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Erdbeben
Warum trifft es immer wieder Mexiko?

Mexiko wird regelmäßig von Erdbeben erschüttert - vor exakt 32 Jahren kamen dabei 10.000 Menschen in den Trümmern ihrer Häuser ums Leben. Das Gebiet ist ein tektonisches Puzzle, Mexiko-Stadt steht zudem auf weichem Boden, der Bebenwellen noch verstärkt.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Soldaten entfernen am 08.09.2017 Schutt von einem teilweise zusammengebrochenen Gebäude in Juchitan in Oaxaca (Mexiko), nach dem Erdbeben vor der Pazifikküste. Das Erdbeben rund 140 Kilometer vom Festland entfernt hatte eine Stärke von 8,2. Es ist zusammen mit einem Beben von 1932 das stärkste gemessene Beben in Mexiko.
    Mexiko wird immer wieder von schweren Erdbeben getroffen, es gilt als eines der erdbebenträchtigsten Gebiete der Welt (dpa)
    Uli Blumenthal: Warum gibt es in Mexiko so viele Erdbeben?
    Dagmar Röhrlich: Mexiko ist eines der erdbebenträchtigsten Gebiete der Welt, denn es ist ein tektonisches Puzzle. Das Land liegt zum größten Teil auf der Nordamerikanischen Platte. Vom Pazifik her wird die schwere ozeanische Cocos-Erdkrustenplatte unter die leichte nordamerikanische Krustenplatte subduziert - sprich: Sie taucht in den Erdmantel hinein ab. Und weiter im Norden, Richtung Kalifornien, mischt sich dann auch noch die Pazifische Platte mit ein - es ist die südliche Fortsetzung der San Andreas Verwerfung. Komplizierte Situation und enorme tektonische Kräfte.
    Blumenthal: Derzeit ist die Rede von mehr als 200 Todesopfern. Warum wird Mexico-City immer wieder so schwer getroffen?
    Röhrlich: Das Epizentrum lag rund 120 Kilometer südöstlich von Mexico City bei der kleinen Stadt Axochiapan - die Auswirkungen waren jedoch besonders verheerend in Mexico-City. Auch bei dem großen Beben vor 32 Jahren, 1985, als sich das Erdbeben an der Subduktionszone der Cocos-Platte ereignete, lag das Epizentrum im Meer und damit recht weit entfernt.
    Der Grund für die Anfälligkeit der Stadt: Die Conquistadores haben für sie den unter Erdbebengesichtspunkten absolut schlechtesten Ort ausgesucht. Sie hatten einen See trocken gelegt - und ein großer Teil Mexico-Citys steht deshalb heute auf weichen, stark wasserhaltigen Sedimenten - die verstärken die Bebenwellen, und es kommt außerdem zu Bodenverflüssigung. Als wäre das noch nicht genug, liegen diese weichen Sedimente auch noch in einer Art Schüssel aus Vulkangestein. Die reflektiert die Bebenwellen auch noch.
    Unter der Stadt selbst gibt es keine nennenswerten Störungen - doch weil der Seeboden durch seismische Wellen wie ein Wackelpudding zu zittern beginnt, wirken auch weiter entfernte Beben zerstörerisch. Es sind vor allem höhere Gebäude, die in Resonanz mit den Bodenschwingungen geraten und zusammenbrechen.
    Blumenthal: Stehen das Beben vom 7. September und das von gestern in Zusammenhang?
    Röhrlich: Dazu habe ich mit dem Geophysiker Vlad Manea von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko telefoniert. Danach könnte es einen Zusammenhang geben, dass es sich bei den Erdbeben von gestern und ein von dem 8.2-Erdbeben sozusagen "fernausgelöstes" Nachbeben handelt. Aber sicher ist das noch nicht.
    "Es gibt keine Entwarnung"
    Blumenthal: Die Analysen dauern ja immer eine Zeit, was wissen die Geophysiker inzwischen über das erste Beben?
    Röhrlich: Das Chiapas-Beben vom 7. September ereignete sich im Süden Mexikos, wo die Cocos-Meereskrusten-Platte unter Mexiko subduziert wird, also im Erdmantel verschwindet. In solchen Subduktionszonen ereignen sich die schwersten Beben überhaupt - wie etwa das Tohoku-Beben von 2011 mit seinem verheerenden Tsunami. Das Epizentrum des Chiapas-Bebens liegt in einer 125 Kilometer langen, sogenannten seismischen Lücke: Dort ist also das nächste schwere Beben statistisch gesehen überfällig. Und bei einer Magnitude von 8,2 war die erste Vermutung, dass sich das Chiapas-Beben in dieser dort ja offensichtlich verhakten Subduktionszone ereignet hat.
    Und genau das ist nicht der Fall. Es ereignete sich nicht in der Zone, wo die Cocos-Meereskrustenplatte unter die nordamerikanischen Kontinentalplatte sinkt. Sondern es entstand innerhalb der abtauchenden Cocos-Meereskrustenplatte. Und zwar ist - wie man jetzt weiß, eine alte Störungszone in der Cocos-Platte aktiviert worden - und zwar hat es auf der kurzen Distanz von 100 Kilometer einen vertikalen Versatz von sieben bis zehn Metern gegeben. Das ist alles sehr ungewöhnlich.
    Das Ganze fand in 70 Kilometern Tiefe statt - und glücklicherweise blieb der Riss in 40 Kilometern Tiefe stecken. Sonst wäre die Küste nicht nur von einem zwei, drei Meter hohen Tsunami getroffen worden, sondern von einem zehn Meter hohen - und dort liegen sehr viele Touristen-Resorts direkt am Strand, und Vorwarnzeit gibt es so gut wie nicht.
    Blumenthal: Hat sich damit sie seismische Lücke geschlossen?
    Röhrlich: Inzwischen wissen die Seismologen der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko auch, dass ihre Hoffnung trügerisch war: dass die Nachbeben den tektonischen Stress in der seismischen Lücke nicht abbauen. Danach hatte es zunächst ausgesehen, weil sich die Nachbeben in diesem Gebiet konzentrierten. Doch die genaue Analyse zeigt, dass sich auch die Nachbeben innerhalb der abtauchenden Cocos-Platte abspielen. Der tektonische Stress, der sich seismischen Lücke aufgebaut hat, bleibt davon unberührt, könnte höchstens noch verstärkt werden. Es gibt also keine Entwarnung.
    Blumenthal: Und das Beben von gestern?
    Röhrlich: Auch dieses Beben ereignete sich - ersten Analysen zufolge - ganz in der Nähe des oberen Rands der Cocos-Platte, aber eben doch innerhalb - genau wie das Chiapas-Beben. Und es könnte - wie gesagt - über eine große Distanz ausgelöst worden sein, und damit wäre es ein Nachbeben, wenn sich das bewahrheitet.
    1999 gab es in dem Gebiet ein ähnliches Ereignis, aber der Bebenherd lag damals tiefer, und die Schäden waren sehr viel geringer. Diesmal lag er nur in 50, 60 Kilometer Tiefe, und weil das Beben so flach war, konnte es die großen Schäden anrichten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.