Deren Musik lebte am unteren Rand der Gesellschaft, auf den Baumwollfeldern der Südstaaten, unter Wanderarbeitern und armen Kleinpächtern, in Gefängnissen und Kaschemmen, wo man sich als Weißer besser nicht blicken ließ.
Ein Umstand kam den beiden Feldforschen bei ihrer Arbeit wesentlich zu Hilfe: Zu Beginn der 30er Jahre ermöglichte ihnen die Entwicklung der erste mobilen Tontechniken Aufzeichnungen vor Ort. Entscheidend waren allerdings der Enthusiasmus und die Opferbereitschaft von Vater und Sohn: Ihr Leben lang überwanden sie Hindernisse und finanzielle Schwierigkeiten im Dienste der selbst gewählten Mission - der Aufzeichnung und Archivierung des musikalischen Erbes der USA. Anders als sein Vater sorgte Alan Lomax darüber hinaus dafür, dass die aufgespürten Schätze über Radiosendungen, Schallplatten und Dokumentarfilme eine Öffentlichkeit erreichten, in der sich vor allem eine jüngere Generation von Sängern und Musikern für dieses Erbe begeisterte und bald, seit den 60er Jahren, in vielerlei Metamorphosen fortführte.
Heerscharen von Musikern des Rock-'n'-Roll, Rhythm and Blues, Rockabilly, Soul oder Beatmusik wären nicht vorstellbar ohne Vorbilder wie Leadbelly, Muddy Waters, Big Bill Broonzy, Sonny Terry, Lightnin' Hopkins - all die Heroen des schwarzen Blues aus dem Mississippi-Delta. Und dieser Blues war schließlich die kräftige Wurzel aller populären angloamerikanischen Musik, soweit sie sich nicht aus Volksmusik europäischen Ursprungs bediente.
Im Sommer 1933 ermöglichte ein bescheidenes Stipendium der "Library of Congress" Vater und Sohn Lomax eine viermonatige Studienreise durch den Südosten der USA - 26.000 Kilometer in einem alten Ford-A-Modell, ausgestattet mit einem vier Zentner schweren Aufnahmegerät, zwei Feldbetten und Kochausrüstung. Es war der Auftakt einer zehnjährigen Zusammenarbeit mit dem "Archive of American Folk Song" der Kongressbibliothek, die erst im Zweiten Weltkrieg durch Streichung der Mittel ein Ende fand. Für den damals gerade 18jährigen Alan Lomax indes war es der Beginn einer lebenslangen rastlosen Jagd nach Zeugnissen mündlicher Überlieferung in Wort und Musik.
Nach dem Tod des Vaters floh er vor der Hexenjagd McCarthys nach Europa. Er sammelte nun schottische Balladen, spanische Romanzen und sizilianische Wechselgesänge, Hirtenlieder aus Kastilien, Tanzmelodien und Gesänge von Frauenchören aus den Abruzzen.
Ein Umstand kam den beiden Feldforschen bei ihrer Arbeit wesentlich zu Hilfe: Zu Beginn der 30er Jahre ermöglichte ihnen die Entwicklung der erste mobilen Tontechniken Aufzeichnungen vor Ort. Entscheidend waren allerdings der Enthusiasmus und die Opferbereitschaft von Vater und Sohn: Ihr Leben lang überwanden sie Hindernisse und finanzielle Schwierigkeiten im Dienste der selbst gewählten Mission - der Aufzeichnung und Archivierung des musikalischen Erbes der USA. Anders als sein Vater sorgte Alan Lomax darüber hinaus dafür, dass die aufgespürten Schätze über Radiosendungen, Schallplatten und Dokumentarfilme eine Öffentlichkeit erreichten, in der sich vor allem eine jüngere Generation von Sängern und Musikern für dieses Erbe begeisterte und bald, seit den 60er Jahren, in vielerlei Metamorphosen fortführte.
Heerscharen von Musikern des Rock-'n'-Roll, Rhythm and Blues, Rockabilly, Soul oder Beatmusik wären nicht vorstellbar ohne Vorbilder wie Leadbelly, Muddy Waters, Big Bill Broonzy, Sonny Terry, Lightnin' Hopkins - all die Heroen des schwarzen Blues aus dem Mississippi-Delta. Und dieser Blues war schließlich die kräftige Wurzel aller populären angloamerikanischen Musik, soweit sie sich nicht aus Volksmusik europäischen Ursprungs bediente.
Im Sommer 1933 ermöglichte ein bescheidenes Stipendium der "Library of Congress" Vater und Sohn Lomax eine viermonatige Studienreise durch den Südosten der USA - 26.000 Kilometer in einem alten Ford-A-Modell, ausgestattet mit einem vier Zentner schweren Aufnahmegerät, zwei Feldbetten und Kochausrüstung. Es war der Auftakt einer zehnjährigen Zusammenarbeit mit dem "Archive of American Folk Song" der Kongressbibliothek, die erst im Zweiten Weltkrieg durch Streichung der Mittel ein Ende fand. Für den damals gerade 18jährigen Alan Lomax indes war es der Beginn einer lebenslangen rastlosen Jagd nach Zeugnissen mündlicher Überlieferung in Wort und Musik.
Nach dem Tod des Vaters floh er vor der Hexenjagd McCarthys nach Europa. Er sammelte nun schottische Balladen, spanische Romanzen und sizilianische Wechselgesänge, Hirtenlieder aus Kastilien, Tanzmelodien und Gesänge von Frauenchören aus den Abruzzen.
1958 zurück in New York, muss er feststellen, dass die Musik, die er in den 30er Jahren leibhaftig gehört hatte, verschwunden war. Er fühlte sich, als sei er der Großvater der Folkmusic, als sei es Zeit, abzutreten. Doch seine Entdeckerlust war ungebrochen. Er verfolgte den fantastischen Plan einer weltumspannenden Bibliothek der Volksmusik, versuchte sich an der Entwicklung einer komparatistischen Methode zur Ordnung traditioneller Vokalmusik, durchstreifte ein letztes Mal die alten Jagdgründe des Südens mit dem Tonbadgerät, veröffentliche Stereo-Alben und drehte Dokumentarfilme.
