"Wir haben uns immer an alle Koalitionsvereinbarungen gehalten", sagte Dreyer. Nun habe Merkel überraschend einen Richtungswechsel ausgerufen. Da könne man vom Koalitionspartner nicht verlangen, dass er sich an bisherige Abmachungen halte.
Die Union habe die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare jahrelang strikt abgelehnt und die Debatte darüber verweigert. Den plötzlichen Richtungswechsel verbunden mit einer Gewissensentscheidung für die Abgeordneten könne man nun nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben.
Dreyer hält den Gesetzentwurf zur Öffnung der Ehe auch nicht für verfassungswidrig. Er sei mehrfach von zahlreichen Verfassungsrechtlern überprüft worden, die ihn für unbedenklich hielten. Sie sagte, sie sei überzeugt, dass die Ehe für alle längst überfällig sei.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Erst erklärte Angela Merkel die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zur Gewissensfrage. SPD und Opposition quetschten daraufhin eine Abstimmung noch in den letzten Tag dieser letzten Sitzungswoche. Die Sozialdemokraten stimmten im Rechtsausschuss und nun im Deutschen Bundestag mit den Oppositionsfraktionen, obwohl die SPD, durch den Koalitionsvertrag gebunden, Teil der Regierungsmannschaft ist oder war. Bisher dürfen Homosexuelle eine Lebenspartnerschaft amtlich eintragen lassen, aber nicht heiraten. Der wichtigste Unterschied ist, dass Lebenspartner gemeinsam keine Kinder adoptieren dürfen.
Vor einer halben Stunde habe ich das folgende Gespräch mit Malu Dreyer (SPD) geführt, der Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz: Guten Morgen, Frau Dreyer!
Malu Dreyer: Einen schönen guten Morgen, Herr Heinemann.
In dieser Legislaturperiode noch abstimmen
Heinemann: Bedeutet Ehe für alle für die SPD koalitionspolitisch Scheidung von der Union?
Dreyer: Nein, das bedeutet es nicht, denn man muss ja einfach sehr klar sehen, dass wir uns die ganze Zeit wirklich an alle Koalitionsvereinbarungen gehalten haben, jetzt die Kanzlerin aber sehr überraschend einen Richtungswechsel eingelegt hat, und da ist es doch selbstverständlich, dass die SPD sagt, es kann nicht sein, dass eine Gewissensabstimmung verlegt wird auf die nächste Legislaturperiode oder die nächste Koalitionsverhandlung, sondern wir wollen dann das, wofür wir schon lange kämpfen, dann eben auch in dieser Legislatur noch durchsetzen.
Heinemann: Wie nennt man das denn, wenn eine Regierungspartei mit der Opposition abstimmt?
Dreyer: Na ja, es ist normalerweise in der parlamentarischen Praxis nicht üblich. Das kann man schon ganz, ganz klar sagen. Nichts desto trotz beharre ich darauf, dass Angela Merkel diejenige ist, die in einem Interview einen Richtungswechsel ausgerufen hat, und dass man nicht verlangen kann von einem Koalitionspartner, dass er sich dann an Verabredungen hält, obwohl dieses Thema doch die ganzen Jahre des gemeinsamen Regierens immer wieder Thema war, das kann man dem Partner eigentlich dann auch nicht verübeln. Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass die SPD jetzt so handelt.
Heinemann: Frau Dreyer, was würden Sie sagen, wenn die FDP bei Ihnen zuhause im Landtag von Rheinland-Pfalz – Sie sind ja auch Chefin einer Koalitionsregierung – öfter mal mit der CDU abstimmen würde?
Dreyer: Na ja, das würde, glaube ich, meine FDP nicht machen, weil ich auch nicht so mit meinem Koalitionspartner umgehen würde. Wenn die SPD auf Bundesebene immer und immer wieder Gespräche einfordert, darum bittet, darüber zu diskutieren, wenn ein Gesetzentwurf im Rechtsausschuss immer wieder aufgerufen wird und vertagt wird, gegen den Willen eigentlich der SPD, und dann die Kanzlerin beziehungsweise Angela Merkel sich in das Studio setzt beim Interview und dann verkündet, dass sie gerne die Diskussion lenken möchte in eine Gewissensabstimmung, dann kann ich nur sagen, das wäre nicht die Form, wie ich mit meinem Koalitionspartner umgehen würde, und deshalb kann ich mir das auch nicht vorstellen, dass die FDP in unserem Landtag mit der CDU abstimmt.
Heinemann: Noch mal zum Mitschreiben: Was unterscheidet das, was die SPD heute unternimmt, von einem Koalitionsbruch?
