Erstligaspiel zwischen KR Reykjavík und ÍBV, der Mannschaft von den Westmännerinseln. Der Wind bläst den Regen ins Gesicht der rund 2.000 Zuschauer auf der Tribüne. Die ist zwar überdacht, aber es bläst doch von allen Seiten herein. Ein Vater packt seine Kinder in eine Decke, die beiden Frauen in der Pizzabude haben sich ins Innere verzogen. Arni Sigurdsson ist großer KR-Fan, so ein bisschen Wind und Regen sei doch harmlos, sagt der Manager eines Zulieferunternehmens der Aluminiumindustrie:
"Das macht doch nichts. Ich gehe zu jedem Spiel, das ist die Natur, es gibt Wind und Regen, manchmal hat man vier verschiedene Wetterlagen in einem Spiel, Wind, Schnee, dann mal wieder Sonnenschein. Und klar beeinflusst es das Spiel."
Die Flugkurve des Balls ist auf dem Platz nahe der Küste durchaus etwas unberechenbarer. Aber das gilt ja schließlich für beide Mannschaften. Der normale Ligabetrieb so nah am Polarkreis ist auf die Sommermonate Mai bis September beschränkt. Die isländischen Fußballer sind zwar wetterfest und physisch gut durchtrainiert, aber für die professionelle Entwicklung war das in der Vergangenheit immer ein Problem. Inzwischen ist das anders. Die Nationalmannschaft des 300.000-Einwohner-Inselstaats ist zu einem ernstzunehmenden Team in Europa geworden.
"Das Team spielt überraschend gut und ich denke wir sind ein echter Schreck",
sagt ein Zuschauer beim Ligaspiel und ergänzt:
"Wir haben viele Spieler im besten Alter, die in internationalen Ligen spielen und wir haben zwei exzellente Trainer. Der schwedische leistet sehr gute Arbeit für das Team."
WM-Qualifikation für 2014 knapp verpasst
Lars Lagerbäck war neun Jahre Nationaltrainer der Schweden, ein Jahr in Nigeria, bevor er das Amt in Island übernahm. Und er hat bereits einiges erreicht. Nur hauchdünn scheiterte die Mannschaft bei der WM-Qualifikation für Brasilien. Für die Europameisterschaft in Frankreich sieht es in der Qualifikation zur Halbzeit glänzend aus: Mit vier Siegen und nur einer Niederlage belegt die Mannschaft derzeit Rang zwei in Gruppe A. Weit vor den Niederlanden und der Türkei und nur einen Punkt hinter den Tschechen. Zufall? Glück? Nein, sagt Heimir Hallgrímsson, der zweite Trainer neben Lars Lagerbäck:
"Wir haben gerade eine wirklich gute Spieler, eine Generation, die sich schon seit der Jugend kennt, gut eingespielt ist, die meisten im besten Fußballeralter zwischen 24 und 26 Jahren. Sie kennen sich bestens, mögen sich, der Teamspirit ist wirklich gut. Die meisten von ihnen haben vor ein paar Jahren auch die U21-Europameisterschaft bestritten."
Und sind in der Qualifikation damals auch an der deutschen Mannschaft mit Mats Hummels, Benedikt Höwedes oder Kevin Großkreutz vorbeigezogen. Dass eine solch gute Generation in Island überhaupt so heranreifen konnte, ist wiederum auch kein Zufall. Knapp 100 Profis sind in Europas Ligen derzeit unter Vertrag. Keiner aus der Nationalmannschaft spielt in der isländischen Liga, die eine Amateurliga ist. Aber die Grundlagen werden hier gelegt. Mit einer professionellen Ausbildung schon bei den ganz Kleinen ab vier, fünf Jahren.
"Wir haben qualifizierte Trainer auch für die ganz Jungen statt wie es in vielen sogar großen und reichen Ländern üblich ist, dass Eltern die Kinder trainieren bis sie 12, 13, 14 sind. Und ich glaube, das macht einen großen Unterschied und ist sicher mit ein Grund dafür, dass unsere Jugendmannschaften so erfolgreich sind. Sie qualifizieren sich fast immer für große Turniere, sowohl die Mädchen als auch die Jungen."
Investitionen in Infrastruktur
Für Heimir Hallgrímsson gibt es aber noch einen zweiten wichtigen Erfolgsfaktor und der hat damit zu tun, dass der isländische Verband KSÍ vor gut zehn Jahren dafür sorgte, dass einiges in die Infrastruktur investiert wird.
"Wir haben große Hallen mit Kunstrasenplätzen, wo alle trainieren und spielen können, unabhängig von Wind und Kälte. Das ganze Jahr, 24 Stunden sieben Tage die Woche. Das gab es in der Vergangenheit nicht. Und das hat großen Einfluss auf die Spieler. Sie sind dadurch technisch sehr viel besser als früher."
Ein Besuch in der Größten der Kunstrasenhallen Kórinn. Am späten Samstagnachmittag nutzen ein paar Nachwuchsspieler die Halle für ein Torwarttraining. Nicht nur die Trainingsmöglichkeiten wurden durch die großen Hallen erweitert, auch die Saison ist dadurch länger geworden, weil vor dem regulären Ligabetrieb draußen jetzt noch ein Ligacup in der Halle veranstaltet wird. Auch wenn in Kórinn nur etwa 1.000 Zuschauer Platz haben. Gebaut wurden die sieben Kunstrasen-Hallen im Land von den einzelnen Gemeinden. Alle noch vor der Finanzkrise 2008. Mit öffentlichen Mitteln, privaten Sponsoren und auch ein bisschen Geld der FIFA. Das Dach über dem Kopf trägt ganz wesentlich zur Blüte des isländischen Fußballs bei, ist Heimir Hallgrímsson überzeugt. Er erntet jetzt die Früchte. Wenn Lars Lagerbäck nach dem Turnier 2016 aufhört, wird der ausgebildete Zahnarzt die Nationalmannschaft allein übernehmen.
Zuvor hofft er, dass Island in Frankreich zum ersten Mal ein großes Turnier bestreiten wird. Nie waren die Chancen für eine Teilnahme besser. Und nie war die Fußball-Euphorie in Island bisher größer.