Regina Brinkmann: Jede Schule braucht einen Sozialpädagogen, fordert aktuell der Verband Bildung und Erziehung. An Schulen sind die begehrten pädagogischen Kräfte viel zu oft Mangelware. An Hochschulen dagegen traten sie bisher gar nicht in Erscheinung. Die Hochschule Zittau/Görlitz leistet in dieser Sache seit einigen Tagen Pionierarbeit. Seit Anfang Juni beschäftigt sie mit Sandro Hänseroth als erste Hochschule Deutschlands einen Sozialarbeiter, der aus Mitteln des Landes bis 2020 finanziert wird. Vor dieser Sendung habe ich Sandro Hänseroth gefragt, warum sich die Hochschule dazu entschlossen hat, neben dem Angebot der psychosozialen Beratung erstmals einen Sozialarbeiter einzustellen.
Sandro Hänseroth: Also wir haben die letzten Jahre vermehrt festgestellt seit der Bachelor-Umstellung, dass die psychologischen Probleme zunehmen und die sozialen Probleme bei den Studierenden und dass der Zugang zu den professionellen Angeboten doch sehr hochschwellig ist und nicht alle Studierenden erreicht werden. Dann haben wir 2012 an der Hochschule ein Programm etablieren können, das nennt sich "Studierende beraten Studierende", das ist aus Mitteln des Qualitätspakts vom Bund finanziert, wo ich im Prinzip Studierende ausbilde, die wiederum Studierende beraten, die, die neu anfangen im Studium, was ein sehr niedrigschwelliges Angebot ist, so die erste Orientierung gibt, aber auch bei persönlichen Problemen hilft. Wir haben festgestellt, dass wir damit nicht alle Studierenden erreichen und das noch einen Mittelweg braucht. Damit ist das Projekt dann entstanden. Wir haben ein Konzept geschrieben und das jetzt bewilligt bekommen.
Brinkmann: Wie sieht jetzt Ihr Mittelweg als Sozialarbeiter aus, wie muss man sich das vorstellen, was machen Sie?
Hänseroth: Meine vorrangige Aufgabe ist aufsuchende Arbeit, also ich gehe im Prinzip an die Treffpunkte der Studierenden oder in die Hochschulgebäude, in die Mensen und Studierendenclubs und informiere über die Beratungsangebote, die bestehen, aber auch über Gruppenangebote von der psychosozialen Beratungsstelle, kommen darüber dann ins Gespräch. Wir können so aktuelle Themen, die bei den Studierenden da sind, direkt besprechen.
Brinkmann: Was erzählen die Ihnen dann so zum Beispiel?
Hänseroth: Es geht um alltagsnahe Themen, was sie im Studium gerade bewegt und gerade aktuell die Belege und Prüfungen, aber auch die Vorlesungen und Seminare, die gerade laufen. Manchmal mündet das auch schon in Beratungsgespräche, die eher problembezogen sind, also wenn es darum geht, die ganzen Sachen, die anstehen, auch zu schaffen, und wenn die Zeit immer knapper wird, wie geht man auch mit Unsicherheiten im Studium um, oder bei den älteren Semestern auch, wie geht es nach dem Studium weiter. Da sind Zukunftsängste da, manche haben finanzielle Probleme. Manchmal entsteht es schon in diesen Gesprächen, oder es bitten im Prinzip die Studierenden darum, ein Beratungsgespräch mit mir zu führen.
Brinkmann: Und wenn Sie dann zum Beispiel feststellen, da liegt was Schlimmeres, was Tiefergehendes vor, würden Sie dann weiterleiten an die psychosoziale Beratungsstelle oder wie würden Sie da weiter vorgehen?
Hänseroth: Ich arbeite eher an den Lösungen, auch an den kurzfristigen Lösungen, wenn es akute Sachen sind, die man erst mal übersteht, mit dem Ziel natürlich, dass die Studierenden in eine professionelle Beratung gehen. Diese Zeit kann ich ein bisschen überbrücken. Manchmal ist es den Studierenden auch sehr wichtig, das Problem einfach mal zu schildern und loszuwerden, das ist für viele schon eine Entlastung und bietet eine neue Perspektive. Man findet auch schneller eine Lösung in einem lockeren Gespräch, dass manchmal der Weg zur Beratungsstelle auch gar nicht mehr so notwendig ist.
Auch eine Entlastung für Professoren
Brinkmann: Wie profitieren denn die Professoren und Dozenten von Ihrer Arbeit?
Hänseroth: Es ist so, dass viele Professoren ja sehr eng mit Studierenden zusammenarbeiten oder auch im Amt, Prüfungsamt oder Auslandsamt, und öfter über die Verwaltungswege auch Themen angesprochen werden, wo den Kolleginnen und Kollegen oft die Zeit fehlt oder auch die beraterischen Kompetenzen, solche schwierigeren Themen zu bearbeiten. Da können sie mich im Prinzip gezielt ins Spiel bringen und weitervermitteln, wenn ich direkt vor Ort bin auch einfach mal anrufen oder den Studierenden die Kontaktmöglichkeiten mitteilen, was natürlich auch zu einer Entlastung führt für die Professorinnen und Professoren und Mitarbeiter.
Brinkmann: Und sie können sich vielleicht auch Hilfe holen, wenn sie konkrete Fragen haben: Wie gehe ich mit bestimmten Problemen in meinem Seminar oder Mitstudierenden, die Probleme haben, um?
Hänseroth: Das ist auch eine Idee des Projekts, dass wir mit der Hochschulsozialarbeitsstelle eine sozialpädagogische Perspektive insgesamt in der Hochschulentwicklung einbringen, eben auch bei konfliktbehafteten Themen oder auch wenn in der Lehre Schwierigkeiten sind oder im Umgang mit Studierenden, wo auch die Situationen schwierig sind. Genau, das ist auch möglich.
Brinkmann: Jetzt haben wir eben schon darüber gesprochen, Sie haben jetzt einen sehr kleinen Campus. Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihr Modell Schule macht?
Hänseroth: Ich hoffe es natürlich sehr. Also ich werde die nächsten Jahre das erproben. Wir haben bewusst jetzt keine Grenzen gesetzt inhaltlich, um ein bisschen zu gucken, wie das Projekt angenommen wird, wo es angenommen wird, auch bei welchen Themen, um dann auch ein Profil zu schärfen. Dann ist es natürlich auch ein Fachdiskurs für die soziale Arbeit, um zu gucken, ist das ein Arbeitsfeld für die Profession, erweitert man sich da zur klassischen Schulsozialarbeit und erweitert das auf Hochschulen. Ich denke, da wird viel Arbeit sein, aber ich bin da optimistisch, dass das ein Modell wird, was funktionieren kann.
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