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Ein Stern erster Größe (2)

Er galt als kosmopolitischer Aufklärer, geistreicher Prosaist, Verserzähler, Essayist und Übersetzer: der Dichter Christoph Martin Wieland, der vor 275 Jahren, 1733, geboren wurde. Wieland schrieb aber nicht nur für den Leser, sondern auch für den Zuhörer: So verfasste er zahlreiche Texte und dramaturgische Vorlagen für Opern wie Alceste oder Oberon.

Von Albrecht Betz |
    Mit einer ansteigenden Dreitonfolge des Horns - ein Leitmotiv, das Geheimnisvolles suggeriert - beginnt die Romantische Feenoper Oberon oder der Eid des Elfenkönigs, die letzte Carl Maria von Webers. Sie wurde fast ein halbes Jahrhundert nach Wielands berühmtem Text von 1780 komponiert.

    Zwar entstand Webers dreiaktiges Spätwerk als Ausstattungsrevue für den englischen Geschmack, als Mischform zwischen Schauspielmusik und vorromantischer Nummernoper; im Grunde aber ist es eine Rückkehr zum Singspiel, dem Vorläufer der deutschen Oper.

    An dessen Anfang Wieland steht: als Librettist für den heute fast vergessenen Anton Schweitzer und beider gemeinsames Weimarer Opus von 1773, Alceste.

    Wovon die Rede sein wird. Bei Webers Oberon, den der Direktor des Londoner Covent Garden beim Komponisten des Freischütz bestellt hatte, war Wielands Versepos von einem gewissen Planché zu einem reichlich konfusen Libretto verarbeitet worden. Das hat bis heute - trotz zahlloser Bearbeitungen - eine Rückkehr auf die Spielpläne verhindert.

    Gleichwohl: Mag der Ablauf dramaturgisch unhaltbar sein, die Musik gibt dramatische und lyrische Naturstimmungen von aparter Schönheit wieder. Anders und doch ähnlich wie in Wielands Versepos sind heterogene Elemente höchst artifiziell ineinander verwoben: das Geisterreich der Elfen und der Oberon-Titania-Konflikt aus Shakespeares Sommernachtstraum, die mittelalterliche Ritterromantik, die schillernde Sphäre des Orients.

    Dass am Ende die Treue und die Versöhnung über alle Konflikte triumphieren, entspricht sicher dem Zeitgeschmack. Webers - kleinere - kompositorische Vorgänger hielten es bei ihren Oberon-Versionen nicht anders, ohne auch nur entfernt seinen Reichtum der Charakteristik und der Kontraste aus dem musikalischen Material gewinnen zu können.

    Und ohne dass bei ihnen die Musik selber in den blinden, ausweglosen Naturzusammenhang des Schicksals verändernd eingreifen und der Herrschaft von Gewalt ein Ende bereiten, die Idee des Humanen in ihrer Mitte aufgehen würde.

    Wieland nennt den Oberon im Untertitel Ein romantisches Heldengedicht. Er hat es in zwölf Gesänge gegliedert; man könnte vermuten, dass seine Dichtung selbst zwischen Oper und Roman steht?

    Die Oper wird der Ort des Mythos, der Utopie, des Wunderbaren, der Sinnstiftung. Ihre Welt ist die Einheit von Effekt und Affekt, das Irreale ist ihr selbstverständlich. Sie ist die Antwort auf die universelle Entzauberung. Ihre Welt ist Bild, Gefühl, Passion, Pathos - mit der Musik als erzählender Instanz.

    Der Roman ist der ironische Ort des Widerstreits zwischen dem inneren Verlangen der "Seele" und der entzauberten Realität. Seine Welt ist die des Worts, der Bedeutung, der Analyse, des Ethos.

    Im Zentrum von Webers Opernästhetik steht die ganzheitliche Wirkung von Poesie, Musik und Szene, die gegenseitige Befruchtung der Künste - weit elaborierter natürlich als fünfzig Jahre zuvor Wieland in seinem Versuch über das deutsche Singspiel forderte - und noch nicht so explizit, wie sie Wagner in seiner Idee des "Gesamtkunstwerks" aufgreifen wird.

