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EU-Abstimmung über Verbot von Neonicotinoiden
"Wir werden dem Vorschlag zustimmen"

Bei der anstehenden EU-Abstimmung werde sich Deutschland für ein Komplettverbot von Neonicotinoiden im Freiland einsetzen, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Dlf. Angesichts der Berichte über Insektensterben warnte sie aber auch davor, die Situation zu überdramatisieren.

Julia Klöckner im Gespräch mit Philipp May |
    Julia Klöckner, Vorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz, kommt während der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD aus der SPD-Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus 05.02.2018, Berlin
    Julia Klöckner, Vorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz, kommt während der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD aus der SPD-Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Philipp May: Am Telefon ist jetzt die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Frau Klöckner, schönen guten Morgen.
    Julia Klöckner: Hallo! – Guten Morgen, Herr May.
    May: Dagegen aus Prinzip, weil es vom politischen Gegner kommt. Ist das moderne Politik?
    Klöckner: Nein. Erst mal, glaube ich, müssen wir ein bisschen sortieren. Ich glaube, solche Alarmstimmung, dass der Frühling komplett stumm geworden ist, das stimmt so nicht. Ich glaube, da sollten wir auch ein bisschen noch differenzieren. Wenn man sich den Antrag der Grünen anschaut: Nicht die Bundesregierung stimmt dagegen, sondern ein Parlament stimmt ja, also die Parlamentarier, über den Antrag ab. In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, eine Haltung dazu zu entwickeln, und insofern ist dieser Antrag gar nicht mehr aktuell, denn die Bundesregierung hat längst eine Haltung entwickelt. Bundeslandwirtschaftsministerium und Umweltministerium sind sich einig, dass wir dem Vorschlag der EU-Kommission folgen werden, und deshalb Neonicotinoide, diesen Einsatz im Freiland verbieten werden.
    "Wir haben da eine klare Haltung"
    May: Und warum folgen Sie nicht heute dem Vorschlag der Grünen?
    Klöckner: Wir müssen dem Vorschlag eigentlich nicht folgen, denn eigentlich könnten die Grünen heute im Bundestag, wenn sie logisch sein wollten, den Antrag zurückziehen und begrüßen, dass die Bundesregierung da eine klare Haltung hat. So wird ja suggeriert mit dem Antrag, dass wir keine klare Haltung hätten und müssten diese finden, und das ist mehr als verwirrend. Ich glaube, man sollte zur Kenntnis nehmen, dass wir da eine klare Haltung haben. Ich habe schon in meiner Regierungserklärung gesagt, was der Biene schadet, muss weg vom Markt, und insofern ist das folgerichtig.
    May: An dem Verbot von Neonicotinoiden auf deutschen Feldern führt kein Weg dran vorbei?
    Klöckner: Es ist eine Abstimmung auf EU-Ebene. Das heißt, die EU-Kommission hat einen Vorschlag auf Grundlage der Wissenschaftsinstitution EFSA vorgelegt, und jetzt geht es darum, wie die Mitgliedsstaaten abstimmen. Ich kann sagen für Deutschland, wir werden dem Vorschlag zustimmen. Frankreich ist zum Beispiel auch mit dabei. Und dann hängt es auch davon ab, wie das andere Länder machen. Wir werben dafür, aber natürlich sind andere Länder in ihrem Abstimmungsverhalten autonom. Wir würden uns ja auch nicht reinreden lassen.
    May: Also nur mit Europa? Wenn Europa nicht komplett verbietet, dann verbietet Deutschland auch nicht? Verstehe ich das richtig?
    Klöckner: Ich weiß jetzt nicht, ob ich Sie richtig verstehe, dass Sie mich dazu aufrufen, europarechtswidrig mich zu verhalten. Das heißt, wir haben hier in Deutschland die drei Stoffe, die wir haben. Es gibt drei verschiedene Neonicotinoide, um die es geht jetzt auf europäischer Ebene. Die sind in Deutschland für Freilandhaltung oder für Freilandblüher schon verboten. Nur noch nicht für zum Beispiel die Zuckerrübe, also für die, die jetzt keine Blüher sind. Aber da wir auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse wissen, dass ein Risiko besteht, dass es eine Anlagerung im Boden gibt, eine Anreicherung, und auch die Nachfolgefrucht dann mit der Biene in Kontakt zum Beispiel kommen kann, wenn es Blüher sind, da sagen wir dann deshalb ein Komplettverbot. Aber wir sollten uns schon europarechtlich verhalten.
