Für Erich Honecker gehörte das Sozialistische Äthiopien zu den Hoffnungsträgern auf dem afrikanischen Kontinent - ebenso wie die Volksrepubliken Angola und Mozambique. Als Honecker 1979 Äthiopien besuchte, da nahm der SED-Chef kein Blatt vor den Mund, da sagte er unumwunden, auf welche Weise die DDR den Machthabern in Addis Abeba den Rücken stärkte:
"Die Deutsche Demokratische Republik hat keinen Augenblick gezögert, als es sich darum handelte, euch Waffen, euch Brot zu übermitteln, damit ihr erfolgreich euren Kampf führen konntet." (Beifall)
Mit sogenannten Konterrevolutionären machte man kurzen Prozess im sozialistischen Äthiopien. Sie wurden an die Wand gestellt. Unter den Opfern des "Roten Terrors": Leul Ras Asserate Kassa, Kaiserlicher Herzog, Vorsitzender des Kaiserlichen Kronrats und Vater von Asfa-Wossen Asserate - Absolvent der Deutschen Schule in Addis Abeba und seit 1968 Student in Deutschland.
Die äthiopische Revolution verbaute Prinz Asserate den Rückweg in die Heimat. So blieb er denn nolens volens in Deutschland, wurde Deutscher - und brachte es in deutschen Landen mit seinem Buch "Manieren" zum Bestseller-Autor. Jetzt hat der prominenteste deutsche Äthiopier seine Autobiographie geschrieben.
Henning von Löwis: Prinz Asfa-Wossen Asserate, ein Prinz aus dem Hause David, Sie sind der Urgroßneffe von Kaiser Haile Selassie und zugleich sein Stiefurenkel. Sie waren, wie Sie schreiben, schon als Kind stolz darauf, von König Salomon und Königin Makeda abzustammen. Rangiert Tradition für Sie auf der Skala der Werte ganz oben, auf Platz eins?
Prinz Asserate: Auf jeden Fall. Denn, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, wissen wir auch nicht, wohin wir gehen.
von Löwis: Im Rosengarten Ihres Vaters blühte eine Konrad-Adenauer-Rose. Sie haben die Deutsche Schule in Addis Abeba besucht, sind mit deutschen Märchen aufgewachsen. Woher rührt diese Nähe zu Deutschland, diese Verbundenheit mit Deutschland?
Prinz Asserate: Wie Sie schon sagten - seit meiner Kindheit habe ich mit Deutschen und Deutschland zu tun: Ich hatte eine deutsche Erzieherin, jedenfalls eine deutsch-sprechende Erzieherin - sie war Österreicherin -, und meine Eltern schickten mich auf die Deutsche Schule. Ich nehme an, weil sie in erster Linie wollten, dass ich eine zweite Fremdsprache erlernte, aber weil auch das Standing - neudeutsch - der Bundesrepublik Deutschland sehr hoch war und die Schule einen hervorragenden Ruf in Addis Abeba genoss.
von Löwis: Aber ihre erste Kinderfrau war ja eine Dame aus dem russischen Adel,...
Prinz Asserate: Richtig.
von Löwis: Und trotzdem erwähnen Sie Puschkin mit keinem Wort in ihrem Buch.
Prinz Asserate: Weil ich auch sehr wenig damals natürlich von ihr über Puschkin gehört habe. Sie hat mir über die Französische Revolution, die sie ja auch traumatisiert hatte, sehr viel als Kind erzählt. Aber interessanterweise habe ich erst später von Puschkin gehört, als ich dann auf der Schule war. Und wir Äthiopier sind natürlich stolz, Puschkin zu einem der unsrigen zu zählen, neben Peter Ustinov übrigens, die beide äthiopische Vorfahren hatten.
von Löwis: Der "Mohr Peter des Großen", Ibrahim Hannibal.
Prinz Asserate: Ibrahim Hannibal war ein Äthiopier.
von Löwis: Das wird ja in Russland heute nicht verschwiegen.
