"Ich bin kein Politiker, ich bin Revolutionär. Für mich bedeutet Revolution tatkräftige christliche Nächstenliebe, verwirklichte Barmherzigkeit."
So hat Ernesto Cardenal - der Padre, wie ihn alle respektvoll nennen - sein politisches Credo einmal formuliert. Es hat mehr mit dem Evangelium zu tun als mit dem Programm der Sandinistischen Revolution, der er sich in den 1970er-Jahren anschloss. Damals glaubte er, dass nach der Beseitigung der Somoza-Diktatur in Nicaragua sich etwas von seinen christlichen Idealen realisieren ließe.
Dabei ist sein Ursprung in einer wohlhabenden Patrizierfamilie, in die er am 20. Januar 1925 hineingeboren wurde, geradezu großbürgerlich zu nennen. Auch die frühen Naturbeschreibungen und Liebesgedichte deuteten nicht auf einen revolutionären Aufbruch hin.
"Als ich dich verlor, haben wir beide verloren:
ich, weil du warst, was am meisten ich liebte,
und du, weil ich es war, der am meisten dich liebte.
Doch von beiden verlierst du mehr als ich:
weil ich andere lieben kann, wie ich dich liebte,
aber dich wird niemand so lieben wie ich."
ich, weil du warst, was am meisten ich liebte,
und du, weil ich es war, der am meisten dich liebte.
Doch von beiden verlierst du mehr als ich:
weil ich andere lieben kann, wie ich dich liebte,
aber dich wird niemand so lieben wie ich."
Die somozistische Terrorherrschaft öffnete jedoch dem Schwärmer rasch die romantisch verklärten Augen. Als er sich 1954 als junger Student an einer Verschwörung gegen den Diktator beteiligte, entkam er nur knapp einem Massaker. Noch fehlte dem engagierten Bohemien eine tiefergehende ethische Motivation. Er fand sie im praktizierten Christentum, einem auf das Diesseits orientierten, auf gesellschaftliche Veränderung zielenden Glauben. 1957 entschloss er sich, in das Kloster Gethsemani in Kentucky einzutreten und Novize des Dichtermönchs Thomas Merton zu werden.
Christentum und Karl Marx
Die zweite große "Bekehrung" - wie er sagte - folgte zehn Jahre später durch den Sozialismus in Cuba. Hier sah er die Realisierung dessen, was er als "Reich Gottes auf Erden" immer wieder poetisch zu fassen versuchte. So verband sich für ihn sein Begriff des Christentums mit der Utopie von Karl Marx. In einem seiner wichtigsten Gedichte - Nationallied für Nicaragua - schrieb er:
"Es gibt so viel Mais zu pflanzen, so viele Kinder zu unterrichten
so viele Kranke zu heilen, so viel Liebe
zu verwirklichen, so viel Gesang. Ich singe
ein Land, das bald geboren wird."
so viele Kranke zu heilen, so viel Liebe
zu verwirklichen, so viel Gesang. Ich singe
ein Land, das bald geboren wird."
1979 war es so weit: Ernesto Cardenal konnte in sein Land heimkehren und wurde Kulturminister der siegreichen Sandinistischen Revolution. Mit seiner basisorientierten Politik verstörte er jedoch das politische Establishment. 1986 musste er gehen. Er zog sich nach Solentiname zurück, auf jenes Eiland im Großen See von Nicaragua, wo er in den 1960er-Jahren eine christliche Kommune gegründet und die naive Malerei der Bewohner gefördert hatte.
Poetische Kosmologie
Der Rückzug nach Solentiname bedeutete jedoch keinen Verzicht auf sein politisches Engagement. Immer wieder verurteilte er die autoritären Praktiken und die zunehmende Korruption der sandinistischen Führung. Den gegenwärtigen Präsidenten und ehemaligen Revolutionär Daniel Ortega hält er für einen Verräter.
"Das ist heute die Familien-Diktatur von Daniel Ortega, seiner Frau und seinen Söhnen. Sie haben sich auf skandalöse Weise bereichert und sind durch Wahlbetrug an die Macht gekommen."
Ernesto Cardenal hat in der Einsamkeit von Solentiname sein Hauptwerk geschaffen: "Gesänge des Universums", ein Meilenstein der lateinamerikanischen Literatur. Es enthält seine poetische Kosmologie, ein Stück Menschheitsgeschichte und ist zugleich ein Gesang der Liebe.
"Über uns jene schwarzen Löcher, aus denen es keine Wiederkehr gibt
und wo Raum und Zeit enden. Ist er denn unvermeidlich
der totale Zusammenbruch des Universums unter der Schwerkraft,
hin zum Vergessen?
Wie es auch sei:
die große konkave Scheibe,
die riesige Antenne, drehen wir sie
in Richtung auf die Liebe."
und wo Raum und Zeit enden. Ist er denn unvermeidlich
der totale Zusammenbruch des Universums unter der Schwerkraft,
hin zum Vergessen?
Wie es auch sei:
die große konkave Scheibe,
die riesige Antenne, drehen wir sie
in Richtung auf die Liebe."