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Erdogan in der ARD
Ein Präsident in seinem Element

Die ARD hat den türkischen Präsidenten Erdoğan ausführlich befragt. Der zeigt sich in dem Interview überzeugt davon, alles richtig zu machen.

Von Reinhard Baumgarten |
    Erdogan-Anhänger mit Fahnen, im Hintergrund Porträt von Erdogan auf einem Bildschirm
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Die Todesstrafe kommt, wenn das Parlament sich dafür ausspricht (ADEM ALTAN / AFP)
    Ein Präsident in seinem Element. Recep Tayyip Erdogan ist ein Meister der offenen Antworten. Das Exklusivinterview der ARD ist ein beredtes Beispiel dafür. Der 62-Jährige bringt seine Botschaften an den Mann, wie immer die Fragen auch lauten mögen. Ja, sagt er, die Putschnacht sei einer der kritischsten Momente in seinem politischen Leben gewesen. Auf die vielen schnellen und gezielten Verhaftungen unmittelbar nach dem Putsch angesprochen, antwortet er, es habe genug Zeit gegeben, sich darauf vorzubereiten. Gab’s Listen, nach welchen Kriterien wurden die Menschen festgenommen, können Irrtümer ausgeschlossen werden? Präsident Erdogan lässt vieles offen.
    Er sei schließlich kein König
    Verlängerung des Ausnahmezustands? Schon möglich, orakelt der Präsident. Auf die ersten drei Monate, könnten noch mal drei folgen, wenn eine Normalisierung nicht erreicht werde. Die Entlassungen und Verhaftungen seien notwendig und gerechtfertigt bekräftigt Erdogan. Ein Qualitätsverlust etwa in der Bildung sei trotz der vielen Entlassungen von Lehrern – es geht inzwischen um Zehntausende - nicht zu befürchten, weil ja neue Lehrer eingestellt würden. Die Qualität im Justizapparat nach der Entlassung von bald knapp 2800 Richtern wird nicht angesprochen.
    Dafür aber das Thema Todessstrafe. Das Volk spreche sich für deren Wiedereinführung aus. Er sei schließlich kein König, sondern ein direkt vom Volk gewählter Präsident, der den Willen des Volkes berücksichigen müsse. Letztlich müsse aber das Parlament – in dem seine AKP die absolute Mehrheit hat – über die Wiedereinführung der Todesstrafe entscheiden.
    Erdogan möchte die Gelegenheit nutzen, der EU Wortbruch vorzuwerfen
    Natürlich kommt die Flüchtlingsfrage zur Sprache. Präsident Erdogan ist voll des Lobes – für sein Land. Was immer wir in der Flüchtlingsfrage versprochen haben, das halten wir auch ein. Aber ich stelle eine Gegenfrage an die Europäische Union: Hält sich Europa an seine Versprechen? Nein, beantwortet Erdogan unwidersprochen seine eigene rethorische Frage. Drei Milliarden Euro habe die EU zugesagt. Nur wenige Millionen seien geflossen. Der Präsident könnte von den vielen Flüchtlingsprojekten deutscher und europäischer Organisationen in der Türkei wissen, in die inzwischen erheblich mehr Geld geflossen ist. Allein die Deutsche Welthungerhilfe wendet knapp 30 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe in der Türkei auf. Doch der Präsident hat etwas anderes im Sinn: Er möchte die Gelegenheit nutzen, der EU Wortbruch vorzuwerfen.
    Noch immer gebe es keine Visafreiheit, kritisiert er. Warum das so ist, dass Brüssel und Ankara sich auf 72 Kritierien verständigt haben, die noch lange nicht alle erfüllt sind, wird nicht erörtert. Bei der Frage nach dem konkreten Kampf gegen Terroristen verweist Erdogan darauf, die Türkei habe Tausende Akten über Terrorverdächtige nach Deutschland und in andere EU-Länder geschickt, aber dort werde der Terrorismus nicht ernsthaft bekämpft, so Erdogans Vorwurf.
    Kampf gegen "Gülen" ist vordringlichste Aufgabe
    Warum die Türkei so viel über Terrorverdächtige in EU-Staaten weiß, aber die Terroristen im eigenen Land seit einem Jahr viele blutige Anschläge verüben konnten, wird nicht besprochen. Unerwähnt bleiben auch international erhobene Vorwürfe, Ankara habe religiöse Extremisten gewähren lassen, um den Fall von Syriens Diktator Assad zu beschleunigen. Mit Verweis auf München und Ansbach driftet der starke Mann der Türkei beim Thema Terrorismus schließlich ins mehr Philosophische: Kann man von christlichem oder jüdischem Terrorismus sprechen? Wenn ein Jude einen Terroranschlag verüben sollte, ist das dann ein jüdischer Terrorakt? Diesen Fehler hat neulich erst Herr Hollande begangen. Er sprach von islamischem Terror. Diese Bezeichnung haben wir oft genug verurteilt.
    Präsident Erdogan hat seit dem gescheiterten Putschversuch das Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung als vordinglichsten Kampf gegen den Terror bezeichnet. Auch im ARD-Interview ist er dieser Linie treu geblieben.