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Energieexperte
"Wir brauchen Europa, um effektiv Klimaschutz betreiben zu können"

Die Energiewende sei kein deutsches Projekt mehr, sagte Matthias Buck von der Denkfabrik Agora im Dlf. Es gebe andere Länder in Europa, die schneller voran kämen. Wichtig sei, dass es europäische übergeordnete Ziele gebe. Klare Ziele bei der CO2-Neutralität seien auch ein wichtiges Signal an Investoren.

Matthias Buck im Gespräch mit Jule Reimer |
Blick auf das Braunkohlekraftwerk Niederaußem der RWE Power AG in Bergheim-Niederaußem
"Wenn ich weiß, in 2050, spätestens 2050 wird Europa CO2-neutral sein, dann treffe ich heute, in den nächsten Jahren andere Investitionsentscheidungen", sagt der Energieexperte Matthias Buck. (pa/Geisler)
Jule Reimer: In ganz Europa setzten gestern Zehntausende von Demonstranten mit ihrem Gang auf die Straße ein Zeichen gegen den internationalen Rechtsruck und für ein Europa der Menschenrechte, für Demokratie und für den Klimaschutz. Denn die deutsche Bundesregierung tut sich schwer, den Kohlekompromiss umzusetzen. Die osteuropäischen Staaten, allen voran Polen, setzen sowieso gerne auf Kohle, und mit den Briten strebt ein Staat aus der Europäischen Union, der zumindest beim Klimaschutz sehr engagiert war. Abgesehen davon hat die Europäische Union ja noch eine Reihe anderer Sorgen - siehe zum Beispiel den Handelsstress mit den USA.
Wie die Energiewende auf europäischer Ebene umsetzen, angesichts vieler Hürden? Das fragte ich kurz vor dieser Sendung Matthias Buck von der Denkfabrik Agora Energiewende in Berlin.
Matthias Buck: In der Tat ist es so, dass trotz Populismus und Nationalisierungstendenzen in den letzten Jahren die Europäische Union sehr viel auf den Weg gebracht hat, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen. Wir haben einen umfangreichen Gesetzgebungsrahmen bis 2030, der letztlich das, was wir in Deutschland beschlossen haben, - die Energiewende über den gesamten Kontinent - auch verwirklichen wird.
Beispiel: Wir werden in den nächsten zehn Jahren, wenn man die Ziele umsetzt, die wir haben, und die Instrumente so verwirklicht, eine Reduktion der Kohleverstromung um zwei Drittel sehen in Gesamteuropa.
"Zunehmend hoher Preis im europäischen Emissionshandel"
Reimer: Woher kommt das?
Buck: Das sind unsere Klimaschutzziele. Das sind die Kostenreduktionen bei den erneuerbaren Energien. Das sind nationale Kohleausstiegsinitiativen. Das ist letztlich auch ein zunehmend hoher Preis im europäischen Emissionshandel.
Reimer: Bei der Stromerzeugung mit fossilen Energien. - Aber Tatsache ist: Die Strompreise in Deutschland sind für die Verbraucher sehr hoch. Die Frage ist, wir stehen ja auch vor der Europawahl: Ist das attraktiv, wenn andere Staaten auf Deutschland gucken?
Buck: Die Energiewende ist als solche kein deutsches Projekt mehr. Es gibt andere Länder in Europa, die gehen schneller voran als wir in Deutschland, beispielsweise skandinavische Länder, auch Österreich. Österreich hat sich zum Ziel gesetzt, 100 Prozent erneuerbaren Stromanteil in 2030 zu haben. Natürlich hat Wasserkraft dort eine andere Bedeutung als in Deutschland. Gleichwohl: Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel.
Das Wichtigste ist: Wir sind nicht allein. Alle Länder in Europa haben sich gemeinsam diese Ziele gesetzt. Und wenn Sie sich die europäischen übergeordneten Ziele angucken, dann sind die durchaus vergleichbar mit dem, was wir in Deutschland auch machen. Und in der Tat: Wir brauchen Europa, damit alle Länder in Europa die Energiewende voranbringen und den Klimaschutz effektiv betreiben können.
EU-Parlament sorgte für ambitionierten Handlungsrahmen
Reimer: Es gibt ja Forderungen, mehr Macht dem Europaparlament zu geben. Das darf bislang nicht selber Gesetze vorschlagen. Wir wissen jetzt noch nicht, wie die Wahlen ausgehen, aber wäre das prinzipiell sinnvoll?
Buck: Diese Forderung wird immer wieder erhoben. Wenn Sie die Praxis betrachten, dann ist es so: Die Kommission macht die Vorschläge für europäische Gesetze. Das Europäische Parlament spielt eine sehr wichtige Rolle in den Verhandlungen über die europäischen Gesetze.
Es ist in der Regel auf Augenhöhe mit den Mitgliedsstaaten und gerade im Bereich des Klimaschutzes und der Energiewende hat das Europäische Parlament in den letzten Jahren, obwohl wir rechts und links der Mitte auch europaskeptische Parteien im Parlament hatten, eine sehr aktive Rolle gespielt und dafür gesorgt, dass der europäische Handlungsrahmen in der Tat ambitioniert ist, was den Klimaschutz angeht.
"Spätestens 2050 wird Europa CO2-neutral sein"
Reimer: Angela Merkel, die Bundeskanzlerin hat ja angekündigt, sich der Initiative von Emmanuel Macron und einer Handvoll anderen Staaten anzuschließen, Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen. Ist das jetzt gefährlich? Das sind ja schon wieder 30 Jahre bis dahin. Da kann man viel versprechen. Oder ist das ein gutes Signal?
Buck: Es ist ein ganz wichtiges Signal, weil bestimmte Investitionen, die in den nächsten fünf Jahren getätigt werden, die werden getätigt mit einer Langfrist-Perspektive im Blick. Das betrifft insbesondere Investitionen im Industriebereich, aber auch im Gebäudebereich. Wenn ich weiß, in 2050, spätestens 2050 wird Europa CO2-neutral sein, dann treffe ich heute, in den nächsten Jahren andere Investitionsentscheidungen, als wenn das nicht klar ist.
Insofern ist es ein wichtiges Signal, dass auch Deutschland sich in dieser Debatte einbringt und mit den momentan acht Mitgliedsstaaten, die eine klare Entscheidung für CO2-Neutralität in 2050 einfordern, sich mit diesen Staaten auf eine gemeinsame Linie begibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.