    Zurück zu Wielands Oberon, der auch in seinem eigenen Werk einen Gipfel darstellt und sogleich in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde.

    Dass das Edle und Humane zuletzt doch siegt über das Böse und Inhumane, dass alles im Guten endet - dies die Botschaft - setzt durchaus die Tatkraft der Protagonisten voraus, verlangt, dass sie Widerstand gegen den Fatalismus leisten. "Schicksal" ist zu gestalten, durch Prüfung und Bewährung hindurch. Am Horizont steht eine Vorstellung von individueller Eigenverantwortlichkeit, die weit hinausweist über den zeitgenössischen, absolutistischen Kontext.

    Es ist jedoch der Ton souveräner Heiterkeit, die Mischung von Skepsis und rokokohaft Verführerischem, von Idealität und ihrer ironischen Brechung, der dem gleichnishaft-zeitlosen Märchenraum jene Atmosphäre verleiht, die dem Oberon Charme und Anziehungskraft bis heute erhalten.

    Wielands Hohelied auf Liebe und Humanität ist in schwebender Anmut vorgetragen; die geschmeidige, raffinierte und melodiöse Sprache, die virtuose Behandlung der Stanze: All dies fließt zusammen zu einem Modell epischer Verskunst.

    Goethe, der sich doch selbst als den Messias der Dichtkunst sah, sandte Wieland sofort nach Erscheinen des Oberon, im März 1780 einen Dichter-Lorbeerkranz und schrieb ihm dazu:

    "Unter Lesung deines Oberons hätte ich oft gewünscht, dir meinen Beifall und Vergnügen recht lebhaft zu bezeugen, es ist so mancherlei, was ich dir zu sagen habe, dass ich dirs wohl nie sagen werde. Indessen, weißt du, fällt die Seele bei langem Denken aus dem Mannigfaltigen ins Einfache, drum schicke ich dir, statt alles, ein Zeichen, das ich dich bitte, in seinem primitiven Sinne zu nehmen, da es viel bedeutend ist. Empfange aus den Händen der Freundschaft, was dir Mitwelt und Nachwelt gern bestätigen wird. Oberon wird, solange Poesie Poesie, Gold Gold und Kristall Kristall bleiben wird, als ein Meisterstück poetischer Kunst geliebt und bewundert werden."

    Damit ist auch die bis dahin in deutschen Dichtungen ganz ungewohnte Leichtigkeit im Fluss und Wandel der Bilder gemeint; manches ließe sich heute durchaus als Vorlage für eine sublime Filmsequenz, als Folge von Epiphanien lesen, so diese beiden Strophen vom Schluss des Epos:

    "Die Liebenden - sich kaum besinnend - in die Wonne
    Der andern Welt verzückt - sie wallen, Hand in Hand,
    Den Doppelreihen durch: als, gleich der Morgensonne
    In ihrem Bräutgamsschmuck, der Geist vor ihnen stand.
    Nicht mehr ein Knabe, wie er ihnen
    In lieblicher Verkleidung sonst erschienen -
    Ein Jüngling, ewig schön und ewig blühend, stand
    Der Elfenkönig da, den Ring an seiner Hand.

    Kaum dass das letzte Wort von Oberons Lippen fiel,
    So sah man aus der Luft sich eine Wolke neigen,
    Und aus der Wolke Schoß, bei goldner Harfen Spiel,
    Mit Lilien vor der Brust drei Elfentöchter steigen.
    Im Arm der dritten lag ein wunderschöner Knab,
    Den sie, auf ihren Knien, Titanien übergab.
    Süß lächelnd bückt zu ihm die Königin sich nieder,
    Und gibt, mit einem Kuß, ihn seiner Mutter wieder."

    Und es ist der unvergleichliche, wie selbstverständlich schwingende Rhythmus, den Goethe bewundert. So in einer der folgenden Strophen, der die wiedervereinten Liebenden nach ihrer ersten Nacht sich wieder orientieren lässt:
    "In einen sanften Schlaf verlor sich wonniglich
    Der selge Traum. Und mit dem Tage fanden
    Sie beide, Arm in Arm, wie neu geboren, sich
    Auf einer Bank von Moos. Zu ihrer Seite standen
    Im leicht umschattenden Gebüsch,
    Reich aufgeschmückt, vier wunderschöne Pferde,
    Und ringsum lag ein schimmerndes Gemisch
    Von Waffen, Schmuck und Kleidern auf der Erde."

