Marcel Anders: Herr Erlandson, was finden Sie im buddhistischen Glauben, was Ihnen der Rock'n'Roll scheinbar nicht bieten kann?
Eric Erlandson: Ich identifiziere mich mit dem Nichiren-Shoshu-Buddhismus, weil er auf dem Gesetz von Ursache und Wirkung basiert. Sprich: Er ist nicht zu esoterisch, sondern ein spirituelles Modell für einfache Leute. Er hilft dir, die Probleme in deinem Leben zu überwinden, indem du bis zu ihren Wurzeln vordringst, statt da so etwas wie ein religiöses Pflaster anzubringen.
Anders: Wann haben Sie angefangen, sich intensiv damit zu befassen?
Erlandson: Ich praktiziere Buddhismus seit 1990. Also zu der Zeit, als wir mit der Band angefangen haben. Lustigerweise war es Courtney, die mich dazu brachte, und ich habe damit weitergemacht - während sie das Ganze eher spontan betrieben hat. Mal mehr, mal weniger. Ich dagegen war ziemlich konstant, vor allem seit sich die Band getrennt hat. In den 90ern hat mich der Glaube regelrecht zusammengehalten. Und es war sehr hilfreich, ein Werkzeug zu haben, das nicht auf Selbstzerstörung aus ist.
Komplett ausgebrannt
Anders: Das klingt nach einem spirituellen Rettungsanker. Wie nötig hatten sie den?
Erlandson: Ich war komplett ausgebrannt. Ich hatte Jahre harter Arbeit in die Musik investiert, doch Ende der 90er ist alles in sich zusammengebrochen - weil Courtney unter dieser fürchterlichen Ich-kann-alles-alleine-Krankheit litt. Dann hat sie unsere Plattenfirma verklagt und ich wurde da mitreingezogen, weil mein Name auf sämtlichen Verträgen auftauchte. Ich habe mich letztlich außergerichtlich geeinigt und war froh, das alles hinter mir zu lassen.
Anders: Darf man fragen, woran Hole als Band gescheitert sind?
Erlandson: Als wir anfingen, besaßen wir ein konkretes Ziel und hatten viel vor. Ich dachte ernsthaft, wir würden die Welt verändern. Aber wenn ich zurückschaue, muss ich mir eingestehen: Wir waren doch nur eine Band. Wir haben zwar ein bisschen was erreicht, aber mir ist auch klar geworden: Du kannst die Welt nur verändern, wenn du die Menschen auch wirklich erreichst.
Anders: Ist Ihnen das etwa nicht gelungen?
Erlandson: Nein. Dabei hatten wir einen Song, der drauf und dran war, die Top 40 in Amerika zu erreichen. Doch dann hat Courtney alles zum Stillstand gebracht. Und deswegen rede ich auch von einem klassischen Fall von Größenwahn, mit dem sie sich selbst in den Fuß geschossen hat. Und zwar so schlimm, dass es für jeden unbegreiflich war. Sie ging in Vancouver auf die Bühne und sagte: "Das ist unsere letzte Show. Ich steige aus, um einen Film zu drehen." Ein Underground-Streifen über das Leben von William Burroughs, den kaum jemand gesehen hat. Weshalb sich jeder fragte: Dafür hat sie die Tour abgebrochen und die Band aufgelöst? Es machte keinen Sinn. Wir haben uns zehn Jahre lang abgeschuftet. Und ich habe immer noch in einem Drecksloch gewohnt, als wir "Celebrity Skin" aufgenommen haben. Dabei meinte unsere Plattenfirma, wir hätten 1,5 Millionen Exemplare von "Live Through This" verkauft und 1,5 Millionen von "Celebrity Skin". Doch im Gegensatz zu ihnen habe ich nie einen Cent gesehen.
"Du solltest ein Buch schreiben"
Anders: Warum haben Sie danach keine Solo-Karriere gestartet - oder zumindest einen musikalischen Neuanfang probiert?
Erlandson: Ich hatte viele Angebote von Leuten, die irgendwelche Super-Gruppen mit mir starten wollten. Und viele dachten: Er wird ein zweiter Dave Grohl und macht wer weiß was. Aber meine Reaktion war: Ich will nicht wie Dave sein. Stattdessen bin ich eines Abends mit einer Freundin durch die Gegend gefahren und habe ihr all diese Geschichten erzählt, die ich erlebt habe. Worauf sie meinte: Du solltest ein Buch schreiben. Das war in 2000. Und es hat mich viel Zeit gekostet, das zustande zu bringen.