Prinz Asserate: Das wird nicht verschwiegen. Ganz im Gegenteil. Und in Äthiopien auch nicht. Wir haben sogar eine Puschkin-Straße. Wir haben eine äthiopisch-russische Gesellschaft, die sich Puschkin nennt, und vieles mehr. Viele seiner Werke sind auch ins Amharische übersetzt worden.
von Löwis: Prinz Asserate, Russland - Äthiopien, da gibt es ja viele Parallelen: die Ermordung der Zaren-Familie, die Ermordung der äthiopischen Elite - darunter ihr Vater, der Vize-König von Eritrea - zwei besonders dunkle Kapitel der Weltgeschichte.
Prinz Asserate: Das kann man wohl sagen. Auch später, was dann mit Mengistu kam. Man kann die Mengistu-Ära durchaus mit der Ära Stalin in Russland vergleichen. Wenige in Europa wissen, dass dieser Massenmörder über zweieinhalb Millionen Seelen zu verantworten hat.
von Löwis: Sie schreiben ja, Abneigung gegen Diktatur und Kommunismus sei Ihnen in die Wiege gelegt worden. War das die Kinderfrau, die russische?
Prinz Asserate: Es begann damit. Das ist richtig. Aber je mehr ich dann über die russische Revolution las, je mehr ich überhaupt über Diktaturen kennen lernte, so wurde ich doch wirklich zu einem großen Demokraten, würde ich sagen. Ich habe gehofft, dass Äthiopien eines Tages den Weg des Westens gehen würde. Ich habe damals nicht an die kommunistische oder die Französische Revolution geglaubt, sondern an die glorreiche Revolution von 1688, so dass mein politisches Bild geprägt war von Großbritannien. Die wunderbare Art und Weise wie dieses Land durch Reformen letzten Endes Tradition und Zukunft in einem, sozusagen, zusammengebracht hat und bis zum heutigen Tag einen großartigen Weg gegangen ist, das hat mich doch sehr beeindruckt, und da ist auch meine seelische Grundlage.
von Löwis: War denn das Kommunismus, was da von Mengistu Haile Mariam in Äthiopien praktiziert wurde, oder einfach nur "Roter Terror" auf Äthiopisch?
Prinz Asserate: Es ist, Sie sagten es, Roter Terror auf Äthiopisch. Ihm wäre es ziemlich egal, ob man ihn als Freund Amerikas oder Russlands gezählt hätte. Er hätte an jedes Land seine Seele verkauft, solange sie ihn tolerierten und solange sie ihn mit Waffen belieferten. Und insofern wurde Mengistu, sagen wir mal, unfreiwillig zum kommunistischen Diktator. Er war ein äthiopischer Diktator und ein äthiopischer Massenmörder.
von Löwis: Verstand er denn etwas von Marxismus, Leninismus? Hat er die Schriften von Marx und Engels gelesen?
Prinz Asserate: Man hat mir gesagt, er hätte zwei oder drei Lehrer aus Frankreich, Äthiopier, die in Frankreich studiert haben, die ihm das abends beigebracht haben. Aber, wie bei vielem, war er auch dabei nicht sehr gut.
von Löwis: Einer der wichtigsten Helfershelfer des Roten Terrors in Äthiopien hieß Erich Honecker. Wie kam dieser Bruderbund Ost-Berlin - Addis Abeba eigentlich zustande?
Prinz Asserate: Aus dem ganz einfachen Grunde: Mengistu brauchte Menschen, die ihm halfen, den Sicherheitsdienst in Äthiopien aufzubauen, und darin war ja, wie wir wissen, die ehemalige DDR ganz oben. Wir hatten zeitweise sogar einen DDR-General als Leiter der äthiopischen Sicherheitsabteilung. So kam die Freundschaft. Und es ist traurig, heute festzustellen, dass das Gastgeschenk Erich Honeckers zum zehnjährigen Geburtstag der äthiopischen Revolution eine moderne Tortur-Anlage war.
von Löwis: Aber es gab ja auch als Geschenk ein Karl-Marx-Denkmal aus Ost-Berlin...
