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"Ehrenmorde" und Zwangsehen
Was sich elf Jahre nach dem Tod von Hatun Sürücü geändert hat

Elf Jahre ist es her, seit Hatun Sürücü von ihrem jüngeren Bruder in Berlin auf offener Straße ermordet wurde. Ein Gedenkstein erinnert bis heute an den sogenannten Ehrenmord an der Deutsch-Kurdin. Auch die Mitglieder des Neuköllner Projekts "Hero" haben Hatun nicht vergessen. Sie kämpfen gegen Zwangsehe und Ehrenmord und sagen: Prävention fängt bei den Eltern an.

Von Kemal Hür |
    Die Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü wurde vor elf Jahren von ihrem Bruder ermordet.
    Laut einer Studie nehmen Zwangsehen trotz Aufklärungskampagnen zu. (dpa / Jens Kalaene)
    "Herzlichen Dank, dass Sie mit uns geschwiegen haben. Begrüßen möchte ich unsere Senatorin, Frau Kolat, meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Bezirksamt und viele, die heute gekommen sind, Sie alle, und Dank sagen, dass Sie sich hier versammelt haben zum elften Todestag von Hatun Sürücü."
    Die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Tempelhof, Angelika Schöttler von der SPD, spricht zu einer Gruppe von etwa 30 Menschen. Die meisten von ihnen sind Vertreter von Parteien oder Vereinen. Es sind jedes Jahr fast dieselben, die sich am Gedenkstein für Hatun Sürücü versammeln und Blumen niederlegen. Darunter auch junge muslimische Männer von dem Neuköllner Projekt "Heroes". Sie setzen sich gegen Gewalt im Namen der Ehre ein und wurden für ihre Präventionsarbeit mehrfach ausgezeichnet.
    "Hatun Sürücü war, ich würde sagen, die Wegbegleiterin für die Modernisierung, beziehungsweise die Reformen, die wir alle in unserem heutigen Leben setzen. Und deswegen ist sie einfach eine, bei der wir sehr, sehr viel abgucken können und abgucken sollten für die Zukunft."
    Symbolfigur des Kampfes gegen Ehrenmorde
    Die ermordete Hatun Sürücü ist nicht nur für diesen jungen Mann aus dem Projekt "Heroes" zu einem Symbol geworden. Ihr Name steht mittlerweile für den Kampf gegen Zwangsverheiratung und sogenannte Ehrenmorde. In diesem Kampf wurde seit dem Mord an Sürücü viel erreicht, aber noch nicht genug, sagt Berlins Integrations- und Frauensenatorin, Dilek Kolat, SPD. Ein erster juristischer Erfolg sei, dass Zwangsheirat inzwischen ein eigener Straftatbestand sei.
    "Wir wissen aber, dass die religiösen Ehen stattfinden als Ersatz für die standesamtliche Ehe, was ja unter Strafe steht, wenn es gegen den Willen der Frau passiert. Und als Nächstes wird auch die religiöse Ehe in den Geltungsbereich des Straftatbestandes kommen. Und auch das ist ein wichtiges Signal an die Betroffenen, dass sie die Finger davon lassen."
    Es beginnt bei den Eltern
    Die Betroffenen, das sind nicht nur junge Frauen oder auch homosexuelle junge Männer, die von ihren Eltern gegen ihren Willen verheiratet werden. In erster Linie müssen die Eltern kontaktiert und aufgeklärt werden. Hier müssten besonders die Moscheen aktiv werden, sagt der Neuköllner Sozialstadtrat Bernd Szczepanski von den Grünen.
    "Es müssen Leute ausgebildet und unterstützt werden, die direkt aus der Community sind. Es hat also wenig Sinn, wenn deutschstämmige Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dort reingehen, sondern man muss es gemeinsam machen. Man muss die Leute selbst dazu befähigen, diese Auseinandersetzungen zu führen und sich mit dieser Sache auseinanderzusetzen."
    Präventionsarbeit in Form von Schulungen, Fortbildungen und Informationsveranstaltungen bietet der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung, ein Zusammenschluss von vielen Anti-Gewalt-Projekten, der Polizei, Frauenvereinen und dem Berliner Senat.
    Eine Umfrage des Arbeitskreises ergab, dass Zwangsverheiratungen trotz härterer Bestrafung zunehmen. Im Jahr 2007 gab es 375 bekannt gewordene Fälle. Die Zahl stieg innerhalb von sechs Jahren auf 460 an. Der Arbeitskreis schult regelmäßig auch Sozialarbeiter und Lehrkräfte an Schulen, sagt die Sprecherin Petra Koch-Knöbel.
    "Wenn Mädchen vor den Sommerferien zwangsverheiratet werden sollen, ins Ausland verbracht werden sollen und so weiter, dann können wir auch ganz gezielt vorgehen mit Unterstützung der Lehrkräfte und der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Das heißt, sie sind sensibilisiert und können viel stärker dann agieren."
    Zwangsverheiratung hat nichts mit Religion zu tun
    Koch-Knöbel und Integrationssenatorin Kolat betonen, dass Zwangsverheiratungen nicht nur in islamischen Kulturen vorkommen, sondern auch in patriarchalischen Gesellschaften unabhängig von der Religion. Im Zusammenhang mit der Zuwanderung von Flüchtlingen müsse dieses Thema genau beobachtet werden. Von vornherein müsse den Flüchtlingen aber die Gleichberechtigung von Mann und Frau genauestens erklärt werden.