    Was weiß man über den realen Kontakt Wielands zur Musik?

    Mit neun erhielt er Unterricht bei einem Biberacher Organisten, in Orgel und Musiktheorie. Das abendliche Klavierspiel behielt er lebenslang bei. Konzerte mit italienischer Opernmusik etwa von Pergolesi und Galuppi hatte er bereits in seiner zweiten Biberacher Zeit beim Grafen Stadion auf Schloss Warthausen gehört.

    Schon bei seinem Wechsel von Erfurt nach Weimar trieb ihn die Idee um, wie eine deutsche Nationaloper beschaffen sein müsse, die sich gegen die dominierenden Italiener und Franzosen durchzusetzen vermöge. Wieland beklagt, dass in ganz Deutschland kein lyrisches Theater zu finden sei.

    Vorausgegangen waren - in der damals geführten Diskussion - Fragestellungen wie die, ob der Gesang auf der Schaubühne unnatürlich sei - womit die Oper der Forderung nach Naturnachahmung nicht entspreche - oder ob der Ausstattungsprunk der Oper und ihr Unterhaltungsaspekt die Menschen nicht von nützlichem Tun abhalte. Viel dichter am Problem - und unvermindert aktuell - war aber die Klärung der Frage nach dem Zusammenspiel von Text und Musik, nach der Zusammenarbeit von Librettist und Komponist als Voraussetzung bedeutender Werke.

    Natürlich kannte Wieland die Bestrebungen Rousseaus, der als musikalischer Autodidakt komponierte, zu einer neuen Einfachheit zu gelangen, "natürlichen" Emotionen Ausdruck zu verleihen. In seinem Brief über die französische Musik, einer aktuellen Bestandsaufnahme, hatte Rousseau boshaft bemerkt:

    "Man sieht die Sängerinnen fast in Krämpfen gewaltsam dieses Gekreisch aus ihren Lungen hervorpressen, ihre Fäuste an die Brust geschlagen, den Kopf zurückgeworfen, das Gesicht feuerrot, die Muskeln angeschwollen und mit schüttelnden Bäuchen. Wahrscheinlich beklatscht man die Schreie einer Opernsängerin wie die Kraftakte eines Jahrmarktgauklers: die Sensation ist unangenehm und peinlich, man leidet, solange sie dauert, aber man ist so erleichtert, wenn sie ohne Unfälle zu Ende geführt wird, dass man spontan in Freudenrufe ausbricht."

    Dass man es "weniger manieriert, wahrer" haben müsse, wird als Forderung Allgemeingut, ebenso der Anspruch, Gefühle musikalisch ernst - und das heißt: anders denn als komponierte Rhetorik zu nehmen. In Wielands Worten:

    "Ich glaube, dass, zumal in einem lyrischen Schauspiel, die Kunst, wenig Worte zu machen, ungleich größer ist. Wie unendlich ist die Sprache der Empfindung von der Sprache der Rednerschulen verschieden. Was für unaussprechliche Dinge kann sie mit Einem Blick, Einer Gebärde, Einem Tone sagen."

    Das Ziel dieser Wirkung bezeichnet Wieland als "Beförderung der Humanität".

    Will nicht Anna Amalia genau das in Weimar etablieren: eine Nationalbühne für Schauspiel und Oper, die Vorbildcharakter auch als moralische Orientierungsinstanz besitzt?

    Eben dies macht für Wieland die Berufung nach Weimar attraktiv - und interessiert ihn weit mehr als seine Aufgabe als Prinzenerzieher. Die Ambition ist - wie er in einem Briefwechsel schreibt -, ein Ensemble mit professionellen Künstlern zu bilden und einen überregionalen, wenn möglich nationalen "Einfluss auf Geschmack und Sitten" zu nehmen, wörtlich:

    "ein Theater würdig der Hauptstadt der Nation, wenn es eine gäbe."