Prinz Asserate: Na ja. Das ist nur für die breiten Massen, damit man die Freundschaft der beiden sozialistischen Länder demonstrierte. Aber das wahre Geschenk - davon haben nur wenige gewusst.
von Löwis: Und Honecker hat öffentlich erklärt, die DDR habe keinen Moment gezögert, Äthiopien Waffen und Brot zu liefern. Hat die DDR auch Brot geliefert?
Prinz Asserate: Kein bisschen. Woher soll sie? Sie war doch auch nicht einmal in der Lage, ihr eigenes Volk zu ernähren. Wie kam sie dazu, Äthiopien zu ernähren? In beiden Fällen haben westliche Länder Äthiopien geholfen. Und es war der Westen, der die Hungerkatastrophe ´74, dabei unter anderem auch die großartige Kampagne vom STERN, und zweitens natürlich 1985 die noch größere katastrophale Hungerskatastrophe durch Mengistu - die wurde einseitig nur von dem Westen unterstützt. Die so genannten Warschauer-Pakt-Länder haben dazu beigetragen, Mengistu an der Macht zu erhalten, indem sie für viele Milliarden Waffen nach Äthiopien geliefert haben.
von Löwis: Prinz Asserate, wer Ihr Buch liest, der könnte den Eindruck gewinnen, dass sich das äthiopische Kaiserhaus sein eigenes Grab gegraben habe. Der Kaiser war ein weltweit geachteter Führer, ein Führer der Dritten Welt. Hat er nicht gesehen, dass in seinem Land Menschen gehungert haben? Hat er nicht erkannt, dass auch Monarchien mit der Zeit gehen müssen - das heißt, sich verändern, demokratisieren müssen?
Prinz Asserate: Wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben und absoluter Herrscher sind, dann werden ihnen, leider Gottes, viele Dinge unklarer. Sie glauben darüber zu stehen. Sie glauben der einzige zu sein, der das Land retten kann, und ohne sie würde nichts mehr gehen. In dieser Situation war der äthiopische Kaiser, in meinen Augen, seit den späten sechziger Jahren.
von Löwis: 1941 hatte der Kaiser ja verkündet, sein Ziel sei es, Äthiopien vom Feudalismus zu befreien. War das nur ein leeres Versprechen, oder gab es tatsächlich Ansätze in dieser Richtung?
Prinz Asserate: Ansätze?! - Er war der größte Feind des Feudalismus überhaupt. Und es ist eine Chimäre, zu glauben, dass Äthiopien politisch ein feudalistischer Staat war 1974. Äthiopien war eine absolute Monarchie und kein Feudalstaat. Da gibt es einen sehr gewaltigen Unterschied. Feudal an Äthiopien waren einzig und allein die Besitzverhältnisse, d.h. Landbesitz. Ein Drittel des Landes gehörte dem äthiopischen Adel, ein Drittel der Kirche und ein Drittel dem Kaiserhaus. Das war feudal. Aber politisch gab es nur einen einzigen Herrscher, und zwar Haile Selassie I. Feudale Strukturen sind seit 1941 nicht mehr in Äthiopien zu finden. Vorher gab es die großen Rase, die Fürsten, die Herzöge, die ihre eigenen Armeen hatten. 1941 wurde zum ersten Mal in der Geschichte Äthiopiens eine nationale Armee gegründet. Damit wurde Kaiser Haile Selassie zum Alleinherrscher über das Gebiet.
von Löwis: Also, der Feudalismus ist tatsächlich bekämpft worden?
Prinz Asserate: Der ist bekämpft worden. Kaiser Haile Selassie ist der einzige Mann, der von sich sagen kann, er hat den Feudalismus in Äthiopien zerstört.
von Löwis: Prinz Asserate, die Geschichte Äthiopiens ist faszinierend, und sie ist ein Trauerspiel in vielen Akten. Äthiopien - ein faszinierendes Trauerspiel? Gilt das auch für die Gegenwart, das postsozialistische Äthiopien von heute?