Erst ein Schlaganfall brachte den Elan des mittlerweile 81-Jährigen zum Erliegen. Nach seinem Tod im Jahre 2002 ordnete die Tochter Anne den Nachlass: 5000 Stunden Tonaufnahmen, 120.000 Stunden Film-Material, 2.500 Video-Kassetten, Briefe, Manuskripte, Karteien. Ein anonymer Sponsor ermöglichte den Ankauf durch das "American Folklife Center" in der Library of Congress.
Charles Kuralt Interviews A. Lomax 1991, Part 1
John Avery Lomax im "Handbook of Texas Online"
Alan Lomax alan-lomax.com (die einzige Website auf Deutsch)
Lomax Family Collections at the American Folklife Center
"Good Night, Irene", dieser melancholische Walzer, der vom Verlust der Geliebten, von Reuegefühlen und Selbstmordfantasien handelt und schließlich anderen Männern rät, sich nächtens nicht herumzutreiben: Es ist eines der populärsten amerikanischen Volkslieder. Unbekannt ist seine Herkunft, und der schwarze Bluesmusiker Huddie Ledbetter, genannt "Leadbelly", der das Lied berühmt gemacht hat, erinnerte sich nur, er habe es 1908 von einem Onkel gelernt. Doch wo auch immer er es letztlich aufgeschnappt hatte - er hat es sich zu eigen gemacht, und seine Version war die erste, die man aufgezeichnet hat. Das war 1933. Und aufgenommen hat es Alan Lomax, damals 18jähriger Philosophiestudent, als Assistent seines Vaters, des texanischen Ethnologen und Musikwissenschaftlers John Avery Lomax. Die Beiden hatten sich auf der Suche nach den Wurzeln afroamerikanischer Volksmusik vier Monate lang im Südosten der USA umgehört - auf Baumwollfeldern und Tanzveranstaltungen, auf religiösen Versammlungen und Baustellen, in Gefängnissen und Kaschemmen, unter Wanderarbeitern, Landstreichern und armen Halbpächtern, allesamt Nachfahren ehemaliger Sklaven.
Erst ein Schlaganfall brachte den Elan des mittlerweile 81-Jährigen zum Erliegen. Nach seinem Tod im Jahre 2002 ordnete die Tochter Anne den Nachlass: 5000 Stunden Tonaufnahmen, 120.000 Stunden Film-Material, 2.500 Video-Kassetten, Briefe, Manuskripte, Karteien. Ein anonymer Sponsor ermöglichte den Ankauf durch das "American Folklife Center" in der Library of Congress.
Charles Kuralt Interviews A. Lomax 1991, Part 1
John Avery Lomax im "Handbook of Texas Online"
Alan Lomax alan-lomax.com (die einzige Website auf Deutsch)
Lomax Family Collections at the American Folklife Center
"Good Night, Irene", dieser melancholische Walzer, der vom Verlust der Geliebten, von Reuegefühlen und Selbstmordfantasien handelt und schließlich anderen Männern rät, sich nächtens nicht herumzutreiben: Es ist eines der populärsten amerikanischen Volkslieder. Unbekannt ist seine Herkunft, und der schwarze Bluesmusiker Huddie Ledbetter, genannt "Leadbelly", der das Lied berühmt gemacht hat, erinnerte sich nur, er habe es 1908 von einem Onkel gelernt. Doch wo auch immer er es letztlich aufgeschnappt hatte - er hat es sich zu eigen gemacht, und seine Version war die erste, die man aufgezeichnet hat. Das war 1933. Und aufgenommen hat es Alan Lomax, damals 18jähriger Philosophiestudent, als Assistent seines Vaters, des texanischen Ethnologen und Musikwissenschaftlers John Avery Lomax. Die Beiden hatten sich auf der Suche nach den Wurzeln afroamerikanischer Volksmusik vier Monate lang im Südosten der USA umgehört - auf Baumwollfeldern und Tanzveranstaltungen, auf religiösen Versammlungen und Baustellen, in Gefängnissen und Kaschemmen, unter Wanderarbeitern, Landstreichern und armen Halbpächtern, allesamt Nachfahren ehemaliger Sklaven.
Es war eine Welt am unteren Rand der Gesellschaft,
…vielfach ausgegrenzt und in der Öffentlichkeit des weißen Amerika verachtet und so gut wie unbekannt, unbekannt ihre Lebensweise, unbekannt ihre Musik und ihre Lieder, ausgenommen die religiösen Gesänge, die Spirituals, doch auch diese nur in aufpolierter Form. Vor allem in dem abgeschotteten Milieu der Zuchthäuser hofften Vater und Sohn eine musikalische Kultur vorzufinden, die noch weitgehend unberührt von den Einflüssen der Außenwelt geblieben wäre. Nach mehreren vergeblichen Bemühungen fanden sie schließlich Zugang zu den Häftlingen des Staatsgefängnisses von Louisiana. Die "Central Convict Sugar Plantation" war bekannt unter dem Namen "Angola", da auf dem vom Mississippi umflossenen Gelände einst Sklaven aus dem südwestafrikanischen Land gearbeitet hatten. Der finstere Ort war berüchtigt wegen der großen Zahl von Insassen, deren Strafmaß ausschloss, dass sie das Straflager jemals lebend verlassen würden.
Hier nun wollten Vater und Sohn Lomax "Worksongs", also Arbeitslieder, Balladen und Bluesgesänge aufnehmen, aber sie mußten enttäuscht erfahren, dass es den Gefangenen verboten war, bei der Feldarbeit zu singen. Kurz vor ihrem Aufbruch jedoch sagte ihnen jemand, ein gewisser Leadbelly befinde sich unter ihnen. Diesen Spitznamen hatten sie unterwegs bereits gehört.
