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Entführung aus Berlin

Die Spuren Napoleons in der deutschen Geschichte sind tief und reichen bis heute. Deutlich sichtbar war sein Raubzug durch Deutschland unmittelbar nach dem Sieg über das preußische Herr 1806. In Berlin ließ er die Quadriga des Brandenburger Tores demontieren und nach Paris schaffen.

Von Christoph Schmitz-Scholemann |
    Frieden und Staatsklugheit sollte dieses klassizistische Kunstwerk symbolisieren. Sein Bild trägt jeder Deutsche bei sich: Wenn nicht im Herzen, dann doch im Portemonnaie, nämlich auf den 10-, 20- und 50-Cent-Münzen: Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor war Kulisse für staatenstürzende Ereignisse. Das erste trug sich schon wenige Jahre nach Errichtung des Tores zu. Im Oktober 1806 war das preußische Heer bei Jena und Auerstedt von der französischen Armee regelrecht zertrümmert worden. Wenige Tage später zog Napoleon in Berlin ein - natürlich durchs Brandenburger Tor. Der König war nach Ostpreußen geflohen. "Unser Dämel ist in Memel", sagten die Berliner und sahen mit Wehmut auf zu der mächtigen, aus Bronze getriebenen Plastik auf dem Tor. Walter Momper, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Historiker und als Regierender Bürgermeister zur Wendezeit mit rotem Schal selbst zum Symbol geworden, beschreibt die Quadriga:

    "Die Quadriga ist ein vierspänniger, einachsiger Wagen mit vier Pferden davor, auf dem steht eine Dame, die hält einen Stab mit dem eisernen Kreuz in der Hand, die Dame ist offenbar die Siegesgöttin, die von den Pferden gezogen wird."

    Siegesgöttin war die geflügelte Frau nicht immer. Als der Bildhauer Johann Gottfried Schadow um 1788 die Quadriga entwarf, hieß die Göttin noch Eirene - Frieden. An dem Stab in ihrer Hand war ein Palladium befestigt, das die Berliner als Lampe bezeichneten. Das Licht der Aufklärung leuchtete gemütvoll in Berlin zu der Zeit, als die Pariser Revolutionäre erst die Bastille und dann den ganzen Kontinent erstürmten. Preußen unterschätzte die rücksichtslose Wucht der Revolution und ihrer Armee, in der jeder Ziegenhirte nach ganz oben kommen konnte. Unterschätzt hat Preußen auch das imperatorische Genie Napoleons, der sich nicht damit begnügte, seine Gegner militärisch zu besiegen. Wie in archaischen Zeiten die Sieger den Unterlegenen ihre Götterbilder raubten, um sich deren spirituelle Kraft einzuverleiben, so verband Napoleon seinen Siegeszug mit groß angelegtem Kunstraub. Er bewies Geschmack, ob in Ägypten, Venedig oder Berlin. Und er traf den Feind im Herzen. Voll stiller Wut mussten die Berliner im Herbst 1806 mit ansehen, wie die Quadriga samt Göttin und Pferden zerlegt und zerschnitten, in Kisten verpackt und am 21. Dezember 1806 per Schiff auf den Weg nach Paris gebracht wurde.

    "Es ist eine Schmach für die Berliner gewesen und natürlich auch für Preußen, wobei Preußen zu der Zeit ohnehin auf dem absteigenden Ast war. Die friderizianische Gesellschaft war einfach nicht mehr zeitgemäß, die ganze Behördenstruktur, die Verwaltungsstruktur auch nicht."

    Verzopft, verrottet und vertrottelt seien Verwaltung und Armee in Preußen gewesen, sagen Geschichtsschreiber. Doch schon bald regte sich Widerstand.

    "Man sagt ja immer, in der Niederlage steckt auch eine Chance. Und hier war das so. Die deutsche Nationalidee, also dass alle Deutschen auch in einem Nationalstaat leben müssen, die ist eben auch unter den Schlägen der napoleonischen Heere erst richtig lebendig geworden und hat dann eine große Rolle gespielt."

    Fichte, Stein, Hardenberg - es war kein stumpfer Nationalismus, der sich am Raub der Quadriga entzündete. Es war eine Revolution von oben: Die im Volk schlummernden Kräfte sollten zugleich befreit und humanistisch gebändigt werden. Die Erbuntertänigkeit der Bauern wurde abgeschafft, die städtische Selbstverwaltung eingeführt, der Verwaltungsaufbau gestrafft, die Prügelstrafe für Soldaten beseitigt, die allgemeine Wehrpflicht proklamiert, Wilhelm von Humboldt reorganisierte das Bildungswesen. 1814 standen die Preußen in Paris, gekämmt, gestiefelt und gespornt. Die Quadriga fanden sie in gut gepflegtem Zustand, packten sie in Kisten und brachten sie im Triumphzug zurück nach Berlin. Die geflügelte Dame hieß nun Victoria - Sieg. Und an ihrem Stab befestigte man das eiserne Kreuz. Bis heute steht die mehrfach renovierte und im Jahre 1956 sogar neugeschaffene Göttin in der Kutsche, allen Lust- und Schandbarkeiten, die sie sehen musste, zum Trotz: Stumm, staatsklug, friedfertig, ein Produkt der schönsten deutschen Philosophie, beachtlich patiniert, aber beileibe nicht schwach.

    "Ich bin da schon drauf rumgeklettert. Ich hab mit der Göttin in der Kutsche gestanden, genau, neben der Dame. Die sieht ganz gut aus, ist ja kräftig gebaut, es ist schon eine ganz kampfstarke Dame, die da steht."