Prinz Asserate: Ich will Ihnen sagen, dass ich sehr traurig bin, dass mein Land immer noch nicht demokratisiert worden ist. Wir hatten große Hoffnungen 1991, und diese Hoffnungen sind nicht erfüllt worden. Ich hoffe sehr, dass - jetzt am 11. September beginnen wir ein neues Jahrhundert nach der äthiopischen Zeitrechnung, nach dem äthiopischen Kalender, dem alexandrinischen; das Jahrtausend, das neue Jahrtausend 2000 bricht an -, und ich hoffe, dass wir dann von den Fehlern der letzten 15 Jahre lernen werden, dass wir Äthiopien endlich demokratisieren werden, dass wir den äthiopischen Bauern zum Besitzer des Landes, das er bebaut, machen werden und dass wir neue wirtschaftliche Strukturen in Äthiopien akzeptieren werden. Das ist meine Hoffnung für das neue Jahrtausend, das wir am 11. September beginnen.
von Löwis: Prinz Asserate, so spannend Äthiopien ist, so interessant - ein Wort bitte noch über Ihre zweite Heimat, über Deutschland. Sie haben eine Liebeserklärung an Deutschland zu Papier gebracht. Gibt es denn nichts zu kritisieren an Deutschland, außer den Manieren mancher Leute?
Prinz Asserate: Wissen Sie, es gibt genügend Menschen, die das tun. Warum soll da ein Äthiopier auch noch seinen Senf dazugeben? Ich fühle mich in der Rolle gut, auch mal die guten Seiten dieser zweiten Republik zu sehen, darüber zu sprechen und zu sagen: Meine deutschen Mitbürger freut euch, dass ihr einen solchen Staat habt! Auch das muss mal ab und zu gesagt werden.
von Löwis: Nachgefragt: Hätte das demokratische Deutschland nicht mehr tun können gegen den "Roten Terror" in Äthiopien? Die DDR hat sich ja auch nicht lumpen lassen auf der anderen Seite der Barrikade.
Prinz Asserate: Wem sagen Sie das. Und ich hoffe, dass in Zukunft die Bundesrepublik Deutschland eine Afrika-Politik - nicht nur eine Äthiopien-Politik - haben wird, die auf die Achtung der Menschenrechte noch stärker aufbaut als das bis heute der Fall gewesen ist.
Asfa-Wossen Asserate: "Ein Prinz aus dem Hause David und warum er in Deutschland blieb", Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2007, EUR 19,90.
"Die Deutsche Demokratische Republik hat keinen Augenblick gezögert, als es sich darum handelte, euch Waffen, euch Brot zu übermitteln, damit ihr erfolgreich euren Kampf führen konntet." (Beifall)
Mit sogenannten Konterrevolutionären machte man kurzen Prozess im sozialistischen Äthiopien. Sie wurden an die Wand gestellt. Unter den Opfern des "Roten Terrors": Leul Ras Asserate Kassa, Kaiserlicher Herzog, Vorsitzender des Kaiserlichen Kronrats und Vater von Asfa-Wossen Asserate - Absolvent der Deutschen Schule in Addis Abeba und seit 1968 Student in Deutschland.
Die äthiopische Revolution verbaute Prinz Asserate den Rückweg in die Heimat. So blieb er denn nolens volens in Deutschland, wurde Deutscher - und brachte es in deutschen Landen mit seinem Buch "Manieren" zum Bestseller-Autor. Jetzt hat der prominenteste deutsche Äthiopier seine Autobiographie geschrieben.
Henning von Löwis: Prinz Asfa-Wossen Asserate, ein Prinz aus dem Hause David, Sie sind der Urgroßneffe von Kaiser Haile Selassie und zugleich sein Stiefurenkel. Sie waren, wie Sie schreiben, schon als Kind stolz darauf, von König Salomon und Königin Makeda abzustammen. Rangiert Tradition für Sie auf der Skala der Werte ganz oben, auf Platz eins?
Prinz Asserate: Auf jeden Fall. Denn, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, wissen wir auch nicht, wohin wir gehen.
von Löwis: Im Rosengarten Ihres Vaters blühte eine Konrad-Adenauer-Rose. Sie haben die Deutsche Schule in Addis Abeba besucht, sind mit deutschen Märchen aufgewachsen. Woher rührt diese Nähe zu Deutschland, diese Verbundenheit mit Deutschland?