Dreyer: Es unterscheidet sich darin, dass das kein Koalitionsbruch ist, der von Seiten der SPD eingeleitet wurde, sondern dass Angela Merkel die ganze Zeit mit der CDU beharrlich die Position vertreten hat, dass eine Öffnung der Ehe für sie nicht in Frage kommt, plötzlich einen Richtungswechsel eingeleitet hat. Und das ist der große Unterschied. Wenn die SPD plötzlich aus heiterem Himmel gesagt hätte, wir stimmen jetzt mit der Linken und den Grünen ab, dann wäre das eine andere Situation gewesen, I'm sorry, dass Angela Merkel dieses Thema plötzlich wieder aufgetischt hat und dann deutlich gemacht hat, dass erst in der nächsten Legislaturperiode dieses Thema eine Gewissensabstimmung sein soll, und das geht nicht. Bereits 2010 hat die CDU blockiert, damals wollte die FDP mit, wir waren ja in der Opposition. SPD und Grüne haben einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Das Thema wurde vielfach diskutiert im Bundestag, es wurde vielfach diskutiert im Bundesrat, und die CDU hat beharrlich darauf bestanden, dass es für sie nicht in Betracht kommt. Dann kann ich nicht während einer laufenden Koalition ankündigen, dass ich es aber in Zukunft anders machen möchte.
"Die Öffnung der Ehe ist längst überfällig"
Heinemann: Nun kann ja nur abgestimmt werden, wenn der Entwurf des Bundesrates per Geschäftsordnungsantrag auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt wird. Und dieser Geschäftsordnungsantrag ist ja nun keine Gewissensfrage. Da müsste doch der Satz aus dem Koalitionsvertrag gelten, im Bundestag stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab.
Dreyer: Das müsste genauso wenig gelten wie dann später bei der Abstimmung, denn ich kann nicht diese künstliche Trennung herbeiführen und sagen, meine Abgeordneten in der CDU sind bei der eigentlichen Frage nur noch ihrem Gewissen verpflichtet, aber ich schalte mal kurz eine Geschäftsordnungsdiskussion vor und da habe ich dann doch die Erwartung, dass die CDU dann tatsächlich geschlossen abstimmt. Das geht nicht, das kann man nicht verlangen von der SPD. Das ist aus meiner Sicht ein bisschen Trickserei. Und insofern denke ich, diese Entscheidung kann nur gesamt gesehen werden, nämlich die Geschäftsordnungsdebatte am Morgen bestimmt darüber, ob es zu einer Gewissensentscheidung kommen kann seitens der CDU. Für die SPD, Die Linke und die Grünen sind diese Entscheidungen sowieso klar, weil wir schon lange für dieses Thema kämpfen, und ich bin auch davon überzeugt, dass die Öffnung der Ehe längst überfällig ist.
Heinemann: Nun weisen Rechtspolitiker der Union darauf hin, dass die Verfassung geändert werden müsse. Muss das nicht erst geklärt werden, bevor jetzt über die Ehe für alle abgestimmt wird?
Dreyer: Es ist ja gar kein neues Thema, sondern all diejenigen, die sich mit dem Thema intensiv befasst haben, und das sind sehr viele Parlamentarier, die haben natürlich all diese Fragen überprüft. Auch wir. Rheinland-Pfalz hat ja den Gesetzentwurf, der jetzt zur Abstimmung kommt, natürlich überprüfen lassen. Wir haben viele Gespräche mit Verfassungsrechtlern gehabt. Natürlich gibt es solche Verfassungsrechtler und solche, aber die Mehrheit, mit denen wir gesprochen haben und die das Thema begutachtet haben, sagen sehr deutlich, dass wir keine Verfassungsänderung brauchen. Deshalb ist der Gesetzentwurf entstanden mit einer schlichten Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches …
Heinemann: Entschuldigung! Können Sie denn garantieren, dass Karlsruhe, dass das Bundesverfassungsgericht den Begriff Ehe künftig anders auslegen wird als bisher?
Dreyer: Ich glaube nicht, dass es jemals einen Politiker gegeben hat, der irgendetwas garantieren kann bezogen auf die Rechtsprechung. Wir können nur sagen, natürlich hat sich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer weiter entwickelt, und wir gehen davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung dann auch so bestätigen wird.
"Es bedarf keiner Verfassungsänderung"
Heinemann: Was heißt, wir gehen davon aus?
Dreyer: Wir haben Verfassungsrechtler auf unserer Seite, die uns deutlich gemacht haben, dass nach dem Lauf der Veränderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts man davon ausgehen kann, dass natürlich die Ehe im Grundgesetz genauso zu interpretieren ist, dass nämlich sie nicht nur gilt für Männer und Frauen, sondern genauso für homosexuelle Partner. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass es keiner Verfassungsänderung bedarf.
