"Drum auf! Zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Ross. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war."
Die Worte, die Kaiser Wilhelm II. anlässlich der Mobilmachung des Deutschen Reichs am 1. August 1914 spricht, fallen auf fruchtbaren Boden. Der Oberhofprediger Ernst Dryander macht bereits drei Tage später in seiner Predigt im Berliner Dom den Gläubigen klar, wofür in diesem Krieg gekämpft und gestorben werden wird:
"Wir ziehen in den Kampf für unsere Kultur - gegen die Unkultur. Für die deutsche Gesittung - gegen die Barbarei. Für die freie, an Gott gebundene Persönlichkeit - wider die Instinkte der ungeordneten Massen. Und Gott wird mit unseren gerechten Waffen sein."
"Es gab in Berlin große Feldgottesdienste vor dem Schloss und da werden die ersten Kriegspredigten gehalten, die alle den gleichen Inhalt haben: Deutschland ist an diesem Krieg unschuldig, es ist überfallen worden und Gott ist aufseiten dessen, dem Unrecht geschieht."
So denkt damals die große Mehrheit der Deutschen, sagt der evangelische Theologe Günter Brakelmann. Tatsächlich scheinen in diesen Sommertagen 1914 alle patriotischen Blütenträume zu reifen: Im Rausch eines nationalen Aufbruchs strömen Tausende zu den Meldestellen der Regimenter, im Reichstag beenden die Parteien ihren Zwist, schließen für die Dauer des Krieges einen Burgfrieden. Und Seine Majestät Wilhelm II. kennt "keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche".
In diesem Klima geistiger Gleichschaltung wollen die Kirchen nicht abseits stehen. Protestanten und Katholiken sind gleichermaßen kriegsbegeistert:
"Sie können das sehen an einer Strophe eines Vaterunsers, das umgedichtet worden ist als Kriegsvaterunser. Da heißt es: Vater unser aus Himmelshöhen, eile den Deutschen beizustehen, hilf uns im Heiligen Kriege. Lass deinen Namen sternengleich uns vorleuchten; dein deutsches Reich führ zum herrlichsten Siege. Viele Theologen haben gesagt: Wer für das Vaterland kämpft und fällt, wird von Gott in den Himmel gehoben. Das heißt: Das Himmelreich ist euch sicher. Aber zunächst galt es natürlich, das irdische Reich sicherzustellen. Und dafür war dann jedes Opfer recht."
"Wir stehen mit Gott in diesem Krieg als seine Diener, darum ist es ein Heiliger Krieg und deshalb für jeden ein Gottesdienst."
Der evangelische Lazarettpfarrer Paul Althaus, später Professor für systematische Theologie an der Universität Erlangen.
"Nach meiner Überzeugung wird dieser Feldzug in der Kriegsethik für uns das Schulbeispiel eines gerechten Krieges sein."
Michael Faulhaber, Bischof von Speyer.
"Im Grunde haben auch die katholischen Bischöfe entgegen ihrer internationalen Verankerung den Gläubigen gesagt: Ihr müsst der Autorität des Monarchen und des Staates gehorchen und eure Pflicht im Dienst des Vaterlandes tun."
Theologen beider Konfessionen, so der Kölner Historiker Rudolf Lill, stellen den Soldatentod auf eine Stufe mit dem Opfertod Jesu. Folglich sei es eine Selbstverständlichkeit, so die vorherrschende Meinung in Kirchenkreisen ebenso wie im Bürgertum, dass deutsche Männer bereit seien, ihr Leben "für Gott, Kaiser und Vaterland" zu opfern:
"Diese Generation war noch von der Art, dass sie Krieg für eine ganz selbstverständliche Institution der Geschichte gehalten hat. Das heißt, jetzt von heute her zu kritisch oder gar mit Bibelstellen zu kommen, das trifft nicht die damalige Gesamtmentalität der Deutschen und vor allen Dingen nicht des deutschen Bildungsbürgertums und der Schichten, die nun mal mit dem Reich eng verbunden waren."
