Im Jahr 1918 waren die Frauen nicht mehr dieselben wie 1914, bei Kriegsausbruch, sagt die französische Historikerin Françoise Thébaud. Aber am Ende des Kriegs waren sie keineswegs wirklich emanzipiert.
1986 widmete die Forscherin ihren französischen Geschlechtsgenossinnen im Ersten Weltkrieg ein umfangreiches Werk, ein seit Langem vergriffener Klassiker. Vor einem Jahr wurde er in ergänzter Fassung neu aufgelegt. Françoise Thébaud:
1986 widmete die Forscherin ihren französischen Geschlechtsgenossinnen im Ersten Weltkrieg ein umfangreiches Werk, ein seit Langem vergriffener Klassiker. Vor einem Jahr wurde er in ergänzter Fassung neu aufgelegt. Françoise Thébaud:
"Ich habe dargestellt, wie vielfältig und unterschiedlich die Erfahrungen der Frauen im Krieg waren. Manche Frauen sind in den Krieg gezogen, als Krankenschwestern, als Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie. Bäuerinnen mussten ihren Mann auf dem Feld ersetzen. Und alle Frauen lebten in einem Land, in dem der Krieg tobte und ihr Leben im Alltag veränderte."
Neue Rollen, neue Aufgaben
Auch in Deutschland standen die Frauen während des Ersten Weltkriegs ihren Mann, wie die Berliner Künstlerin Käthe Wolff ein Blatt ihres "Kriegsbilderbogens" von 1916 betitelte. In der Mitte des Scherenschnitts: eine Mutter mit Kindern. Umringt von Schattenbildern neuer Frauen: Postbotinnen, Straßenbahnschaffnerinnen, Schornsteinfegerinnen, eine Bäuerin hinter dem Pferdepflug. Frauen in Berufen, die sie vor dem Ersten Weltkrieg nicht ausüben durften. Und dank derer die Frauen nun im öffentlichen Leben eine neue Rolle einnahmen. Notgedrungen. Und übergangsweise. Der Krieg habe eine Emanzipation auf Leihbasis gebracht, erklärte die Historikerin Ute Daniel schon 1989.
In der Weimarer Republik sei die Gesellschaft sehr schnell zu traditionellen, konservativen Geschlechterbeziehungen zurückgekehrt, habe sie (gewissermaßen) zementiert, fügte die Forscherin Birte Kundrus an. Obgleich die Zeitschriften voll waren mit Bildern der "neuen Frauen": mit Bubikopf, kurzem Rock, selbstbewusst und wirtschaftlich unabhängig.
In der Weimarer Republik sei die Gesellschaft sehr schnell zu traditionellen, konservativen Geschlechterbeziehungen zurückgekehrt, habe sie (gewissermaßen) zementiert, fügte die Forscherin Birte Kundrus an. Obgleich die Zeitschriften voll waren mit Bildern der "neuen Frauen": mit Bubikopf, kurzem Rock, selbstbewusst und wirtschaftlich unabhängig.
Ähnlich lief es auch in Frankreich und Großbritannien, wie beim Pariser Kolloquium belegt wurde. Auf dem Podium saß auch Silke Fehlemann. Die Historikerin arbeitet an der Frankfurter Goethe-Universität:
"Und das ist in der neueren Forschung zur Weimarer Republik herausgestellt worden, dass diese neue Frau sehr stark ein Medienereignis war, also weniger tatsächlich eine breite Bewegung in der Bevölkerung."
"Und das ist in der neueren Forschung zur Weimarer Republik herausgestellt worden, dass diese neue Frau sehr stark ein Medienereignis war, also weniger tatsächlich eine breite Bewegung in der Bevölkerung."
Wahlrecht mit Einschränkungen
In Deutschland wurde das Frauenwahlrecht unmittelbar nach Kriegsende, im November 1918, eingeführt. In England ein Jahr später – allerdings durften nur Frauen über 30 wählen gehen. Die Französinnen mussten bis 1944 warten. Silke Fehlemann:
"In Deutschland ist das Frauenwahlrecht wirklich durch diese politischen alltäglichen Lebensbedingungen wirklich stark konterkariert worden. Und wenn man die Selbstzeugnisse liest, dann sieht man eben, dass die Frauen wirklich gelitten haben, dass die Kinder gehungert haben, dass die Jugendlichen in der Weltwirtschaftskrise arbeitslos waren und dass eben die familiäre Belastungssituation so stark war, dass eben diese positiven Aspekte, würde ich sagen, auch dann ganz stark in den Hintergrund geraten sind."