…vielfach ausgegrenzt und in der Öffentlichkeit des weißen Amerika verachtet und so gut wie unbekannt, unbekannt ihre Lebensweise, unbekannt ihre Musik und ihre Lieder, ausgenommen die religiösen Gesänge, die Spirituals, doch auch diese nur in aufpolierter Form. Vor allem in dem abgeschotteten Milieu der Zuchthäuser hofften Vater und Sohn eine musikalische Kultur vorzufinden, die noch weitgehend unberührt von den Einflüssen der Außenwelt geblieben wäre. Nach mehreren vergeblichen Bemühungen fanden sie schließlich Zugang zu den Häftlingen des Staatsgefängnisses von Louisiana. Die "Central Convict Sugar Plantation" war bekannt unter dem Namen "Angola", da auf dem vom Mississippi umflossenen Gelände einst Sklaven aus dem südwestafrikanischen Land gearbeitet hatten. Der finstere Ort war berüchtigt wegen der großen Zahl von Insassen, deren Strafmaß ausschloss, dass sie das Straflager jemals lebend verlassen würden.
Hier nun wollten Vater und Sohn Lomax "Worksongs", also Arbeitslieder, Balladen und Bluesgesänge aufnehmen, aber sie mußten enttäuscht erfahren, dass es den Gefangenen verboten war, bei der Feldarbeit zu singen. Kurz vor ihrem Aufbruch jedoch sagte ihnen jemand, ein gewisser Leadbelly befinde sich unter ihnen. Diesen Spitznamen hatten sie unterwegs bereits gehört.
Vater und Sohn Lomax
Der junge Alan Lomax, der mit seinem Vater schon im Jahr davor mit einem primitiven Edison-Wachszylinder durch fünf Südstaaten gezogen war und den Kosmos der afroamerikanischen Volksmusik kennengelernt hatte, war nun begeistert, so viele Facetten bei einem einzelnen Musiker vereint zu hören und diesmal mithilfe einer deutlich besseren Technik aufnehmen zu können - einer zentnerschweren Ausrüstung mit Aufnahmegerät, Verstärker, Batterien, Generator, Aluminium- und Acetat-Scheiben, mit Mischpult, Mikrofon, Lautsprecher und Kisten mit Ersatzteilen. Ein bescheiden dotierter Auftrag der Library of Congress in Washington hatte es ermöglicht.
Vater John, der sich schon vor dem Ersten Weltkrieg in Texas als Sammler von Cowboy-Liedern und Balladen aus der Zeit des Wilden Westens einen Namen gemacht hatte, plante nun mit seinem Sohn Alan für den New Yorker Verlag Macmillan eine umfangreiche Anthologie amerikanischer Volkslieder. Und darin unterstützte ihn das "Archive of American Folk Song" in der "Library of Congress". Als Gegenleistung sollten sämtliche Aufnahmen dort archiviert werden. Es war der Auftakt zu einer zehnjährigen fruchtbaren Beziehung und für den jungen Alan der Beginn einer lebenslangen missionarischen Arbeit, der Suche nach musikalischer und mündlicher Überlieferung, deren Weitergabe und Verbreitung.
Library of Congress: Southern Mosaic: The John and Ruby Lomax 1939 Southern States Recording Trip
The Sound Recordings catalog comprises over 17,400 digital audio files, beginning with Lomax's first recordings onto (newly invented) tape in 1946 and tracing his career into the 1990s.
Der junge Alan Lomax, der mit seinem Vater schon im Jahr davor mit einem primitiven Edison-Wachszylinder durch fünf Südstaaten gezogen war und den Kosmos der afroamerikanischen Volksmusik kennengelernt hatte, war nun begeistert, so viele Facetten bei einem einzelnen Musiker vereint zu hören und diesmal mithilfe einer deutlich besseren Technik aufnehmen zu können - einer zentnerschweren Ausrüstung mit Aufnahmegerät, Verstärker, Batterien, Generator, Aluminium- und Acetat-Scheiben, mit Mischpult, Mikrofon, Lautsprecher und Kisten mit Ersatzteilen. Ein bescheiden dotierter Auftrag der Library of Congress in Washington hatte es ermöglicht.
Vater John, der sich schon vor dem Ersten Weltkrieg in Texas als Sammler von Cowboy-Liedern und Balladen aus der Zeit des Wilden Westens einen Namen gemacht hatte, plante nun mit seinem Sohn Alan für den New Yorker Verlag Macmillan eine umfangreiche Anthologie amerikanischer Volkslieder. Und darin unterstützte ihn das "Archive of American Folk Song" in der "Library of Congress". Als Gegenleistung sollten sämtliche Aufnahmen dort archiviert werden. Es war der Auftakt zu einer zehnjährigen fruchtbaren Beziehung und für den jungen Alan der Beginn einer lebenslangen missionarischen Arbeit, der Suche nach musikalischer und mündlicher Überlieferung, deren Weitergabe und Verbreitung.
Library of Congress: Southern Mosaic: The John and Ruby Lomax 1939 Southern States Recording Trip
The Sound Recordings catalog comprises over 17,400 digital audio files, beginning with Lomax's first recordings onto (newly invented) tape in 1946 and tracing his career into the 1990s.
Leadbelly, der selbst ernannte "König der zwölfsaitigen Gitarre
Er hatte als junger Mann auf Farmen und Ölfeldern gearbeitet, in Bars und auf Partys gespielt und war auf den Straßen von Dallas zusammen mit dem legendären Blues-Gitarristen Blind Lemon Jefferson aufgetreten. Von ihm lernte er eine Menge neuer Songs und die Technik des Slide-guitar-Spiels. 1915 - da war er ungefähr Ende zwanzig - kam er erstmals hinter Gitter, wegen eines Überfalls, dann in eine "chain gang", eine Arbeitskolonne in Ketten. Er konnte fliehen und lebte zwei Jahre lang unter falschem Namen, bis er wegen Mordes an einem Freund zu sieben bis dreißig Jahren auf der "Sugar Farm" verurteilt wurde. Bei einem Besuch im Gefängnis wurde der Gouverneur von Texas, für den er ein Lied geschrieben hatte, auf ihn aufmerksam. Der war von dem kraftvollen selbstbewussten Sänger so beeindruckt, dass er nach Ablauf der Mindeststrafe Leadbellys Entlassung wegen guter Führung genehmigte.