Mit dem Reich besonders eng verbunden sind die evangelischen Christen, denn das Kaiserhaus ist protestantisch, Protestanten halten die Führungspositionen, bilden die Macht- und Bildungseliten. Dagegen sind die rund 37 Prozent Katholiken im Deutschen Reich in vieler Hinsicht benachteiligt.
Beim katholischen Klerus haben überdies die Erinnerungen an den Bismarck'schen Kulturkampf ein lang anhaltendes Trauma hinterlassen.
Dennoch stehen die Zeichen jetzt auf Verständigung, ist die katholische Kirche bestrebt, sich vom Verdacht der Romhörigkeit zu lösen und Reichstreue zu demonstrieren:
"Manche Katholiken, auch Prälaten und Bischöfe, sahen im deutschen Kaiserreich eine der wichtigsten Autoritäten, die die Gesellschaft vor Umsturz und Revolution bewahren müsse. Und deswegen haben sie sich partiell angenähert und waren 1914 davon überzeugt, dass dieser Krieg für Deutschland ein gerechter Krieg sei."
Und so marschieren Soldaten aller Konfessionen mitten hinein in das große Sterben: in Flandern, in Galizien, in Frankreich und Kurland, in die Schützengräben zwischen Ypern und Verdun, in die Trommelfeuer der Artillerie, die Salven der Maschinengewehre - meist mit dem Feldgesangbuch "Hurra und Halleluja" im Tornister:
"Diese Feldgesangbücher haben alle diese Tendenz: Wir streiten für Gott und für die ganze Welt. Das sind allgemeine religiös-nationale Lieder, die sich an den deutschen Gott richten, die Gott um den endgültigen Sieg bitten. Es gibt da fürchterliche Lieder. Da heißt es an einer Stelle: In barmherziger Langmut vergib jede Kugel und jeden Hieb, die wir vorbeigesendet, in die Versuchung führe uns nicht, dass unser Zorn dein Gottesgericht allzu milde vollendet. Gott soll den Soldaten vergeben, die vorbeigeschossen haben, denn der Krieg muss radikal, total mit der Vernichtung der Feinde enden."
Mit dem Fortschreiten des Krieges und der wachsenden Anzahl der Todesnachrichten wird auch der Ton der zuvor recht markigen Predigten leiser:
"Es wird die Kategorie des Leidens mehr betont, in der Predigt die Passionsgeschichte. Da ist nicht mehr die anfängliche Halleluja-Stimmung; hier ist jetzt ein Themenwechsel bei den Predigten eingetreten. Es gibt dann auch Predigten, die in Lazaretten und an Gräbern gehalten worden sind und dort kommt schon der Gedanke, dass ja nicht derjenige in den Himmel kommt, der für Deutschland stirbt, sondern derjenige, der an Jesus glaubt."
Am 1. August 1917, drei Jahre nach Kriegsbeginn, verfasst Papst Benedikt XV. einen eindringlichen Friedensappell an die Staatsoberhäupter der kriegführenden Nationen. Der Papst hat nur ein Ziel: das Töten zu beenden und den Frieden wiederherzustellen. Er schickt den jungen Nuntius Pacelli, den späteren Papst Pius XII. zu Friedensverhandlungen zur deutschen Reichsregierung. Vergebens. Der päpstliche Friedensaufruf verhallt ungehört. Als der Krieg für Deutschland verloren ist, die Waffen endlich schweigen und am 11. November 1918 im Wald von Compiègne der Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und den Westmächten Frankreich und Großbritannien geschlossen wird, beschleicht den Kardinal Pietro Gasparri im fernen Rom ein beklemmend-hellsichtiges Gefühl:
"Es ist gut, dass wir nicht dabei waren, hat der Staatssekretär Kardinal Gasparri gesagt, denn aus diesem Frieden, den die Mächte jetzt geschlossen haben, wird ein neuer Krieg hervorgehen."