    Wieder der Hauptstadtkomplex: die verspätete Nation mit dem mangelnden Zentrum

    und die Hoffnung, im kleinen, ehrgeizigen, aber finanzschwachen Weimar der aufwändigen und darum unmöglichen Oper das bescheidenere Singspiel zu substituieren.

    Wieland trifft in Weimar auf die Seylersche Theatertruppe, die hier, dank der Herzogin, seit kurzem sesshaft geworden ist. Seyler kommt von Lessings Hamburger Nationaltheater, engagiert sich für Shakespeare und trifft nun mit dem Shakespeare-Übersetzer Wieland zusammen. Seine Truppe hat reichlich Erfahrung mit Musiktheater und verfügt über vergleichsweise gute Sänger. Kapellmeister und Hauskomponist ist Anton Schweitzer, der sich zuvor ausgiebig in Italien umgesehen hatte. Wieland war auf ihn aufmerksam geworden, als Rousseaus Melodram Pygmalion mit Schweitzers Musik in Weimar aufgeführt worden war.

    Gleich das erste Singspiel, das Wieland und Schweitzer als Duo von Autor und Komponist - nach kleineren Vorarbeiten gemeinsam zeichnen und 1773 in Weimar uraufführen, wird zum gesamtdeutschen Triumph - freilich auch zum einzigen.

    Mit Alceste haben sie einen der populärsten Opernstoffe des 17. und 18. Jahrhunderts gewählt. Neben zahlreichen anderen liegen Vertonungen von Lully und Gluck vor, die Wieland in der Partitur studiert hat. Auch die Libretti von Metastasio, der als Italiener zum Wiener Hofpoeten aufgestiegen ist, hat er sich genau angeschaut. Metastasio hatte die Sprache des Textbuches einfach gestaltet, Chöre in seine Libretti eingeführt und ein moralisches Theater angestrebt, das seine Sujets aus der Vergangenheit schöpft.

    Alceste steht aber nur noch zum Teil in dieser Linie. Wieland hat eine antike Fabel, bereits von Euripides dramatisch gefasst, überführt in eine anrührende Geschichte, die Liebe, Tod und Opferbereitschaft einer Gattin thematisiert und die durch göttliches Eingreifen zum Happy End geführt wird: Das musste im Zeitalter der Empfindsamkeit Chancen auf Erfolg haben. Die Reduktion auf vier Personen, eine nicht allzu verwickelte Handlung, hingegen nuancierter Gefühlsausdruck, sowie eine Stilmischung aus Gluckscher Reformoper und neapolitanischer Oper: Damit kommt Alceste 1773 vermutlich zum rechten Zeitpunkt, um dem Singspiel und dem ersten Ausdruck einer neuen Subjektivität die Bahn zu brechen.

    Erzählt wird der Mythos von der selbstlosen griechischen Königin Alceste, die bereit ist, ihr Leben für ihren todgeweihten Gemahl Admet zu opfern; der Halbgott Herkules, der mit Admet befreundet ist, rettet sie am Unterweltfluss und führt sie wieder ihrem Gatten zu.

    Übrigens scheint in Alceste gerade die Ouvertüre das am wenigsten Neue, derart spätbarock und gravitätisch kommt sie einher. Man spricht von einem Meilenstein auf dem Weg zur 'deutschen Oper' auch, weil alles an Alceste deutsch ist: der Text, die Musik, die Künstler;

    bis auf das griechische Sujet. Ist da nicht einen Widerspruch zwischen Wielands Absicht, Kunstwerke mit deutschem, nationalem Anspruch zu kreieren und dem merkwürdigen Sachverhalt, dass er die Handlungen fast aller seiner Text, außer dem Oberon und wenigen anderen, auch die seiner Romane, ins Umfeld der griechischen Antike stellt?

