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Es darf ein bisschen mehr sein

Medizin. - Gemeinhin gilt zu hoher Blutdruck als Risikofaktor Nummer Eins für Herzinfarkt, Schlaganfall und Nierenversagen. Wer zudem unter Diabetes mellitus leidet, handelt sich mit einem hohen Blutdruck ein noch höheres Risiko für Nierenversagen ein. Dennoch sollten Diabetiker ihren Blutdruck nicht zu stark absenken. Das zeigte jetzt eine europäische Studie mit 4500 Patienten.

Von Michael Engel |
    Einer der häufigsten Gründe für Nierenversagen ist Diabetes. Mehr als 30 Prozent aller Patienten, die regelmäßig zur Dialyse müssen, sind Diabetiker. Kommt dann noch Bluthochdruck hinzu, steigt das Risiko erheblich. Aus diesem Grund waren Mediziner bei der Behandlung von Diabetikern vor allem darum bemüht, den Blutdruck der Betroffenen zu senken. Und zwar so stark wie irgend möglich. Die Studie mit 4500 Patienten hat nun gezeigt, dass dieser bisher übliche Weg unerwünschte Nebenwirkungen haben kann. Professor Hermann Haller:

    "Es ist bei manchen Patienten eben nicht sinnvoll, den Blutdruck so niedrig als möglich einzustellen, sondern ihn etwas in einem höheren Niveau zu lassen. Vor der Studie war unser Motto 'So niedrig als möglich'. Und wir haben jetzt gefunden, dass bei Patienten, wo bereits eine koronare Herzkrankheit vorhanden ist, dass bei den Patienten wir nicht so dramatisch den Blutdruck senken sollten, sondern dass wir bei einem Bereich von 130 zu 80, dass wir dort bleiben sollten."

    Bislang galten Empfehlungen von 120 zu 70. Doch dieser abgesenkte Blutdruck habe sich als gefährlich erwiesen, sagt der Leiter der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen an der Medizinischen Hochschule Hannover: Vor allem für Patienten mit Herz-Kreislauf-Schädigungen. Niedriger Blutdruck schont zwar die Nieren, führt aber auch zu einer Mangeldurchblutung zum Beispiel im Herzmuskel. Bei 18 der insgesamt 4500 Teilnehmern der Studie wurden verschiedenste Schäden beobachtet: Myokardinfarkte, Minderdurchblutung des Gewebes und Herzrhythmus-Störungen. Das führte nun zu einer Änderung der Leitlinien. Haller:

    "Die korrigierten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie und der Hypotonie-Gesellschaften – und das ist für Deutschland auch wichtig – empfehlen jetzt schon 130 zu 80 als Grenze zu lassen. Das heißt, hier ist eine Änderung in den Leitlinien. Und die Grundlage für diese Veränderung sind Studien wie unsere, wir nicht allein, aber auch in anderen Studien in den letzten zwei Jahren hat sich das sehr deutlich gezeigt."

    Änderungen in den ärztlichen Leitlinien werden nach Einschätzung des Studienleiters nicht auf Diabetiker beschränkt bleiben. Auch bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurde der Blutdruck mit Hilfe von Medikamenten bislang eher auf 120 zu 70 eingestellt. Auch hier – so die Vermutung des Experten – werden die ärztlichen Strategien angepasst.

    "Ich glaube, dass dies auch für Patienten mit Herzerkrankungen ohne Diabetes gelten wird, eher bei 130 zu 80 zu bleiben und nicht den Blutdruck darunter zu senken. Insgesamt – und das ist eben eine wichtige Schlussfolgerung aus unserer Studie – dass man die Blutdruckeinstellung individuell vornehmen soll. Das heißt nicht, dass man damit lässiger umgeht als früher. Aber dass man die anderen Begleiterkrankungen mit einbezieht in die Überlegungen der Blutdrucksenkung."

    Keine Änderungen gibt es für Menschen, die vollkommen gesund sind und dies auch bleiben wollen. Ein normaler Blutdruck ist die beste Garantie für Herz und Nieren.