Ein Denkmal für die unbekannte Hausfrau
Karen Hunt ist Professorin für Zeitgeschichte an der Universität von Keele im Zentrum Englands. Die Gender-Expertin erforscht den Alltag an der britischen Heimatfront: Die Rolle der Hausfrauen in den lokalen Food Comitees, den Organisationen, die während des Krieges im ganzen Land für eine gerechte Verteilung der Lebensmittel sorgen sollten.
Vor 1914 galt die Verpflegung der Familie als Privatsache, als traditionell weiblicher Belang. Die kriegsbedingte Rationierungspolitik jedoch machte das Thema zu einer öffentlichen Angelegenheit. Und plötzlich wurden Hausfrauen diesbezüglich als Expertinnen gewürdigt: Jedes Lebensmittel-Komitee musste eine Frau in seinen Reihen zählen. Karen Hunt:
Vor 1914 galt die Verpflegung der Familie als Privatsache, als traditionell weiblicher Belang. Die kriegsbedingte Rationierungspolitik jedoch machte das Thema zu einer öffentlichen Angelegenheit. Und plötzlich wurden Hausfrauen diesbezüglich als Expertinnen gewürdigt: Jedes Lebensmittel-Komitee musste eine Frau in seinen Reihen zählen. Karen Hunt:
"Das brachte den Frauen ganz neue Möglichkeiten, in der Gemeindeverwaltung mitzuarbeiten, in einer Zeit, wo sie noch kein Wahlrecht hatten. Sie konnten sich nun bei einer wirklich wichtigen Angelegenheit im Alltagsleben einbringen. Damals erwarben sie erstmals politisches Gewicht, das ihnen nach Kriegsende nützlich war."
Die Rolle der Hausfrauen im Alltag an der Heimatfront werde noch längst nicht ausreichend gewürdigt, sagt Karen Hunt.
"In fast allen Ländern, die am Ersten Weltkrieg beteiligt waren, findet sich ein nationales Denkmal für den unbekannten Soldaten. Sicher, das ist wichtig zur Ehrung der Opfer. Ich jedoch schlage vor, auch der unbekannten Hausfrau ein Denkmal zu errichten.
Manch einer findet diesen Vorschlag verstörend und meint, damit würde das Opfer der Männer im Krieg unterhöhlt. Aber ein Denkmal für die unbekannte Hausfrau würde doch zeigen, wie wesentlich die Heimatfront für den Ausgang des Krieges war. Also, warum haben wir noch kein Denkmal für die unbekannte Hausfrau?
Der Erste Weltkrieg habe nicht wirklich eine wesentliche Rolle bei der Emanzipation der Frauen gespielt, winkt hingegen die französische Historikerin Françoise Thébaud ab:
"Mir scheint, dass der Krieg nicht besonders förderlich für die weibliche Emanzipation war. Allerdings sorgte er für Umbrüche in einzelnen weiblichen Lebensläufen. Am meisten betraf dies junge Mädchen aus großbürgerlichen Familien. Weil sie sich als Krankenschwestern im Krieg verpflichtet hatten oder weil ihre Familien im Krieg verarmt waren. Sie wurden von zuhause nun angehalten, Abitur zu machen. Und sie wählten qualifiziertere Berufe."
"Mir scheint, dass der Krieg nicht besonders förderlich für die weibliche Emanzipation war. Allerdings sorgte er für Umbrüche in einzelnen weiblichen Lebensläufen. Am meisten betraf dies junge Mädchen aus großbürgerlichen Familien. Weil sie sich als Krankenschwestern im Krieg verpflichtet hatten oder weil ihre Familien im Krieg verarmt waren. Sie wurden von zuhause nun angehalten, Abitur zu machen. Und sie wählten qualifiziertere Berufe."
100 Jahre Emanzipation und kein Ende
Ein Paradebeispiel: Simone de Beauvoir, deren großbürgerliche Familie im Krieg finanziell ruiniert wurde. 1924 legte Simone die Reifeprüfung ab. 1944 veröffentlichte die französische Philosophin ihr Werk "Das Zweite Geschlecht". Ein weltweiter Klassiker und Grundstein für die zweite Frauenbewegung in Europa.
Doch selbst wenn der Erste Weltkrieg Frauen in neue Berufe, neue Rollen gezwungen hatte - auch 100 Jahre später bleibt noch viel für die weibliche Gleichstellung zu erkämpfen, lautet das einhellige Credo beim Pariser Kolloquium.