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Energie aus dem Loch

Physik. - Schwarzen Löchern sollte man nicht zu nahe kommen, denn was sie einmal verschlingen, ist für immer verloren. Dennoch, so glauben deutsche Physiker, könnten diese gefräßigen Monster selbst ausgebeutet werden - nämlich zur fast grenzenlosen Energiegewinnung.

Von Frank Grotelüschen |
    "Ein Lastwagen voll Dreck, ein Lastwagen voll Sand, ein Lastwagen voll Wasser. Damit kann ich den Jahresenergieverbrauch der gesamten Welt rechnerisch abdecken."

    Nein, Horst Stöcker ist kein drittklassiger Science-Fiction-Autor, der zu lange durch sein Hobbyteleskop geguckt hat. Stöcker ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Frankfurt und außerdem deren Vizepräsident. Doch was bringt einen seriösen Wissenschaftler auf die Idee, man könne mit einer Lastwagenladung voller Dreck die Energieprobleme der Menschheit lösen? Nun, das Zauberwort heißt Schwarze Löcher. An sich sind das monströse Himmelskörper mit einer so gewaltigen Gravitation, dass sie sogar Licht für immer verschlucken.

    "Das schwarze Loch gibt nichts mehr her und frisst alles auf."

    Im Zentrum der Milchstraße, glauben die Experten, lauert so ein Monstrum, millionenfach schwerer als die Sonne. Aber: Es könnte sein, dass es schwarze Löcher auch als Miniaturausgabe gibt, viel kleiner noch als ein Atomkern. Und: Wenn man mit einem Teilchenbeschleuniger mit voller Wucht Wasserstoffkerne aufeinander feuert, könnte man diese Minilöcher womöglich gezielt erzeugen, sagt Stöckers Kollege Marcus Bleicher.

    "Das kann dazu führen, wenn man Kerne von Wasserstoffatomen aufeinander schießt, dass die Gravitationskraft bei der starken Verdichtung der Wasserstoffkerne derartig stark ansteigt, dass sich ein schwarzes Loch bilden kann. Und wir hoffen, dass das wirklich passiert und dass es beobachtbar wird."

    Konkret setzen die Frankfurter auf eine neue Supermaschine, die in diesem Jahr in Genf in Betrieb gehen soll: Der Large Hadron Collider LHC, ein unterirdischer Ring mit 27 Kilometern Umfang, der stärkste Beschleuniger aller Zeiten.

    "Und nach unseren aktuellen Rechnungen scheint die Energie am LHC wirklich auszureichen. Als Frankfurter würde ich nicht mein Monatsgehalt, sondern einen Kasten Äppelwoi wetten, dass das wirklich eintritt."

    Ein schwarzes Loch, also ein Gebilde, das kraft seiner Gravitation alles verschlingt - direkt unter den Füßen von Genfer Bankiers und französischen Landwirten? Das klingt - gelinde gesagt - nicht ganz ungefährlich...

    "Die Frage hat uns natürlich auch sehr stark interessiert. Und wir können nach heutigem Stand der Wissenschaft kategorisch verneinen, dass die schwarzen Löcher gefährlich sind, die man im Beschleuniger erzeugt."

    Denn so ein Mini Schwarzes Loch, sagt Bleicher, wird nicht etwa größer und dicker, wenn es Teilchen verschlingt, die ihm zu nahe gekommen sind. Stattdessen zerstrahlt es, und zwar bis auf einen winzigen Rest, gerade mal so schwer wie fünf Goldatome. Dieses Zerstrahlen brachte Horst Stöcker auf eine Idee. Womöglich könnte man Energie erzeugen, indem man das schwarze Löchlein gezielt füttert.

    "Ich kann es füttern mit ganz normaler Materie, sagen wir Wasser, Sand - irgendwas, ganz egal. Und das nach der Formel E=mc2 diese normale Materie dann umwandelt, aus Masse Licht macht. Das heißt: Sie werfen einen Wasserstoffkern in das schwarze Loch hinein, und heraus kommen zehn bis 20 Lichtquanten."

    Konkret könnte man die Löcher in Speicherringen kreisen lassen, sie dabei mit Materie füttern, die entstehende Strahlung ernten und in Strom umwandeln - so Stöckers Vision.

    "Und der Witz hier dran ist: Dieses Verfahren ist 1000 Mal mehr effizient als die normale Kernenergie. Er werden praktisch 90 Prozent der Masse umgewandelt in Energie. Und diese 90 Prozent sind so gewaltig groß, dass ich mit ganz wenig Materie die Weltenergieversorgung rechnerisch, also auf einem Stück Papier, abdecken könnte."

    Denkbar sei das nur, schränkt Stöcker ein, wenn der LHC tatsächlich die Minilöcher entdeckt. Wie dann konkret die Technik für so ein Loch-Kraftwerk aussehen könnte, weiß der Frankfurter Physiker allerdings noch nicht zu sagen. Dennoch: Einen Patentantrag für den Masse-Energie-Konverter hat er schon mal gestellt. Man weiß ja nie...