Es war einer der wohl meistbeachteten Auftritte von Marine Le Pen zuletzt. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise debattiert das Europäische Parlament im vergangenen Herbst, wie es weiter gehen soll. Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande sind extra nach Straßburg gereist, um sich den Abgeordneten zu stellen. Da schraubt sich mitten in der Debatte die Vorsitzende des Front National von ihrem Sitz ganz rechts außen empor und schleudert den beiden Staatschefs mit einem Lächeln entgegen:
"Danke, Frau Merkel. Dass Sie heute mit Ihrem Vize-Kanzler gekommen sind, Verwalter der Provinz Frankreich!"
Ein typischer Auftritt
Angela Merkel gefriert der Gesichtausdruck. Francois Hollande versucht tapfer, gegen die Diffamierung anzulächeln. Ein typischer Auftritt der Front-National-Chefin, befindet der Vorsitzende der Christdemokraten, der größten Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber. Der CSU-Politiker erlebt Le Pen jetzt seit fast zwölf Jahren in Brüssel und Straßburg:
"Es sind natürlich populistische Positionen, die dort formuliert werden. Deshalb nimmt man die Ideen, die dort formuliert werden, schlicht nicht ernst. Schlicht deshalb, weil sie kein Beitrag zur Sachdebatte sind. Sie sind vielmehr allein populistisch motiviert, um im Heimatland einen kleinen Profit herauszuschlagen",
blickt Weber auf die Arbeit von Marine Le Pen und ihren Fraktionskollegen. Dann sagt der Christsoziale: Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel: Nehmen Sie die Plenarwoche vom April hier in Straßburg. Da haben wir über die Folgen der grausamen Anschläge von Brüssel diskutiert:
"Le Pen war gar nicht anwesend! Obwohl das ein Anschlag auf Europa war! Obwohl zuvor in Paris Anschläge waren, interessiert sich Frau Le Pen null für diese Fragen, was in Brüssel passiert, weil es für ihr eigenes Heimatvolk kein Interesse ist. Nach den Pariser Anschlägen war sie an vorderster Front und sagte: Da müssen wir drüber reden!"
Deutsche Parallelen
Ganz ähnliche Erfahrungen hat auch Arne Lietz gemacht. Der Sozialdemokrat kommt aus Sachsen-Anhalt, wo die deutsche AfD seit der letzten Landtagswahl zweitstärkste Kraft ist. Lietz sitzt seit 2014 im Europaparlament:
"Der Front National ist offen radikaler. Die AfD erlebe ich hier inhaltlich wenig konkret, eher provokant. Der Front National ist auch aufgrund seiner Größe und seiner längeren parlamentarischen Erfahrung im Moment viel aktiver unterwegs."
Sozialdemokrat Lietz sagt: Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, nehmen Sie einen meiner Ausschüsse. Den Auswärtigen Ausschuss. Da sitzt für den Front National ein Abgeordneter, der seiner Partei schon Geld aus Russland besorgt hat, als es finanziell eng wurde:
"Dieser Mann bezieht eindeutig pro-russische Positionen. Er verteidigt die Linie Putins zur Ukraine oder auch zu jeglichen Fragen der russischen Politik. Und wo daher versteht sich der Front National hier als Botschafter des Kremls und der harten Linie Putins und versucht hier immer wieder aufzuwiegeln."
Abwiegelungsversuche
Darauf angesprochen, aber auch auf die offen nationalistischen und fremdenfeindlichen Positionen seiner neuen Fraktionskollegen vom Front National, wiegelt Marcus Pretzell nur ab. Ach wissen Sie, gibt der AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen zurück:
"Also wenn es keine demokratische Partei wäre, dann wäre sie in Frankreich längst verboten, denn wir wollen doch nicht in Zweifel ziehen, dass Frankreich ein demokratisches System hat!"
"Europa der Nationen und der Freiheit" heißt nun also Pretzells neue Fraktion, die sich wie is Who des Who der europäischen Rechtsaußen-Kräfte liest.
Bestimmende Kraft mit mehr als der Hälfte der Mitglieder ist eben der Front National. Dazu kommt die Lega Nord aus Italien, die FPÖ aus Österreich, der Vlaams Belang aus Belgien, die Partei des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders sowie einige Osteuropäer.
Und geht es nach Pretzell sowie seinen Kollegen von der FPÖ, dann ist sein Fraktionswechsel jetzt ohnehin nur ein Zwischenschritt. Bereits in den nächsten Monaten würden sich weitere Abgeordnete, etwa aus dem Lager des britischen EU-Gegners Nigel Farage ihrer Fraktion anschließen:
"Na ja, wissen Sie, das ist hier im Europäischen Parlament ja durchaus üblich, dass man die Fraktion auch mal wechselt. Das ist ja kein ungewöhnlicher Vorgang ... "
Das Ziel: nur noch ein großer Anti-EU-Block im Europäischen Parlament. Bislang waren die Versuche immer gescheitert - vor allem wegen nationaler Befindlichkeiten.