    Das scheint in der Tat paradox und ist ihm in der Vergangenheit häufig zur Last gelegt worden; einige Kritiker erklärten damit auch das sich rasch vermindernde Interesse an seinen Werken.
    Vielleicht kann man so sagen: Für den Kosmopoliten Wieland würde der Versuch, deutsche Inhalte, Zustände der 1770er Jahre in der Literatur darzustellen oder einheimische Sitten zu schildern bedeuten, Deutsches auf einem im europäischen Vergleich unterentwickelten Niveau festzuschreiben.

    Die "schöne Gesellschaft" - als eine der großzügigen Urbanität, der Weite und Toleranz - wäre zeitgenössisch allenfalls in England oder Frankreich, in Hauptstädten wie London oder Paris aufzufinden. Der höchste kulturelle Standard, von dem Maßstäbe zu beziehen sind, bleibt für Wieland die griechische Antike.

    Er schreibt primär für ein europäisches, gebildetes Publikum, für das die Kenntnis der antiken Welt durch eine ähnliche Erziehung gemeinsame Grundlage ist. Vom Ideal aufgeklärter Geselligkeit sind die Deutschen natürlich nicht ausgeschlossen, die Perspektive besteht für sie ebenso, nur scheint eine rasche Annäherung an dies Ideal utopisch: Es fehlen die Bedingungen und das hat historische Gründe.

    Damit haben wir uns von Alceste weit entfernt.

    Nicht so sehr. Denn das antike Milieu ist bei Wieland immer auch Spiegel- und Gegenbild der eigenen Zeit. Im dritten Akt gibt es eine Arie der Parthenia, in der auf knappem Raum, genauer, in der kurzen Dauer von eineinhalb Minuten, Schmerz ausgedrückt wird: auf deutsch, zeitlos wenngleich im griechischen Kostüm - und auf der Höhe der europäischen Ausdruckskunst.

    Die riskanteste Tat des Herkules - einer der beiden männlichen Figuren - ist die Rückholung der Alceste aus der Unterwelt. Die Gefahren nimmt er aus reiner Freundschaft auf sich: für den Freund Admet setzt er sein Leben ein. Neben Liebe und Tod ist Freundschaft ein weiteres zentrales Thema im Zeitalter der Empfindsamkeit. Sie ist eine der Voraussetzungen für Zuversicht im Leben.

    Für Wieland war der Gradmesser des Erfolgs zu dieser Zeit offenbar die emotionale Reaktion des Publikums. In einem Brief nach der Uraufführung schreibt er:

    "Alle Augen strömten über; die Unempfindlichsten wurden gerührt, und die Gefühlvollen fanden sich in einigen Scenen von Empfindung erdrückt."

    Für Wieland ist Musik die Kunst, die es versteht, "mit starken Gefühlen den Busen auszudehnen"; eine emotionale Großmacht, die ihn fasziniert.

    Schon bald wird das Erfolgs-Duo Wieland-Schweitzer vom - in Musik-Dingen damals führenden - deutschen Hof Mannheim eingeladen, ein weiteres Singspiel zu schreiben. Mannheim verfügt damals über das beste deutsche Orchester und gilt als "pfälzisches Athen".

    Rosamund aber, so der Titel des neuen Opus - die Liebesgeschichte eines englischen Königs und seiner Mätresse - steht unter keinem guten Stern. Wieland, obwohl er zeitweilig sicher ist, an den Erfolg von Alceste anknüpfen, ja ihn überbieten zu können, zumal er Schweitzers Komposition "zum Entzücken schön" findet, erntet für sein Libretto noch vor der Aufführung massive Kritik von befreundeten Schriftstellerkollegen. Im Mai 1777 schreibt er an Merck:

    "Vor Mannheim behüte mich der Himmel. Meine Rosemunde ist (Ihnen ins Ohr gesagt), ein dummes Ding, das weder gedruckt, noch anderswo als etwan in Gotha oder Weimar aufgeführt werden kann und darf. Nach dieser letzten misslungenen Probe erkenne und bekenne ich vor Gott und Menschen, dass ich weder Sinn noch Talent für dramatische Composition habe, und soll mich dieser oder jener etc. wenn ich mich wieder verführen lasse, eine Oper zu schreiben. Man schreibt seine Schande daran, und die Freude die man an der Musik dafür haben könnte, wird einem doch immer auf mancherley Art verkümmert. Ich werde Noth haben, von Mannheim mit leidlichem Anstand loß zu kommen: aber es muss doch gehen; und hab ich nur erst den Kopf aus der Schlinge, so sollen sie mich nicht wieder kriegen."