"Im Jahr 1932 flehe ich Sie an, ehrenwerter Gouverneur Allen: ‚Meine verlassene Frau ringt die Hände und ruft weinend: Retten Sie meinen Mann!' Und nun schaut sich der ehrenwerte Direktor Himes im Gefängnis um, sagt zu Gouverneur Allen: Wir haben hier drin viel zu viele Männer. Darauf Allen: Dann werden wir eben ein paar von ihnen entlassen. Ich weiß, meine Frau wird vor Freude in die Luft springen, wenn der Zug einfährt und ich aussteige. Wäre ich an Ihrer Stelle, Gouverneur Allen, und Sie an meiner, würde ich Sie gleich nach dem Aufwachen begnadigen."
Alan Lomax - Interview - "Remembering Leadbelly"
Er hatte als junger Mann auf Farmen und Ölfeldern gearbeitet, in Bars und auf Partys gespielt und war auf den Straßen von Dallas zusammen mit dem legendären Blues-Gitarristen Blind Lemon Jefferson aufgetreten. Von ihm lernte er eine Menge neuer Songs und die Technik des Slide-guitar-Spiels. 1915 - da war er ungefähr Ende zwanzig - kam er erstmals hinter Gitter, wegen eines Überfalls, dann in eine "chain gang", eine Arbeitskolonne in Ketten. Er konnte fliehen und lebte zwei Jahre lang unter falschem Namen, bis er wegen Mordes an einem Freund zu sieben bis dreißig Jahren auf der "Sugar Farm" verurteilt wurde. Bei einem Besuch im Gefängnis wurde der Gouverneur von Texas, für den er ein Lied geschrieben hatte, auf ihn aufmerksam. Der war von dem kraftvollen selbstbewussten Sänger so beeindruckt, dass er nach Ablauf der Mindeststrafe Leadbellys Entlassung wegen guter Führung genehmigte.
"Im Jahr 1932 flehe ich Sie an, ehrenwerter Gouverneur Allen: ‚Meine verlassene Frau ringt die Hände und ruft weinend: Retten Sie meinen Mann!' Und nun schaut sich der ehrenwerte Direktor Himes im Gefängnis um, sagt zu Gouverneur Allen: Wir haben hier drin viel zu viele Männer. Darauf Allen: Dann werden wir eben ein paar von ihnen entlassen. Ich weiß, meine Frau wird vor Freude in die Luft springen, wenn der Zug einfährt und ich aussteige. Wäre ich an Ihrer Stelle, Gouverneur Allen, und Sie an meiner, würde ich Sie gleich nach dem Aufwachen begnadigen."
Alan Lomax - Interview - "Remembering Leadbelly"
Lead Belly - The Official Site
Ein gewisser Jelly Roll Morton
Für Zufallsgäste war er ein abgehalfterter Bar-Pianist, doch Kenner kamen, um einem der letzten lebenden Gründerväter des New Orleans-Jazz zuzuhören. Alan folgte dem Vorschlag nur sehr zögernd, denn solche Musik war für ihn wie für seinen Vater kommerzielle Unterhaltungsmusik, deren zunehmende Verbreitung über Radio und Schallplatte die Musik auslöschte, die ihnen am Herzen lag: die traditionelle amerikanische Volksmusik. "Damals", schrieb Alan im Rückblick, "war Jazz mein ärgster Feind."
Und nun traf er in einem Raum mit Wandklavier, Musikautomat, Ölofen, Küche und einigen Stuhlreihen einen würdigen, eloquenten älteren Herrn in einem altmodischen, gepflegten Anzug, der, wenn er lächelte, einen Halbkaräter in einem seiner Schneidezähne entblößte. Er öffnete für seine Gäste eine Flasche Champagner, auf Kosten des Hauses, setzte sich ans Klavier und spielte - "Ragtime" wie aus der Zeit um 1900, als diese Musik, gespeist aus Marsch und Polka und vielen anderen Wurzeln aus der Alten Welt, in New Orleans, Kansas City oder St. Louis gespielt wurde.
Ferdinand Joseph La Menthe, der seinem anglisierten kreolischen Namen "Morton" den anzüglichen Spitznamen "Jelly Roll" voransetzte, ist um 1885 in New Orleans geboren. Er war stolz, Nachfahre französischer Kreolen zu sein, die aus Haiti eingewandert waren und Vieles aus der alten französisch-kolonialen Mischkultur mitgebracht hatten, sprachlich und musikalisch vor allem, französische Oper und Operette, Tanz- und Volksmusik, nicht zu vergessen "Mardi Gras", den berühmten Karneval mit den umherziehenden "Brass Bands", die sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten.
Der Junge erhielt klassischen Klavierunterricht und spielte schon früh eigene Kompositionen in den Etablissements von Storyville, dem Rotlichtviertel der Stadt. Wie lebhaft es hier bis zur Schließung der Freudenhäuser 1917 zuging, ist oft genug beschrieben worden - kein Bordell, keine Bar, in der nicht ein Pianist oder eine kleine Band für Stimmung sorgten. Dass hier der Jazz entstanden sei, ist zwar eine Legende - verwandte Musikstile bildeten sich um 1900 in vielen Städten des Südens -, doch der bedeutendste Geburtsort war gewiss New Orleans. Und hier entwickelte Jelly Roll seine unverwechselbare Spielweise, in die alles einfloß, was man damals in der Stadt zu hören bekam.