Prinz Asserate: Wie Sie schon sagten - seit meiner Kindheit habe ich mit Deutschen und Deutschland zu tun: Ich hatte eine deutsche Erzieherin, jedenfalls eine deutsch-sprechende Erzieherin - sie war Österreicherin -, und meine Eltern schickten mich auf die Deutsche Schule. Ich nehme an, weil sie in erster Linie wollten, dass ich eine zweite Fremdsprache erlernte, aber weil auch das Standing - neudeutsch - der Bundesrepublik Deutschland sehr hoch war und die Schule einen hervorragenden Ruf in Addis Abeba genoss.
von Löwis: Aber ihre erste Kinderfrau war ja eine Dame aus dem russischen Adel,...
Prinz Asserate: Richtig.
von Löwis: Und trotzdem erwähnen Sie Puschkin mit keinem Wort in ihrem Buch.
Prinz Asserate: Weil ich auch sehr wenig damals natürlich von ihr über Puschkin gehört habe. Sie hat mir über die Französische Revolution, die sie ja auch traumatisiert hatte, sehr viel als Kind erzählt. Aber interessanterweise habe ich erst später von Puschkin gehört, als ich dann auf der Schule war. Und wir Äthiopier sind natürlich stolz, Puschkin zu einem der unsrigen zu zählen, neben Peter Ustinov übrigens, die beide äthiopische Vorfahren hatten.
von Löwis: Der "Mohr Peter des Großen", Ibrahim Hannibal.
Prinz Asserate: Ibrahim Hannibal war ein Äthiopier.
von Löwis: Das wird ja in Russland heute nicht verschwiegen.
Prinz Asserate: Das wird nicht verschwiegen. Ganz im Gegenteil. Und in Äthiopien auch nicht. Wir haben sogar eine Puschkin-Straße. Wir haben eine äthiopisch-russische Gesellschaft, die sich Puschkin nennt, und vieles mehr. Viele seiner Werke sind auch ins Amharische übersetzt worden.
von Löwis: Prinz Asserate, Russland - Äthiopien, da gibt es ja viele Parallelen: die Ermordung der Zaren-Familie, die Ermordung der äthiopischen Elite - darunter ihr Vater, der Vize-König von Eritrea - zwei besonders dunkle Kapitel der Weltgeschichte.
Prinz Asserate: Das kann man wohl sagen. Auch später, was dann mit Mengistu kam. Man kann die Mengistu-Ära durchaus mit der Ära Stalin in Russland vergleichen. Wenige in Europa wissen, dass dieser Massenmörder über zweieinhalb Millionen Seelen zu verantworten hat.
von Löwis: Sie schreiben ja, Abneigung gegen Diktatur und Kommunismus sei Ihnen in die Wiege gelegt worden. War das die Kinderfrau, die russische?
Prinz Asserate: Es begann damit. Das ist richtig. Aber je mehr ich dann über die russische Revolution las, je mehr ich überhaupt über Diktaturen kennen lernte, so wurde ich doch wirklich zu einem großen Demokraten, würde ich sagen. Ich habe gehofft, dass Äthiopien eines Tages den Weg des Westens gehen würde. Ich habe damals nicht an die kommunistische oder die Französische Revolution geglaubt, sondern an die glorreiche Revolution von 1688, so dass mein politisches Bild geprägt war von Großbritannien. Die wunderbare Art und Weise wie dieses Land durch Reformen letzten Endes Tradition und Zukunft in einem, sozusagen, zusammengebracht hat und bis zum heutigen Tag einen großartigen Weg gegangen ist, das hat mich doch sehr beeindruckt, und da ist auch meine seelische Grundlage.
von Löwis: War denn das Kommunismus, was da von Mengistu Haile Mariam in Äthiopien praktiziert wurde, oder einfach nur "Roter Terror" auf Äthiopisch?
