Wer Espelkamp besucht, der landet schon bald in der Breslauer Straße. Alle Wege führen hier hin. Breite Bürgersteige, Grün zwischen den und entlang der Fahrstreifen, Spielgeräte für Kinder an jeder Ecke. Die Einkaufsstraße ist das bunte und weitläufige Zentrum Espelkamps.
"Es gibt viele, viele junge Leute, von denen ich weiß, dass sie gerne in diese Stadt kommen. Offensichtlich ist das so, dass es hier nicht so kompliziert ist, wenn man aus einem anderen Land kommt, sich hier zu bewegen."
Claudia Armuth betreut den Jugendmigrationsdienst der Diakonie. Seit Anfang der 1980er-Jahre ist sie für junge Einwanderer Anlaufstelle, für viele die erste. Wer mit ihr entlang der Geschäfte geht, kommt nicht weit. Immer wieder trifft die Sozialarbeiterin neue und alte "Klienten", wie sie sie nennt, Zuwanderer, die jung nach Espelkamp kamen. Und wen sie noch nicht kennt, spricht sie einfach an.
"Waren in Ihrer Familie die anderen auch Schneider?"
"Familie, nein."
Änderungsschneider Abdulrahim Tas lebt seit 17 Jahren in Deutschland. Sein Deutsch ist nicht besonders gut. Mit Freunden wie Ghassan Sherkhi, der ihn gerade besucht, unterhält er sich auf Kurdisch. Sherkhi spricht besser Deutsch. Damit das und Integration überhaupt auch anderen gelingt, schlägt er Claudia Armuth vor: Nicht nur der Einbürgerungstest, auch persönliche Kontakte müssten staatlich geregelt sein.
"Da muss man etwa drei oder vier Familien kennen lernen, und diese Leute zusammen Kontakt haben, so etwas muss sein."
"Ja, aber das ist schon etwas sehr Persönliches. Die Idee ist eigentlich gut. Aber: Wir sitzen schon gerne zuhause."
"In Deutschland gibt’s zu viele Probleme-Nachbarn. Aber bei uns ist Nachbar wie Familie."
Sherkhi kommt aus Syrien. Er ist 1999, also noch vor dem Bürgerkrieg vor dem Regime Assad geflohen. Nach Espelkamp kam er vor fünf Jahren wegen einer beruflichen Chance. Hier gründete er ein Geschäft für Feinkost - und auch seine Familie. Seine Eltern und Geschwister sind noch in Syrien. Sie sähe er auch gerne in seiner Nähe, doch Deutschland lasse zu wenig Zuwanderung zu, beklagt er.
"Es sind alles Espelkamper"
Wie andere Kommunen auch erlebt Espelkamp zur Zeit das Thema wieder als Herausforderung - nur problematisiert das hier kaum jemand. Die meisten Menschen oder ihre Familien haben selbst eine Einwanderungsgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Espelkamp als Modellstadt für Flüchtlinge, Vertriebene und Aussiedler geplant. Diese lebten zunächst in Gebäuden der ehemaligen Munitionsanstalt, die dort während des Kriegs errichtet worden war. Bis heute folgten Gastarbeiter, in den 1980er- und 90er-Jahren Tausende Spätaussiedler, vor allem aus Russland.
"Egal wer wann mit welchen Hintergrund gekommen ist, es sind alles Espelkamper", sagt Heinrich Viecker. Er ist seit 1999 Bürgermeister in Espelkamp. Damals war gerade eine Studie über die Migrationsgeschichte der Stadt erschienen. Sie berichtete von Spannungen mit den umliegenden Gemeinden, ihnen sei Espelkamp zeitweise als "Fremdkörper" erschienen. Heute sei das nicht mehr so, betont Vieker, Espelkamp sei nicht mehr die Aussiedlerstadt.
"Wir sind eine ganz normale Stadt, auch in puncto Zuzug."
Mit den normalen Problemen, die sich daraus ergeben: Auch Espelkamp kann nicht mehr alle Zuwanderer in städtischen Wohnungen unterbringen, es müssen Container für die Erstaufnahme her. Und auch sei es notwendig, so der Bürgermeister,
"dass eben auch eine Aufnahmekultur hier wieder angeschoben wird. Denn irgendwo ist die ein bisschen müde geworden, die muss man mal wieder ein bisschen auf Trab bringen."
Der ehemalige Landwirt mit dem vollen Bart deutet aus dem Fenster seines holzvertäfelten Büros, auf die Geschäfte an der Breslauer Straße und die Industriebetriebe am Stadtrand. Zuwanderung bedeutet für ihn Chance. Im Falle Espelkamps die, auch wirtschaftlich zu wachsen. Der CDU-Politiker kann darum nicht verstehen, dass Asylbewerber erst Deutsch in Kursen lernen dürfen, wenn sie anerkannt sind.
Abdul wartet auf Asyl
Wenige Straßen entfernt besucht Claudia Armuth vom Jugendmigrationsdienst zwei ihrer "Klienten" beim Sprachkurs der für sie aus Spenden finanziert wurde. Deshalb versucht sie den beiden Afghanen zu erklären, dass sie sich besser noch nicht zur Prüfung anmelden.
"Das verstehe ich nicht: Warum dürfen wir nicht Deutschkurs besuchen?"
"Weil Ihr noch im Asylverfahren seid. Wenn aber dann in dem Amt schon steht: Ach, nein, der Mann hat ja einen Sprachkurs gemacht, jemand hat das bezahlt und der hat schon eine Prüfung gemacht, dann sagen die: Nein, brauchen wir das Angebot nicht mehr machen. Verstehst Du?"
Für Abdul Amani ist Deutschland die fünfte Station, seitdem er Afghanistan verlassen hat.
"Ich habe Probleme gehabt und habe gehört, Deutschland ist für Leben ganz gut."
In seiner Heimat hatte der 27-Jährige eine Ausbildung beendet und ein Studium begonnen. Das würde er gerne fortsetzen, am liebsten in Deutschland. Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Unverständlich für die Sozialarbeiterin.
"Bei ihm sehe ich, dass er dieses Potenzial hat, dass er sehr gute Umgangsformen hat, dass er ein sehr fleißiger Mensch ist. Fleißig ist ein so dummer Begriff, aber er ist sehr willig, er möchte seinen Weg gehen."
Damit ihm das möglich ist, ihm vielleicht doch noch Asyl gewährt wird, will Claudia Armuth alles tun. Dabei hofft sie auch auf Espelkamp, einen Ort, der schon so vielen eine Chance gegeben hat.