    Gleichwohl tritt Wieland Ende 1777 die Reise nach Mannheim an, um den Proben und der für Januar angesetzten Uraufführung beizuwohnen. Zu der kommt es nicht, da der überraschende Tod des Kurfürsten die Stadt zeitweilig ins Chaos stürzt. Aber: Wieland lernt den jungen Mozart, einen Wieland-Leser kennen. Der schreibt über seinen ersten Eindruck in einem Brief an seinen Vater Leopold:

    "Nun bin ich mit Herrn Wieland auch bekannt. Er kennt mich aber noch nicht so, wie ich ihn; denn er hat noch nichts von mir gehört. Ich hätte mir ihn nicht so vorgestellt wie ich ihn gefunden; er kommt mir im reden ein wenig gezwungen vor. Eine ziemlich kindische Stimme; ein beständiges Gläselgucken, eine gewisse gelehrte Grobheit, und doch zuweilen eine dumme Herablassung. Mich wundert aber nicht dass er - wenn auch zu Weimar oder sonst nicht - sich hier so zu betragen geruhet, denn die Leute sehen ihn hier an, als wenn er vom Himmel herabgefahren wäre. Man geniert sich ordentlich wegen ihm, man redet nichts, man ist still; man gibt auf jedes Wort acht, was er spricht; - nur schade, dass die Leute oft so lange in der Erwartung sein müssen, denn er hat einen Defect in der Zunge, vermög er ganz sachte redet, und nicht 6 Worte sagen kann, ohne einzuhalten. Sonst ist er, wie wir ihn alle kennen, ein fortrefflicher Kopf. Das Gesicht ist von Herzen hässlich, mit blattern angefüllt, und eine ziemlich lange Nase. Die Statur wird sein: beyläufig etwas größer als der Papa."

    Vierzehn Tage später kann Mozart seinem Vater die erste Anerkennung durch den berühmten Weimarer Autor vermelden:

    "Herr Wieland ist, nachdem er mich nur zweimal gehört hat, ganz bezaubert. Er sagte das letztemal nach allen möglichen Lobsprüchen zu mir: es ist ein rechtes Glück für mich, dass ich Sie hier angetroffen habe, und druckte mich bei der Hand."

    Umgekehrt sind Wielands Briefe der letzten Jahrzehnte voller Hinweise auf Mozart-Opern und beglückende Hörerlebnisse. In einem Brief an Reinhold, 1794, heißt es über die Zauberflöte, dass sie

    "eine solche Zauberkraft hat, dass man sie nicht genug hören kann."

    Da klingt bei Wieland eine Saite mit - ist nicht der Oberon schon eine Form der Zauberflöte ?

    Schikaneder, der Wiener Librettist und Logenbruder Mozarts, hatte sich auch sonst freihändig bei Wieland bedient, so aus seiner Sammlung von Feen- und Geistermärchen Dschinnistan; sie enthielt das Märchen Lulu oder die Zauberflöte.

    Die Verschmelzung divergierender Elemente - des geheimnisvollen Orients, des bunt-fröhlichen Volksstücks, der Ideale der Aufklärung - verdichtet und sublimiert durch vielfältige Verweise und Anspielungen, zielen auf eine in offener Vielfalt gründende, freundliche und generöse Humanität, die Klassenschranken überspringt und in der der Mensch dem Menschen ein Helfer ist.

    Schon in der zweiten Szene des ersten Akts kommt es zum Duett einer volkstümlichen Figur - des Vogelmenschen Papageno - und der Prinzessin Pamina. Es geht um Gefahr und Gefangenschaft, Hoffnung auf Befreiung und Rettung, man könnte sagen: um existentielle Grenzsituationen. Dass auch in ihnen die Grundtriebe lebendig bleiben und liebenswürdig in Erscheinung treten können, das hat Mozart - ganz im Geiste Wielands - komponiert.