Prinz Asserate: Es ist, Sie sagten es, Roter Terror auf Äthiopisch. Ihm wäre es ziemlich egal, ob man ihn als Freund Amerikas oder Russlands gezählt hätte. Er hätte an jedes Land seine Seele verkauft, solange sie ihn tolerierten und solange sie ihn mit Waffen belieferten. Und insofern wurde Mengistu, sagen wir mal, unfreiwillig zum kommunistischen Diktator. Er war ein äthiopischer Diktator und ein äthiopischer Massenmörder.
von Löwis: Verstand er denn etwas von Marxismus, Leninismus? Hat er die Schriften von Marx und Engels gelesen?
Prinz Asserate: Man hat mir gesagt, er hätte zwei oder drei Lehrer aus Frankreich, Äthiopier, die in Frankreich studiert haben, die ihm das abends beigebracht haben. Aber, wie bei vielem, war er auch dabei nicht sehr gut.
von Löwis: Einer der wichtigsten Helfershelfer des Roten Terrors in Äthiopien hieß Erich Honecker. Wie kam dieser Bruderbund Ost-Berlin - Addis Abeba eigentlich zustande?
Prinz Asserate: Aus dem ganz einfachen Grunde: Mengistu brauchte Menschen, die ihm halfen, den Sicherheitsdienst in Äthiopien aufzubauen, und darin war ja, wie wir wissen, die ehemalige DDR ganz oben. Wir hatten zeitweise sogar einen DDR-General als Leiter der äthiopischen Sicherheitsabteilung. So kam die Freundschaft. Und es ist traurig, heute festzustellen, dass das Gastgeschenk Erich Honeckers zum zehnjährigen Geburtstag der äthiopischen Revolution eine moderne Tortur-Anlage war.
von Löwis: Aber es gab ja auch als Geschenk ein Karl-Marx-Denkmal aus Ost-Berlin...
Prinz Asserate: Na ja. Das ist nur für die breiten Massen, damit man die Freundschaft der beiden sozialistischen Länder demonstrierte. Aber das wahre Geschenk - davon haben nur wenige gewusst.
von Löwis: Und Honecker hat öffentlich erklärt, die DDR habe keinen Moment gezögert, Äthiopien Waffen und Brot zu liefern. Hat die DDR auch Brot geliefert?
Prinz Asserate: Kein bisschen. Woher soll sie? Sie war doch auch nicht einmal in der Lage, ihr eigenes Volk zu ernähren. Wie kam sie dazu, Äthiopien zu ernähren? In beiden Fällen haben westliche Länder Äthiopien geholfen. Und es war der Westen, der die Hungerkatastrophe ´74, dabei unter anderem auch die großartige Kampagne vom STERN, und zweitens natürlich 1985 die noch größere katastrophale Hungerskatastrophe durch Mengistu - die wurde einseitig nur von dem Westen unterstützt. Die so genannten Warschauer-Pakt-Länder haben dazu beigetragen, Mengistu an der Macht zu erhalten, indem sie für viele Milliarden Waffen nach Äthiopien geliefert haben.
von Löwis: Prinz Asserate, wer Ihr Buch liest, der könnte den Eindruck gewinnen, dass sich das äthiopische Kaiserhaus sein eigenes Grab gegraben habe. Der Kaiser war ein weltweit geachteter Führer, ein Führer der Dritten Welt. Hat er nicht gesehen, dass in seinem Land Menschen gehungert haben? Hat er nicht erkannt, dass auch Monarchien mit der Zeit gehen müssen - das heißt, sich verändern, demokratisieren müssen?
Prinz Asserate: Wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben und absoluter Herrscher sind, dann werden ihnen, leider Gottes, viele Dinge unklarer. Sie glauben darüber zu stehen. Sie glauben der einzige zu sein, der das Land retten kann, und ohne sie würde nichts mehr gehen. In dieser Situation war der äthiopische Kaiser, in meinen Augen, seit den späten sechziger Jahren.
von Löwis: 1941 hatte der Kaiser ja verkündet, sein Ziel sei es, Äthiopien vom Feudalismus zu befreien. War das nur ein leeres Versprechen, oder gab es tatsächlich Ansätze in dieser Richtung?