Nach 1907 zog er quer durch die Vereinigten Staaten, trat in Varietés auf, schrieb laufend neue Stücke. Sein "Jelly Roll Blues", gedruckt 1915 in Chicago, gilt als die erste veröffentlichte Jazz-Komposition. Nächste Station war Los Angeles, dann wieder Chicago, wo er mit seiner Band, den "Red Hot Peppers", höchst erfolgreich Platten einspielte. Doch dann verließ ihn das Glück. Das Publikum begann seine Musik altmodisch zu finden und wandte sich den Bigbands eines Duke Ellington, Fletcher Henderson oder Jimmie Lunceford zu. Die Swing-Ära verdrängte den New Orleans-Jazz. Morton schlug sich mehr schlecht als recht in New York durch und landete schließlich in Washington, versuchte sich dort zunächst vergebens als Box-Promotor, bekam dann aber doch noch eine Chance als Moderator eines Radio-Programms mit dem Titel "The History of Jazz". Und in die Geschichte des Jazz sah er seine Geschichte als Komponist und "Erfinder" eingeschrieben: Er habe 1902 als erster Jazz-Musik komponiert, 1906 den ersten "Stomp" geschrieben, 1907 den Begriff "Swing" in seinem "Georgia Swing" geprägt und so fort; andere Musiker hätten ihn plagiiert und bestohlen.
Jelly Roll Morton.
Für Zufallsgäste war er ein abgehalfterter Bar-Pianist, doch Kenner kamen, um einem der letzten lebenden Gründerväter des New Orleans-Jazz zuzuhören. Alan folgte dem Vorschlag nur sehr zögernd, denn solche Musik war für ihn wie für seinen Vater kommerzielle Unterhaltungsmusik, deren zunehmende Verbreitung über Radio und Schallplatte die Musik auslöschte, die ihnen am Herzen lag: die traditionelle amerikanische Volksmusik. "Damals", schrieb Alan im Rückblick, "war Jazz mein ärgster Feind."
Und nun traf er in einem Raum mit Wandklavier, Musikautomat, Ölofen, Küche und einigen Stuhlreihen einen würdigen, eloquenten älteren Herrn in einem altmodischen, gepflegten Anzug, der, wenn er lächelte, einen Halbkaräter in einem seiner Schneidezähne entblößte. Er öffnete für seine Gäste eine Flasche Champagner, auf Kosten des Hauses, setzte sich ans Klavier und spielte - "Ragtime" wie aus der Zeit um 1900, als diese Musik, gespeist aus Marsch und Polka und vielen anderen Wurzeln aus der Alten Welt, in New Orleans, Kansas City oder St. Louis gespielt wurde.
Ferdinand Joseph La Menthe, der seinem anglisierten kreolischen Namen "Morton" den anzüglichen Spitznamen "Jelly Roll" voransetzte, ist um 1885 in New Orleans geboren. Er war stolz, Nachfahre französischer Kreolen zu sein, die aus Haiti eingewandert waren und Vieles aus der alten französisch-kolonialen Mischkultur mitgebracht hatten, sprachlich und musikalisch vor allem, französische Oper und Operette, Tanz- und Volksmusik, nicht zu vergessen "Mardi Gras", den berühmten Karneval mit den umherziehenden "Brass Bands", die sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten.
Der Junge erhielt klassischen Klavierunterricht und spielte schon früh eigene Kompositionen in den Etablissements von Storyville, dem Rotlichtviertel der Stadt. Wie lebhaft es hier bis zur Schließung der Freudenhäuser 1917 zuging, ist oft genug beschrieben worden - kein Bordell, keine Bar, in der nicht ein Pianist oder eine kleine Band für Stimmung sorgten. Dass hier der Jazz entstanden sei, ist zwar eine Legende - verwandte Musikstile bildeten sich um 1900 in vielen Städten des Südens -, doch der bedeutendste Geburtsort war gewiss New Orleans. Und hier entwickelte Jelly Roll seine unverwechselbare Spielweise, in die alles einfloß, was man damals in der Stadt zu hören bekam.
Nach 1907 zog er quer durch die Vereinigten Staaten, trat in Varietés auf, schrieb laufend neue Stücke. Sein "Jelly Roll Blues", gedruckt 1915 in Chicago, gilt als die erste veröffentlichte Jazz-Komposition. Nächste Station war Los Angeles, dann wieder Chicago, wo er mit seiner Band, den "Red Hot Peppers", höchst erfolgreich Platten einspielte. Doch dann verließ ihn das Glück. Das Publikum begann seine Musik altmodisch zu finden und wandte sich den Bigbands eines Duke Ellington, Fletcher Henderson oder Jimmie Lunceford zu. Die Swing-Ära verdrängte den New Orleans-Jazz. Morton schlug sich mehr schlecht als recht in New York durch und landete schließlich in Washington, versuchte sich dort zunächst vergebens als Box-Promotor, bekam dann aber doch noch eine Chance als Moderator eines Radio-Programms mit dem Titel "The History of Jazz". Und in die Geschichte des Jazz sah er seine Geschichte als Komponist und "Erfinder" eingeschrieben: Er habe 1902 als erster Jazz-Musik komponiert, 1906 den ersten "Stomp" geschrieben, 1907 den Begriff "Swing" in seinem "Georgia Swing" geprägt und so fort; andere Musiker hätten ihn plagiiert und bestohlen.
Jelly Roll Morton.
Alan Lomax entwirft das Konzept für eine soziologische Bestandsaufnahme der ländlichen Kultur im Delta.
Auf seiner Tour durch Mississippi, gemeinsam mit einem Lehrer der Fisk-Universität, konnte es vorkommen, dass sie ein Naturtalent aufspürten, dessen Vortrag sie spontan begeisterte. So erging es ihnen, als sie auf der Stovall-Plantage bei Clarksdale in Mississippi den Traktorfahrer und Gitarristen McKinley Morganfield trafen, Spitzname Muddy Waters. Zwanzig Jahre später würde dieser Blues-Musiker die Popmusik verändern - ob Rhythm and Blues, Soul, Bluesrock oder Rock 'n' Roll.