    "Alternativen sind aufwendiger. Das muss man ehrlicherweise sagen"
    May: Dann schauen wir uns das mal von einer anderen Seite an. Was sagen Sie den Bauern, deren Felder leergefressen werden, weil sie möglicherweise keine Alternative haben?
    Klöckner: Die Felder werden nicht leergefressen werden. Jetzt gehen wir mal wirklich ins Fachliche rein. Wir gehen zu den Zuckerrüben. Bei der Zuckerrübe ist es so, dass es jetzt einfacher ist in der Tat zu beizen, einfacher ist, beim Ausbringen der Zuckerrübe diesen Wirkstoff zu nutzen. Wenn dieser nicht mehr genutzt werden darf, dann ist man angewiesen zum Beispiel auf nicht chemische Maßnahmen. Das sind dann auch mechanische Maßnahmen. Es gibt Alternativen. Die sind aufwendiger. Das muss man auch ehrlicherweise sagen. Aber man muss sich dann auch entscheiden, ob man sich auf wissenschaftlicher Basis einig ist oder nicht, und ich finde, man kann wissenschaftliche Studien nicht nur dann heranziehen, wenn einem das Ergebnis gefällt.
    May: Der Chemiekonzern Bayer, einer, der Neonicotinoid-Produzenten, der sieht das ja durchaus anders. – Ein schweres Wort immer wieder.
    Klöckner: Sagen Sie Neonic.
    May: Jetzt habe ich es mir antrainiert, das Wort. Jetzt ziehe ich das durch. – Bayer sieht das auf jeden Fall ganz anders, nämlich dass die Warnungen vor den Mitteln übertrieben sind und man sehr wohl Neonicotinoide einsetzen könne, ohne Honigbienen zu schädigen. Ist da was dran?
    Klöckner: Na ja. Sie können etwas einsetzen, wenn Sie das in einem Maß tun und dort, wo Bienen in der Regel nicht sind und überhaupt kein Blüher ist. Die Frage ist ja nicht, ob überhaupt nicht. Es gibt ein Vorsorgeprinzip und es gibt keinen Beweis und keine wissenschaftliche Grundlage, dass kein Risiko besteht. Und wir müssen in den Lebensalltag gehen und nicht in die Theorie. Dass natürlich Pflanzenschutzmittel-Hersteller, die wir im Übrigen brauchen – ich halte auch nichts von dieser Schwarz-Weiß-Malerei, die Guten und die Schlechten -, aber dass Pflanzenschutzmittel-Hersteller natürlich auch ein anderes Interesse haben, das ist klar. Aber ich glaube daran, dass wir das gut hinbekommen, durch Präzisionslandwirtschaft die Menge der Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, zu präzisieren und vor allen Dingen auch nach Alternativen zu forschen.
    "Glyphosat dürfen wir nicht in Agrarsteppen anwenden"
    May: Frau Klöckner, Sie haben gerade am Anfang gesagt, man soll die Situation auch nicht überdramatisieren. Es gibt Wissenschaftler, die das ganz anders sehen und sagen, die Situation ist durchaus sehr dramatisch. Die sagen auch, es wäre ja schön, wenn man dem Bienensterben einfach mit dem Verbot einer Gruppe von Insektiziden Herr werden könnte. Aber so einfach ist es dann wie so oft nicht: Wissenschaftler und Biologen sagen auch, es muss noch viel mehr gemacht werden. Unter anderem braucht es auch ein schnelles Verbot des Pflanzenschutzmittels beziehungsweise des Pflanzenvernichters Glyphosat, das den Insekten ihre Lebensgrundlage entzieht.
    Klöckner: Ich will gerne auf das eingehen, wie Sie es eben eingeleitet haben, dass ich meinte, nicht überdramatisieren. Ich finde, wenn man sagt, der Frühling ist stumm geworden, das ist eine so absolute Äußerung, die jeden Morgen von jemand, der mit offenen Ohren durch die Welt geht, widerlegt wird. Deshalb glaube ich, in dieser Absolutheit, er ist stumm geworden, sollten wir das bitte so nicht sagen, denn ich glaube, dann ist auch eine differenzierte Herangehensweise nicht möglich.