Prinz Asserate: Ansätze?! - Er war der größte Feind des Feudalismus überhaupt. Und es ist eine Chimäre, zu glauben, dass Äthiopien politisch ein feudalistischer Staat war 1974. Äthiopien war eine absolute Monarchie und kein Feudalstaat. Da gibt es einen sehr gewaltigen Unterschied. Feudal an Äthiopien waren einzig und allein die Besitzverhältnisse, d.h. Landbesitz. Ein Drittel des Landes gehörte dem äthiopischen Adel, ein Drittel der Kirche und ein Drittel dem Kaiserhaus. Das war feudal. Aber politisch gab es nur einen einzigen Herrscher, und zwar Haile Selassie I. Feudale Strukturen sind seit 1941 nicht mehr in Äthiopien zu finden. Vorher gab es die großen Rase, die Fürsten, die Herzöge, die ihre eigenen Armeen hatten. 1941 wurde zum ersten Mal in der Geschichte Äthiopiens eine nationale Armee gegründet. Damit wurde Kaiser Haile Selassie zum Alleinherrscher über das Gebiet.
von Löwis: Also, der Feudalismus ist tatsächlich bekämpft worden?
Prinz Asserate: Der ist bekämpft worden. Kaiser Haile Selassie ist der einzige Mann, der von sich sagen kann, er hat den Feudalismus in Äthiopien zerstört.
von Löwis: Prinz Asserate, die Geschichte Äthiopiens ist faszinierend, und sie ist ein Trauerspiel in vielen Akten. Äthiopien - ein faszinierendes Trauerspiel? Gilt das auch für die Gegenwart, das postsozialistische Äthiopien von heute?
Prinz Asserate: Ich will Ihnen sagen, dass ich sehr traurig bin, dass mein Land immer noch nicht demokratisiert worden ist. Wir hatten große Hoffnungen 1991, und diese Hoffnungen sind nicht erfüllt worden. Ich hoffe sehr, dass - jetzt am 11. September beginnen wir ein neues Jahrhundert nach der äthiopischen Zeitrechnung, nach dem äthiopischen Kalender, dem alexandrinischen; das Jahrtausend, das neue Jahrtausend 2000 bricht an -, und ich hoffe, dass wir dann von den Fehlern der letzten 15 Jahre lernen werden, dass wir Äthiopien endlich demokratisieren werden, dass wir den äthiopischen Bauern zum Besitzer des Landes, das er bebaut, machen werden und dass wir neue wirtschaftliche Strukturen in Äthiopien akzeptieren werden. Das ist meine Hoffnung für das neue Jahrtausend, das wir am 11. September beginnen.
von Löwis: Prinz Asserate, so spannend Äthiopien ist, so interessant - ein Wort bitte noch über Ihre zweite Heimat, über Deutschland. Sie haben eine Liebeserklärung an Deutschland zu Papier gebracht. Gibt es denn nichts zu kritisieren an Deutschland, außer den Manieren mancher Leute?
Prinz Asserate: Wissen Sie, es gibt genügend Menschen, die das tun. Warum soll da ein Äthiopier auch noch seinen Senf dazugeben? Ich fühle mich in der Rolle gut, auch mal die guten Seiten dieser zweiten Republik zu sehen, darüber zu sprechen und zu sagen: Meine deutschen Mitbürger freut euch, dass ihr einen solchen Staat habt! Auch das muss mal ab und zu gesagt werden.
von Löwis: Nachgefragt: Hätte das demokratische Deutschland nicht mehr tun können gegen den "Roten Terror" in Äthiopien? Die DDR hat sich ja auch nicht lumpen lassen auf der anderen Seite der Barrikade.
Prinz Asserate: Wem sagen Sie das. Und ich hoffe, dass in Zukunft die Bundesrepublik Deutschland eine Afrika-Politik - nicht nur eine Äthiopien-Politik - haben wird, die auf die Achtung der Menschenrechte noch stärker aufbaut als das bis heute der Fall gewesen ist.
Asfa-Wossen Asserate: "Ein Prinz aus dem Hause David und warum er in Deutschland blieb", Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2007, EUR 19,90.