Als Ende 1961 Mick Jagger auf dem Bahnsteig in Dartford seinen Schulfreund Keith Richard traf, trug er Platten von Muddy Waters unterm Arm, und sie stellten fest, dass sie ihre Begeisterung für diesen Musiker teilten. Und als sie ihre Band gründeten, gaben sie ihr den Namen seines "Rollin' Stone Blues".
Zwischen den Aufnahmen der Songs spielte Lomax dem verblüfften Sänger einige Proben vor. Der hatte sich selbst noch nie so gehört. Zu einem Journalisten sagte er später:
"Ich hatte einfach nach Gefühl gesungen, weil wir es in Mississippi immer so gemacht haben. Aber als Mr. Lomax mir die Scheibe vorspielte, dachte ich: Mann, dieser Knabe kann wirklich den Blues singen."
1943 machte sich Muddy Waters- wie seit dem Bürgerkrieg Millionen Nachfahren von Sklaven - auf den Weg nach Norden. In Chicago fand er Arbeit in einer Papierfabrik. Abends spielte er in Blues-Clubs, wo er Sänger wie Big Bill Broonzy traf. Um sich gegen den Lärm in Kneipen zu behaupten, legte er sich eine elektrische Gitarre zu. Drei Jahre später konnte er seine erste Platte für ein obskures Label einspielen. Bald trat er auf Konzerten mit eigenen Bands auf, und in den 50er Jahren galt er als der König des Chicago-Blues. Er ging auf Tournee nach England, reiste 1962 mit dem ersten Folk Blues Festival durch Europa, wo - anders als inzwischen in Amerika - die junge Generation anfing, sich für den Blues zu begeistern. Europäische, vor allem englische Bands schossen wie Pilze aus dem Boden.
1981 trat der alte Muddy Waters zusammen mit den Rolling Stones in Chicago in der Checkerboard Lounge auf. Ein Videomitschnitt ist sein letztes Tondokument.
Muddy Waters & The Rolling Stones in Chicago : "Baby please don't go!" Live At Checkerboard Lounge
Alan Lomax war im Sommer 1942 noch immer im Delta unterwegs, arbeitete mit blinden Straßensängern, interviewte ältere Damen auf ihren Veranden und Kinder beim Spiel, nahm Predigten auf und Gedichte, Witze und Balladen, als das Archiv ihm mitteilte, die Mittel für das kommende Jahr seien gestrichen, es sei denn, er produzierte Alben zur Stärkung der Truppenmoral. Er antwortete bitter, seine Arbeit unterstütze die Moral von Lehrern, Musikern und Minderheiten. Im Übrigen werde die Armee ihn ohnehin bald einziehen. Bis es soweit war, mußte er sich jedoch für das "Office of War Information", das bei Kriegsbeginn in der Bibliothek eingerichtet worden war, an der moralischen Aufrüstung beteiligen und Radioprogramme für den Armee-Sender produzieren. Allerdings waren die Redaktionen des "Office" mit so fähigen linksliberalen Leuten wie Arthur Miller, dem Regisseur Nicholas Ray oder dem Schauspieler Richard Widmark besetzt, dass er die neue Aufgabe wirklich ernstnehmen konnte. Doch die Widerstände waren enorm: Zeitdruck, Kürzung der Mittel, acht Zensur-Instanzen zermürbten ihn so sehr, dass er sich als Kriegskorrespondent für Europa bewarb.
Muddy Waters: "Hoochie Coochie Man"
Negro Prison Blues and Songs . Recorded live at the Mississippi and
Louisiana State Penitentaries
Aunt Molly Jackson, die unerschrockene Gewerkschafterin
Sie war mit ihren Liedern über das harte Leben der Bergarbeiter im Kohlerevier von Kentucky aufgefallen. Theodore Dreiser und John Dos Passos hatten sie kennengelernt, als sie Anfang der 30er Jahre die Ursachen der blutigen "Kohlenkriege" in West-Virginia untersuchten. Das "Dreiser-Komitee" organisierte für Aunt Molly eine Tournee durch 38 Staaten, um Gelder zur Unterstützung der streikenden Arbeiter zu sammeln. So kam sie schließlich nach New York. In ihrem "Hard Times in Old Coleman's Mines" beklagt sie die "harten Zeiten" im Bergwerk:
"Außer Maisbrot und Bohnen nichts zu essen, arm und zerlumpt zur Arbeit - was kann man tun? Das Beste, was ihr tun könnt: zusammenstehen wie große Brüder und für bessere Arbeitsbedingen streiken. Und verlangt 70 Cent für die Tonne!"
"Hard Times in Coleman's Mines" von Aunt Molly Jackson (Aufn. Alan Lomax)
Woody Guthrie
Als im Februar 1940 im New Yorker "City Center of Music and Drama" ein Konzert zugunsten spanischer Bürgerkriegs-Flüchtlinge gegeben wurde - eine der zahllosen politischen Veranstaltungen jener Tage -, da war man am meisten gespannt auf den Auftritt eines kleinen weißen Sängers aus Oklahoma namens Woody Guthrie. Ein Rollenangebot für das erfolgreiche Broadway-Stück "Tobacco Road" hatte den abgebrannten Musiker in die Stadt gelockt, und per Anhalter schaffte er es im letzten Moment auf die Bühne, schob die Mütze ins Genick, stocherte in seinem wilden Haarschopf, griff in die Saiten seiner Gitarre und sang in ungekünstelter Gelassenheit seine Ballade von Pretty Boy Floyd, dem edlen Outlaw aus Oklahoma.
"Außer Maisbrot und Bohnen nichts zu essen, arm und zerlumpt zur Arbeit - was kann man tun? Das Beste, was ihr tun könnt: zusammenstehen wie große Brüder und für bessere Arbeitsbedingen streiken. Und verlangt 70 Cent für die Tonne!"