Heinemann: Kann aber sein, dass doch, und dann wäre das wieder so ein typisches SPD-Strohfeuer wie die sogenannte Aufbruchsstimmung, die ja angeblich von Martin Schulz ausgehen würde.
Dreyer: Na ja. Ich sage jetzt mal, das ist nicht ein Strohfeuer. Ich denke auch, dass wir jetzt im Moment gerade etwas verkehrt herum diskutieren. Das Thema Homo-Ehe beziehungsweise Ehe für alle ist ein Thema seit vielen, vielen Jahren. Es haben sich sehr viele Juristen damit auseinandergesetzt, aber natürlich auch sehr viele Abgeordnete und Regierungsmitglieder. Wir sind davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Wir hätten ansonsten im Bundesrat nicht diesen Gesetzentwurf eingebracht. Er ist rechtlich abgesichert gewesen und es gibt ja auch eine Mehrheit im Bundesrat, und zwar nicht nur einmal, sondern zweimal. Der Gesetzentwurf ist bereits 2013 eingebracht worden und dann nochmals aufgerufen worden 2015, weil es schon damals nicht möglich war, den Gesetzentwurf im Bundestag durchzusetzen.
Heinemann: Frau Dreyer, wieso lassen Sie nicht eine große gesellschaftliche Debatte über die Ehe zu, was sie sein soll, wie sie sich verändern soll, muss der Staat überhaupt private Liebesbeziehungen fördern und so weiter und so fort, und dann könnte man am Ende abstimmen?
Dreyer: Es gibt eigentlich nur eine einzige Partei, die in der Vergangenheit sich verweigert hat, was dieses Thema betrifft, und die heißt CDU/CSU. Im Übrigen hat es eine Vielzahl von vielen Debatten gegeben, sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat. Sie wissen genau, dass im Jahr 2010 es einen Gesetzentwurf im Bundestag gab. Es gab viele Anfragen. Es gab viele aktuelle Stunden. Es gibt aber auch die Debatte im Bundesrat, die ist sehr intensiv geführt worden, und als damals das Bürgervotum in Irland stattgefunden hat, war das ein Thema, was wirklich in der Gesellschaft umfassend diskutiert worden ist. Die Fragen, die heute künstlich hochgezogen werden, sind keine neuen Fragen. Sie wurden in allen Parlamenten ausführlich debattiert. Und wäre es nach der SPD, nach den Grünen gegangen, nach den Linken gegangen, hätte diese Diskussion auch noch mit der CDU/CSU im Bundestag stattfinden können, aber die Verweigerungshaltung war ganz klar von deren Seite.
Heinemann: Jetzt soll alles ganz schnell gehen. – Nehmen wir mal andere Themen: unbezahlbare Wohnungen, unfassbar häufige Unterrichtsausfälle in den kaputten Schulen, nach wie vor hohe Flüchtlingszahlen. Wann wird sich die SPD denn mal ähnlich schnell um diese Probleme kümmern?
SPD als treibende Kraft bei der Integration von Flüchtlingen
Dreyer: Die SPD kümmert sich um diese Probleme.
Heinemann: Wann?
Dreyer: Wir haben uns im Bundesrat mit diesen Themen permanent beschäftigt. Und wenn Sie sich das Wahlprogramm, was wir gerade letzte Woche verabschiedet haben seitens der SPD, betrachten, dann haben Sie auf all diese Fragen auch Antworten. Und wenn es eine treibende Kraft auf der Bundesebene gibt, bezogen auf das Thema Integration von Flüchtlingen, dann ist das die SPD. Es war nicht die CDU/CSU, die freiwillig von sich aus bereit war, Gelder beispielsweise den Ländern und Kommunen zur Verfügung zu stellen, um die Integration der Flüchtlinge zu bewerkstelligen, sondern es war die SPD. Und wenn ich an die ganzen Geschichten denke, was die Arbeit des BAMF betrifft, wenn ich daran denke, wie lange es gedauert hat, bis endlich Sprachkurse da waren, das können Sie wirklich nicht der SPD zuschieben. Wir haben immer konstruktiv zusammengearbeitet. Wir haben klare Vorschläge gemacht und wir haben sehr, sehr konstruktiv an diesen Dingen gearbeitet und wir haben bis heute klare Vorstellungen.
Heinemann: Malu Dreyer (SPD), die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Dreyer: Ich danke Ihnen auch, Herr Heinemann. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.