Obwohl: Wenn man sich eine große Autorin wie Patti Smith vor Augen führt, dann war sie bereits eine gute Schriftstellerin, bevor sie überhaupt eine Band gegründet hat. Und auch sie hat Zeit gebraucht, um "Kids" zu schreiben. Vorher hatte sie einen Gedichtband verfasst, eine Hommage an Robert Mapplethorpe. Das war in den 90ern. Insofern hat sie 15 Jahre Vorbereitung gebraucht, ehe sie "Kids" angegangen ist. Sie hat es begonnen, dann zur Seite gelegt und irgendwann zu Ende geführt. Weshalb ich mir gesagt habe: Ich mache es wie sie und stelle zunächst einmal Schnappschüsse dieser Zeit zusammen, einfach um den Ball ins Rollen zu bringen. Denn Prosa-Gedichte sind eine tolle Art, um sich als Schreiber zu entwickeln und sich gleichzeitig dahinter zu verstecken.
Anders: Mit einer klassischen Rockstarbiografie hätten Sie bestimmt mehr Aufmerksamkeit erzielt und auch mehr Geld verdient. Warum haben Sie sich dem Format verweigert?
Erlandson: Anfang der 2000er hat jeder, der mal in einer Rockband war, eine Autobiografie geschrieben. Da wollte ich nicht in dieselbe Kerbe hauen. Doch als ich den Gedichtband veröffentlicht habe, meinten die Leute: Wir wollen richtige Geschichten mit jeder Menge schmutziger Wäsche. Das fand ich schade, weil es beim Schreiben ja nicht nur um die Befriedigung des eigenen Egos gehen sollte. Eben: Schaut, was ich alles erlebt habe. Das ist das Problem der meisten Biografien: Die Autoren haben sich nicht weiterentwickelt, sondern trauern nur ihrem Rockstar-Leben nach. Wobei sie nicht zugeben, dass sie jede Menge Mist gebaut haben.
"Kurt Cobain war die Ikone unserer Generation"
Anders: "Letters To Kurt" - Briefe an Kurt - ist eine Hommage an Nirvana-Sänger Kurt Cobain, der sich im April 1994 erschossen hat. Haben Sie Schuldgefühle, was seinen Tod betrifft?
Erlandson: Nun, ich hatte viele Freunde, die sich umgebracht haben. Und er ist der berühmteste davon. Er war die Ikone unserer Generation und er steht für so viel. Insofern ist er der Grund, warum ich angefangen habe, mich mit dem Thema Selbstmord zu befassen. Einfach, weil ich keine Ahnung hatte. Wenn du das zum ersten Mal miterlebst, reimst du dir deinen eigenen Teil zusammen, warum Menschen so etwas tun, warum sie diesen Weg wählen und wie du ihnen helfen könntest, sich anders zu entscheiden.
Anders: Und Sie konnten Kurt Cobain nicht helfen?
Erlandson: Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, hätte ich eingegriffen. Denn Kurt Cobain war das Musterbeispiel für einen suizidgefährdeten Menschen. Seine Songs waren ein offenkundiges Indiz, genau wie seine Tagebücher, in denen es ungefähr eine Million Mal hieß: "Ich hasse mich und will sterben". Doch alles, was von seinem Manager und Label kam, war: "Er formuliert da nur seine Songtexte aus." Nein! Er hat damit zum Ausdruck gebracht, was er fühlte. Leider war ich damals zu beschäftigt damit, Courtney am Laufen zu halten. Heute denke ich: Vielleicht habe ich mich auf den falschen Menschen konzentriert.
"Urheberrechte sind ein Witz"
Anders: Nach all dem Drama in den 90ern: Wie nutzen Sie Ihre Kreativität heute? Beziehungsweise: Worin besteht eigentlich ihre Tätigkeit im Tempel?
Erlandson: Ich coache Leute. Ich berate sie und helfe ihnen. Wenn jemand Hilfe braucht und etwas in seinem Leben verändern möchte und auch wirklich bereit dazu ist, dann versuche ich ihm oder ihr mit Übungen beizustehen. Und ich habe meine eigenen Mentoren, die dasselbe mit mir tun. Ich lerne Sachen von ihnen und reiche sie weiter.
Anders: Ganz ehrlich: Können Sie davon leben?
Erlandson: Nicht wirklich. Dazu müsste ich einen Weg finden, um mit der modernen Zeit klarzukommen und mit Tantiemen von aktuell einem Penny pro Song über die Runden zu kommen. Denn Urheberrechte sind ein Witz - sie bringen gerade mal den Bruchteil eines Pennys. Nur: Das menschliche Leben ist wichtiger. Geld ist nur Geld. Ein Werkzeug. Wir brauchen es zwar, aber wir brauchen auch ein Leben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.