"Hard Times in Coleman's Mines" von Aunt Molly Jackson (Aufn. Alan Lomax)
Woody Guthrie
Als im Februar 1940 im New Yorker "City Center of Music and Drama" ein Konzert zugunsten spanischer Bürgerkriegs-Flüchtlinge gegeben wurde - eine der zahllosen politischen Veranstaltungen jener Tage -, da war man am meisten gespannt auf den Auftritt eines kleinen weißen Sängers aus Oklahoma namens Woody Guthrie. Ein Rollenangebot für das erfolgreiche Broadway-Stück "Tobacco Road" hatte den abgebrannten Musiker in die Stadt gelockt, und per Anhalter schaffte er es im letzten Moment auf die Bühne, schob die Mütze ins Genick, stocherte in seinem wilden Haarschopf, griff in die Saiten seiner Gitarre und sang in ungekünstelter Gelassenheit seine Ballade von Pretty Boy Floyd, dem edlen Outlaw aus Oklahoma.
"Pretty Boy Floyd" von Woody Guthrie
Alan Lomax, der an diesem Abend auch auf der Bühne stand, war wie elektrisiert:
"Als ich sein erstes Lied hörte, wurde mir klar, dass ich einen Balladen-Dichter vor mir hatte, einen vom Schlag jener Leute, die ‚Jesse James' geschrieben hatten und all die Balladen, die ich die ganze Zeit gesucht hatte, um sie dem amerikanischen Volk zu erhalten. Ich hatte angenommen, sie stammten von anonymen Leuten. Und jetzt sang tatsächlich ‚Mr. Anonymous' für mich."
Nach dem Konzert fragte ihn Alan, ob er nicht nach Washington ins Archiv kommen wolle, um seine Lieder und Lebensgeschichte aufnehmen zu lassen und später dann in der Radio Show aufzutreten. Guthrie war irritiert: Folk Songs? Davon, versicherte er, habe er noch nie etwas gehört.
Der Balladen-Sänger, Jahrgang 1912, kam aus kleinbürgerlichem Elternhaus. Der Vater, Landspekulant und Lokalpolitiker, hatte Konkurs gemacht, die Mutter, die an der unheilbaren Huntington-Krankheit litt, legte eines Tages Feuer im Haus. Eine Schwester verbrannte, der Vater überlebte als Pflegefall, die Mutter kam in eine Klinik. Der Sohn war Mitte Dreißig, als sich bei ihm die ersten Symptome der vererbten Nervenkrankheit zeigten, der er 20 Jahre später erliegen sollte.
In der Zeit der Großen Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und der Dürre-Katastrophe, die Oklahoma am stärksten traf, zog Guthrie wie Hundertausende verarmter Flüchtlinge auf Arbeitssuche nach Kalifornien, zunächst vergeblich. Dann schlug er sich durch als Schildermaler, als Musiker in Bars oder auf der Straße. Bei einem Radiosender in Los Angeles, dessen Programm-Schwerpunkt sozialkritische Diskussionen waren, schaffte er es zu einer eigenen Show, gemeinsam mit einer Musikerin, genannt Lefty Lou, die linke Lou. Sie spielten "Mountain Songs", traditionelle und fromme Lieder, die er als Kind von seiner Mutter gelernt hatte. Die Sendung, die sich an Tagelöhner, Arbeiter in Konserven-Fabriken, an all die armen Teufel richtete, die wie er vor den Staubstürmen der "Dust Bowl" geflohen waren oder noch in Notlagern hausten, war bald überaus beliebt. In knapp zwei Jahren bekamen sie 20.000 Hörerbriefe. Aber leben konnte man davon nicht.
Die Lieder, die er dem Schicksal der entwurzelten Flüchtlinge aus den Great Plains widmete, die "Dust Bowl Ballads" - "Staubschüssel-Balladen" - machten Guthrie als den "Dust Bowl Balladeer" bekannt. Im "Great Dust Storm Disaster" blickt der Erzähler zurück auf den schlimmsten der Stürme, der 1935 das Land von Oklahoma bis zum Rio Grande verheert hatte, eine Wolke schwarz wie der Tod, am Tag danach ein Ozean von Staub über Farm und Feld. "Wir beluden unsere Schrottmühlen", endet das Lied, "und ratterten davon, um nie mehr zurückzukehren".
"Great Dust Storm Disaster" von Woody Guthrie
"Stewball" von Woody Guthrie
Alan Lomax, der an diesem Abend auch auf der Bühne stand, war wie elektrisiert:
"Als ich sein erstes Lied hörte, wurde mir klar, dass ich einen Balladen-Dichter vor mir hatte, einen vom Schlag jener Leute, die ‚Jesse James' geschrieben hatten und all die Balladen, die ich die ganze Zeit gesucht hatte, um sie dem amerikanischen Volk zu erhalten. Ich hatte angenommen, sie stammten von anonymen Leuten. Und jetzt sang tatsächlich ‚Mr. Anonymous' für mich."
Nach dem Konzert fragte ihn Alan, ob er nicht nach Washington ins Archiv kommen wolle, um seine Lieder und Lebensgeschichte aufnehmen zu lassen und später dann in der Radio Show aufzutreten. Guthrie war irritiert: Folk Songs? Davon, versicherte er, habe er noch nie etwas gehört.
Der Balladen-Sänger, Jahrgang 1912, kam aus kleinbürgerlichem Elternhaus. Der Vater, Landspekulant und Lokalpolitiker, hatte Konkurs gemacht, die Mutter, die an der unheilbaren Huntington-Krankheit litt, legte eines Tages Feuer im Haus. Eine Schwester verbrannte, der Vater überlebte als Pflegefall, die Mutter kam in eine Klinik. Der Sohn war Mitte Dreißig, als sich bei ihm die ersten Symptome der vererbten Nervenkrankheit zeigten, der er 20 Jahre später erliegen sollte.
