweighöfer: Zum einen wird das erklärt durch die größere Sichtbarkeit homosexueller Paare in der Gesellschaft, im Leben, auf der Straße. Darüber hinaus trauen sich Homosexuelle auch sehr viel früher als früher, sich zu outen, oft schon mit 15 in der Schule hier in den Niederlanden. Sie halten damit also nicht mehr so lange hinter dem Berg. Und einer Untersuchung zufolge finden 90 Prozent der Niederländer, dass Homosexuelle zwar so leben können sollten, wie sie wollen, aber gleichzeitig findet es ein Drittel Anstoß erregend, wenn sie sehen, wie sich zwei Männer küssen. Also das Motto, auch 'Homos' sollten ihr Leben leben dürfen, aber bitte schön unsichtbar. Diesen Slogan habe ich vorgestern noch auf einem Polizeirevier in Rotterdam auf einem Poster an der Wand hängen sehen. Und hinzu kommt auch eine allgemeine Verrohung des Umgangs, und das in den Niederlanden, wo ja ohnehin schon sehr viel weniger Wert auf Umgangsformen und Etikette gelegt wird. Die Niederländer gelten ja als ziemlich direkt und zuweilen sogar als brüsk. Das wird für eine weitere Hauptursache gehalten. Jedenfalls kann es nicht auf den Zustrom muslimischer Immigranten zurückgeführt werden. Auch niederländische Christen tun sich nach wie vor sehr schwer mit der Akzeptanz von Homosexualität. Und das zeigt auch ein Blick auf die Zahlen, nämlich nur 16,6 Prozent der Verdächtigen haben einen marokkanischen Hintergrund. Jedenfalls haben die Niederländer inzwischen erkannt, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen ihrem Anspruch, also ihrem Selbstbild als tolerante Nation, und der Wirklichkeit. Und deshalb wurden eben auch Gegenmaßnahmen jetzt gefordert. Mehr Aufklärung an den Schulen, aber auch an den Polizeiakademien zur Sensibilisierung der Polizisten, und dann auch höhere Strafen.
"Mann-Mann-Ehen halten länger als Mann-Frau-Ehen"
Michaelsen: Gibt es eigentlich Zahlen darüber, wie lange Ehen zwischen Schwulen und Lesben in den Niederlanden halten?
Schweighöfer: Ja, das ist sehr interessant. Nach zehn Jahren werden 30 Prozent aller Frau-Frau-Ehen wieder geschieden, aber nur fünfzehn Prozent aller Mann-Mann-Ehen. Also die halten deutlich länger, und die, das ist auch interessant, die halten sogar länger als heterosexuelle Ehen. Da sind in den Niederlanden jedenfalls achtzehn Prozent geschieden, bei den Mann-Mann-Ehen sind es nur fünfzehn Prozent.
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