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Einweihung mit "Blind Date"

Das Metropoltheater in München hat einen multifunktionalen Anbau bekommen, der zum Spielen und zum Kaffeetrinken dient. Mit einer gelungenen Inszenierung von "Blind Date" nach dem Drehbuch des ermordeten holländischen Filmemachers Theo van Gogh wurde der gläserne Bau jetzt eingeweiht.

Von Rosemarie Bölts |
    Typisch Metropoltheater. Da steht doch tatsächlich vor dem nagelneuen Vorbau mit dem nagelneuen Entree, handgepinselt: "Eingang um die Ecke". Dabei haben sie sich für das neue architektonische Ensemble so ins Zeug gelegt. Elegant und einladend sieht es aus. Die ausladende Verandafassade ist ganz aus Glas, unterteilt nur mit schrägen Holzpfeilern. Schräg auch das Flachdach, leicht wie ein aufgeklappter Flügel wirkt das und beflügelt die Phantasie: schweben da nicht Ginger Rogers und Fred Astaire durch den Raum?

    Alles, auch die Originallampen und das Mobiliar, sind im Stil der 50er-Jahre und damit passend zum Stammhaus, dem ursprünglichen Kino aus eben dieser Nierentischzeit. Die Veranda oder, wie das Theaterteam sagt, das Foyer ist nach drei Monaten Bauzeit ab jetzt der zweite Spielort des Münchner Metropoltheaters. Tagsüber Café, abends die kleine Bühne, was wörtlich zu nehmen ist, denn die Cocktailtische mit den 80 Sitzplätzen lassen eigentlich keinen Raum mehr für Bühnenkulissen.

    Von der Straße aus kann man also durch das viele Glas genau sehen, was sich drinnen alles abspielt, vor allem natürlich abends, wenn das Foyer ausgeleuchtet ist. Nur hören kann man draußen nichts. Dafür braucht man eine Eintrittskarte. Und dazu muss man in den Eingang "um die Ecke", denn heute wird im Foyer Theater gespielt. "Blind Date", nach dem Drehbuch des 2004 ermordeten holländischen Autors und Filmemachers Theo van Gogh.

    "Pom ist der Besitzer der Bar und Amateurzauberer. Hier zeigt er seine einmalige Nummer."

    Drei Schauspieler, minimalste Ausstattung, volles Programm. Die beiden Haupt-darsteller Pom und Katja kommen seit dem Unfalltod ihrer kleinen Tochter nicht mehr miteinander klar. Sie versuchen, zehn Jahre Ehe zurück auf Null zu setzen, was unweigerlich in eine tragisch-melodramatische Katastrophe führt.

    Die Versuchsanordnung, sich neu zu begegnen, "Blind Date", indem mal sie, mal er Zeitungsanzeigen schaltet und beide darin verschiedene Rollen ausprobieren, hat Charme und in der jeweiligen Kostümierung sogar Witz, läuft aber spätestens mit dem zweiten Satz nach jeder Begrüßung aus dem Ruder. So zu tun, als kenne man sich nicht und sei ein unbeschriebenes Blatt für den anderen, kann nicht klappen. Zu gut weiß man, wo man den anderen trifft.

    Immer wieder nehmen die beiden einen neuen Anlauf unter Überschriften wie: "Blinder Mann sucht sehende Frau", "seriöser Journalist sucht aggressive Frau", "Herr, 50, sucht junge Frau als Tochter". Und jedes Mal eskalieren die aufgestauten Aggressionen, wechseln mit der unbedingten Sehnsucht nach Liebe und enden in einer erschöpften Traurigkeit.

    Typisch Metropoltheater, typisch Jochen Schölch, eigentlich Regisseur, nun auch Intendant und seit dem Kauf des Hauses auch Miteigentümer und Geschäftsführer der Metropol-GmbH, Bauherr und Kommanditgesellschafter in Personalunion. Übrigens auch ein Meisterstück. So multifunktional wie er in scheinbar unvereinbaren Funktionen agiert, so multifunktional spielt er mit der Knappheit von Raum und Mittel in seinen Inszenierungen.

    Der Spielort ist eine Bar? Kein Problem. Vom Foyer aus schaut man ja durch den Wanddurchbruch, der den Übergang zwischen altem Haus und neuem Anbau schafft, auf die "echte" Theater-Bar, an der man vor und nach der Aufführung seinen Wein oder was auch immer trinken kann. Das ist die Kulisse.

    Kein Bewegungsspielraum für die Schauspieler? Von wegen. Sie haben zwar die Bar und an der Innenwand entlang nur zwei Barhocker, auf denen sie sitzen. Aber eigentlich sind sie ständig in Bewegung und nehmen nach dem Prinzip: überall ist Bühne, alles in Beschlag, rennen, tanzen, zwängen sich durch das Publikum, spielen auf dem Bürgersteig draußen, erweisen sich dabei als rasante Verkleidungskünstler und - so nah kommt man im Theater kaum noch den Schauspielern - beeindruckende Mimen, die ihre Rollen sprichwörtlich perfekt beherrschen. Wundert es einen, dass draußen ein Feuerwehrauto vorbeifährt, bremst - fehlte nur noch, dass Beifall gehupt wäre.

    Kein Vorhang, hinter dem umgebaut wird? Ach was. Es gibt einen Vorhang im Wanddurchbruch, der bei Bedarf per Hand von den Schauspielern selber auf- und zugezogen wird. Auf ihn wird der jeweilige Anzeigentext projiziert und damit der Szenenwechsel markiert. Genial auch der Schluss, der im Drehbuch als doppelter Suizid mit Tabletten und Pistolenschuss endet. Hier erscheinen hingegen in raffinierten Schwarz-Weiß-Illustrationen die Protagonisten auf dem Vorhang in dramatischen Tanzposen. Sie selber sitzen rechts und links des Wanddurchbruchs auf Barhockern und haben sichtbar mit dem Leben abgeschlossen, während aus dem Lautsprecher ihr Dialog zu der letzten Szene tönt:

    "Die Alternative? Weitermachen?"
    "Dein Argument!"
    "Um zu leben. "
    "Dein Argument!"
    "Weil man das so macht."

    Nein, es ist nichts Dilettantisches, Stümperhaftes, wenn es "um die Ecke" geht. Es gehört irgendwie zum Konzept. Typisch Metropoltheater. Das Leben ist eine Bühne, Fantasie ist gefragt, und das Ergebnis ist fantastisch.