    Beim Thema Glyphosat, da habe ich eine Reduktionsminimierungsstrategie vorgelegt. Wir haben in den vergangenen drei Jahren schon oder fünf Jahren schon 30 Prozent reduziert und wir werden es massiv einschränken, um es dann auch überflüssig zu machen. Da bin ich wieder bei der EFSA. Die EFSA ist die europäische Wissenschaftsinstitution, die die wissenschaftliche Grundlage für Entscheidungen unabhängig uns auch vorlegt. Da wird unterschieden beziehungsweise auch differenziert beim Glyphosat, und deshalb, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass wir Glyphosat zum Beispiel nicht einsetzen, wo keine Saumränder sind, wo keine Hecken et cetera, Rückzugsorte auch sind. Meiner Meinung nach können wir natürlich oder dürfen wir nicht Glyphosat in Agrarsteppen anwenden, wenn es keine Rückzugsorte für Insekten gibt. Es ist ein komplexes Thema und Sie können davon ausgehen, dass wir uns sehr intensiv damit beschäftigen, denn ich werde das Thema Insekten-Monitoring zusammen mit meiner Kollegin, der Umweltministerin Frau Schulze, gemeinsam angehen, denn wir wollen die Insekten-Population uns auch anschauen, wie sie sich entwickelt haben. Es gibt ja zum Beispiel auch eine Lichtverschmutzung, wenn Parks 24 Stunden beleuchtet sind. Auch das setzt Insekten zu.
    "Beim Thema digitaler Wandel in der Landwirtschaft sehe ich große Chancen"
    May: Wir können direkt noch weitermachen. Sie haben die Lichtverschmutzung angesprochen. Sie haben auch Saumränder gerade angesprochen an Feldern. Der wirkliche Schlüssel sei, sagen Experten, es müsse wieder viel mehr dieser Saumränder, also Lebensraum für Insekten geschaffen werden: Zum einen durch weniger intensivere Landwirtschaft, aber auch durch Renaturierung von Ackerfläche. Haben Sie da Pläne?
    Klöckner: Das eine schließt das andere nicht aus, dass ich Saumrandstreifen, Heckenstreifen für Bienen, Blühstreifen und eine Landwirtschaft habe, die verantwortungsvoll auch konventionell geht. Wir werden die Welt und unsere Gesellschaft nicht nur mit Bio ernähren können. Ich glaube, wir brauchen einen Mix, aber unter klaren Bedingungen, die auch dann gelten an Standards. Da ist es meiner Meinung nach wichtig, in der Weiterbildung, in der Anwendung – und die grünen Berufe sind so spannend, Berufe mit hohen, hohen Anforderungen -, dass wir da natürlich das Thema Pflanzenschutz-Management an der einen oder anderen Stelle intensivieren, aber vor allen Dingen begleiten. Das Thema digitaler Wandel in der Landwirtschaft wird uns massiv helfen, den Pflanzenschutzeintrag zielgenauer und auch nur so viel wie nötig und auch nur an dieser Stelle, wo wir ihn brauchen, einzusetzen. Da sehe ich große Chancen und da werde ich massiv auch investieren in meinem Ministerium, dass wir da schneller vorankommen.
    "Bundesprogramm für ökologische Landwirtschaft für besser ausgestattet"
    May: Der technische Fortschritt, Digitalisierung ist das eine. Aber was ist eigentlich mit dem Ziel von 20 Prozent Biolandwirtschaft, das die damalige rot-grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast ausgegeben hat? Ist ja schon eine Weile her und wir sind erst bei zehn.
    Klöckner: Ist eine Weile her, da hab en Sie recht. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Wir liegen jetzt bei acht Prozent im Schnitt. Es gibt Teilbereiche, da ist der Ökoanbau höher. Aber wir brauchen ja Zielmarken und insofern werde ich auch das Bundesprogramm für ökologische Landwirtschaft auch bei den jetzigen Haushaltsberatungen, die ja anstehen, wieder stärker ausstatten. Das heißt, auch mit mehr Geld ausstatten, damit die Entscheidung auch leichter fällt für einen Landwirt, auch im ökologischen Bereich zu wirtschaften. Denn es bleibt auch immer ein Rechtsrisiko, zum Beispiel in nassen Jahren, dass ein Landwirt oder auch ein Winzer seine Ernte verlieren kann, weil es zum Beispiel keine Pflanzenschutzmittel gibt. Da ist es ganz häufig so, dass am Ende sich dann der Bauer oder der Winzer oder der Obstbauer dagegen entscheiden, sich zertifizieren zu lassen. Wir haben, glaube ich, schon viel mehr Landwirte, Bauern, die eher ökologisch wirtschaftend unterwegs sind, als dass sie das dann auch etikettieren beziehungsweise auszeichnen.
    May: Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner von der CDU war das. Vielen Dank, Frau Klöckner, für das Gespräch.
    Klöckner: Sehr gerne! –Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.