In der Zeit der Großen Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und der Dürre-Katastrophe, die Oklahoma am stärksten traf, zog Guthrie wie Hundertausende verarmter Flüchtlinge auf Arbeitssuche nach Kalifornien, zunächst vergeblich. Dann schlug er sich durch als Schildermaler, als Musiker in Bars oder auf der Straße. Bei einem Radiosender in Los Angeles, dessen Programm-Schwerpunkt sozialkritische Diskussionen waren, schaffte er es zu einer eigenen Show, gemeinsam mit einer Musikerin, genannt Lefty Lou, die linke Lou. Sie spielten "Mountain Songs", traditionelle und fromme Lieder, die er als Kind von seiner Mutter gelernt hatte. Die Sendung, die sich an Tagelöhner, Arbeiter in Konserven-Fabriken, an all die armen Teufel richtete, die wie er vor den Staubstürmen der "Dust Bowl" geflohen waren oder noch in Notlagern hausten, war bald überaus beliebt. In knapp zwei Jahren bekamen sie 20.000 Hörerbriefe. Aber leben konnte man davon nicht.
Die Lieder, die er dem Schicksal der entwurzelten Flüchtlinge aus den Great Plains widmete, die "Dust Bowl Ballads" - "Staubschüssel-Balladen" - machten Guthrie als den "Dust Bowl Balladeer" bekannt. Im "Great Dust Storm Disaster" blickt der Erzähler zurück auf den schlimmsten der Stürme, der 1935 das Land von Oklahoma bis zum Rio Grande verheert hatte, eine Wolke schwarz wie der Tod, am Tag danach ein Ozean von Staub über Farm und Feld. "Wir beluden unsere Schrottmühlen", endet das Lied, "und ratterten davon, um nie mehr zurückzukehren".
"Great Dust Storm Disaster" von Woody Guthrie
"Stewball" von Woody Guthrie
Bob Dylan
Im Januar 1961 trampte der 19-jährige Robert Zimmerman, der sich wenig später Bob Dylan nannte, aus seiner Heimat Minnesota nach New York. Einer seiner ersten Wege führte ihn in das Greystone Hospital in Morristown, New Jersey, wo er "seinen letzten Helden" aufsuchte - Woody Guthrie, dessen Nervenkrankheit ihn seit Jahren ans Krankenbett gefesselt hatte.
"Ich hätte ihn gern öfter besucht, aber das wurde immer schwieriger. Woody bat mich immer, Zigaretten mitzubringen. Meistens spielte ich ihm nachmittags seine eigenen Songs vor. Woody galt hier nicht viel, und es war ein befremdlicher Ort für eine Begegnung, vor allem für eine Begegnung mit der wahren Stimme Amerikas. Genaugenommen war es eine psychiatrische Anstalt, in der es nicht die geringste Aussicht auf Erlösung gab. Es war eine ernüchternde Erfahrung, die mich psychisch auslaugte. Der erste nennenswerte Song, den ich schrieb, war Woody Guthrie gewidmet."
"Song to Woody" von Bob Dylan
Alan Lomax - Italian treasury - Sicily - Suonata For Bagpipe And Triangle - Maletto - Catania
Alan Lomax "Tonnaroti" "Italian Treasury U LEVA LEVA (Tuna Fishing Chantey
Volkstümliches Erbe des Südens
1960 erschienen sieben Stereo-Alben unter dem Titel "Southern Folk Heritage" ("volkstümliches Erbe des Südens"). Es war das erste repräsentative Kompendium von Volksmusik aus den Südstaaten auf dem amerikanischen Markt. Alan Lomax, der immer wieder das Verschwinden dieser Musik beklagt hatte, muss sich im Grunde bewusst gewesen sein, dass ihre Veröffentlichung noch zu seinen Lebzeiten zu einem klingenden Museum werden würde. Gleichwohl erlaubte ihm sein Enthusiasmus, sein unverbesserlicher Optimismus nicht, den Glauben an eine Zukunft solcher musikalischen Quellen aufzugeben. In seiner Einleitung zu den Begleittexten der Neuedition von 1993 heißt es:
"Diese Klänge, Frucht zweier Jahrhunderte freundschaftlichen Austauschs zwischen Schwarzen und Weißen, bedeuten so etwas wie einen kulturellen Sieg. Ich möchte glauben, dass sie für eine hoffnungsvolle Zukunft stehen, für all die noblen und schönen Dinge, die entstehen können, während wir unser schwieriges Experiment fortsetzen, um herauszufinden, wie diese multikulturelle Demokratie gelingen kann."
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten beschäftigte er sich mit stimmlichen Merkmalen und Kommunikationstheorie. Er entwickelte zusammen mit Musikwissenschaftlern und Anthropologen der Columbia Universität sein "Cantometrics"-Projekt, erweiterte es um vergleichende Studien von Ausdrucksformen der Bewegung und des Sprechens. Immer wieder verschwand er jedoch monatelang auf der Suche nach bislang unbekannten musikalischen Traditionen, sei es in der Karibik, in Marokko oder in den 80er Jahren ein allerletztes Mal in den Südstaaten, diesmal für eine Fernsehserie über regionale amerikanische Folklore.
Anfang der 90er Jahre schließlich brachte er sein letztes Vorhaben auf den Weg, ein multimediales System der Taxonomie von Musik und Tanz und Sprechweisen - weltweit. Nach einem Schlaganfall 1996 betreute ihn Tochter Anne. Und nach seinem Tod im Jahre 2002 ordnete sie den Nachlass: 5000 Stunden Tonaufnahmen, 120.000 Meter Film-Material, und 2.500 Video-Kassetten, Fotos, Briefe, Manuskripte, Karteien - alles. Ein anonymer Sponsor ermöglichte 2004 den Ankauf durch das "American Folklife Center" in der Kongressbibliothek.
Lomax Family Collections at the American Folklife Center
Einmal gefragt, welches die wichtigste Erfahrung in seinem Leben gewesen sei, antwortete Alan Lomax: Die besten Zeiten verdanke er den Begegnungen mit Woody Guthrie, dem Archetyp des "Volkssängers", und Leadbelley, dem charismatischen Sohn des schwarzen Südens.
Tom Waits, "Irene Goodnight"