Obwohl es weder Plakate, Zeitungsartikel oder Pressemeldungen gab, strömten die Besucher scharenweise in das Messehaus am Leipziger Markt, um den "1. Leipziger Herbstsalon" zu besichtigen: Die Mundpropaganda hatte funktioniert, die Nachricht von der ungewöhnlichen, anarchistischen Ausstellung hatte sich in Windeseile in der alternativen Szene herumgesprochen. Sechs Künstler hatten sie in Eigenregie organisiert. Ihre Namen sind: Lutz Dammbeck, Günter Firit, Hans-Hendrik Grimmling, Frieder Heinze, Günther Huniat und Olaf Wegewitz.
"Messehaus am Markt. Das muss man sich vorstellen. Zentralster Platz. Und auch von vielen Leuten gekannt, und dann offene Türen, wo die Leute scharenweise neugierig rein gegangen sind."
So erinnert sich der heute in Berlin lebende Kunstwissenschaftler Christoph Tannert.
"Das Gästebuch musste nachgelegt werden, weil die Gästebücher vollgeschrieben wurden. Die Leute kümmerten sich um diese Dinge, sie nahmen die Auseinandersetzung wahr und sie haben natürlich in erster Linie ihre eigenen Probleme und das behandelt, was sie da gesehen haben."
Bilder über Gestürzte und Gestolperte in der DDR
Die sechs Künstler hatten an großen DDR-Ausstellungen teilgenommen, waren aber mit eigenen multimedialen Projekten schon mehrfach an der Zensur gescheitert. Mit der offiziellen Kunstdoktrin, dem "sozialistischen Realismus", hatten sie wenig im Sinn: Sie zeigten auf ihren Bildern keine fröhlichen Arbeiterhelden, sondern Gestürzte und Gestolperte, sie malten surrealistisch-abstrakt, thematisierten Mauer und Grenze, setzten sich mit deutscher Diktaturgeschichte auseinander. Frieder Heinze, Lutz Dammbeck und Hans-Hendrik Grimmling hatten die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst absolviert. Günter Firit, Günther Huniat und Olaf Wegewitz waren Autodidakten.
"Uns ging es ja auch wirklich um die Kunst. Und dass die Kunst natürlich in bestimmter Form Ausdruck ist und dass der Staat Angst hat vor bestimmten Ausdrucksformen, damals der DDR-Staat, das ist vielleicht heute auch so, das war sekundär eigentlich bei unserem Denken in dem Fall. Das war eben einfach so. Mit der Größe haben wir ja gelebt."
Ausstellung unter erschwerten Bedingungen
Als die Künstler mit dem Leipziger Messeamt den Vertrag über den geheim geplanten „Herbstsalon" abschlossen, weckten sie bei den Vermietern den Eindruck, sie handelten im Auftrag des staatlichen Verbandes Bildender Künstler. Hans-Hendrik Grimmling:
"Das war unser kleines Piratenstück. Und das hatte funktioniert. Wir haben also den besten Ort am Platz oder in der Stadt bekommen, den prädestiniertesten Ort auch fürs Land. Dort war immer die Buchmesse stationiert, und in der Zeit, wo wir das geplant hatten, fand auch die Dokumentarfilmwoche statt, also die wenigen Zeiten, in der die Stadt internationalisiert sich bewegte durch Gäste und Besuche."
Mit dem Lastwagen eines befreundeten Schrotthändlers wurden die Arbeiten zum Messehaus gefahren. Der Aufbau der Ausstellung war nicht einfach: In die Wände durften keine Nägel geschlagen werden:
"Im Grunde genommen war alles verboten, was uns ermöglicht hätte, eine ganz normale Ausstellung aufzubauen. Und da haben wir dann praktisch so Schellen um diese Säulen gelegt und haben dann Seile gespannt und von den Seilen konnte man dann natürlich auch was runterhängen, das ging. So ergab sich eigentlich eine ganz interessante Ausstellung, dadurch war's wirklich gut."
"Ich hab' gesehen, welches Erstaunen es gab bei Besuchern, so in der Art: Ja, ist denn das erlaubt, was die hier zeigen? Denn die gingen ja davon aus, dass es eine höchst offizielle Ausstellung war."
Bürokratische Maschinerie in Gang gebracht
Zuvor hatte sich eine bürokratische Maschinerie in Gang gesetzt, um sie zu verhindern. Die Entscheidung fiel kurz vor der Eröffnung beim SED-Zentralkomitee in Berlin. Die Funktionäre überlegten sehr wohl, dass eine gewaltsame Schließung das Interesse der West-Medien wecken und für Aufruhr sorgen würde.
Der "1. Leipziger Herbstsalon" durfte schließlich mit verschiedenen Auflagen stattfinden, aber ähnliche Aktionen sollten künftig verhindert werden.
Die Konsequenz auf offen gezeigte Drohungen war, dass Firit, Grimmling und Dammbeck später in den Westen ausreisten. Huniat, Heinze und Wegewitz blieben in der DDR. Künstlerisch und persönlich gingen die Beteiligten unterschiedliche Wege.
"So eine gewisse Erweiterung oder Öffnung hat das schon gebracht, auch im Geist der anderen. Mehr Mut. Das fand ich doch ganz gut. Man kann doch nicht gleich zuviel erwarten, man kann nicht gleich erwarten, dass der Staat zusammenbricht, wenn man so etwas macht. Also für mich war das schon entscheidend, dass das so ging."