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EU-Kritik an Polen
"Wir fordern flexiblere Instrumente der Einflussnahme"

Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, hat abgestufte Einflussmöglichkeiten der EU auf die Mitgliedstaaten gefordert. Der CSU-Politiker sagte im DLF, bisher gebe es vor allem rhetorische Mittel - oder man müsse direkt Artikel 7 des EU-Vertrages aktivieren. Letzteres bedeute, dass ein Land von EU-Entscheidungen ausgeschlossen werde. Weber sprach sich deshalb auch für finanzielle Strafmaßnahmen aus.

Manfred Weber im Gespräch mit Doris Simon |
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, während des CSU-Parteitages in München
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament (imago / Sven Simon)
    Weber verlangte mit Blick auf die Lage in Polen flexiblere Instrumente der Einflussnahme. Die Aktivierung des Artikels 7 sei eine weitgehende und harte Maßnahme, die einstimmig beschlossen werden müsse.
    Den Umgang der polnischen Regierung mit dem Verfassungsgericht bezeichnete Weber als besorgniserregend. Er sprach sich dafür aus, den Druck auf Warschau weiter zu erhöhen. Inzwischen reiche es nicht mehr aus, wenn nur die EU-Kommission und das EU-Parlament über die Lage berieten. Auch der Europäische Rat, also die Staats- und Regierunschefs, müssten die Entwicklung in Polen zum Thema machen. "Man kann die Frage der Rechtsstaatlichkeit nicht einfach nach Brüssel deligieren", betonte der CSU-Politiker.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Wenn alles gut laufen würde, dann wäre die Europäische Union eine Problemlösungsmaschine. Das, was die Mitgliedsstaaten allein nicht richtig oder gar nicht schaffen, das regelt die EU. Aber im Augenblick sind es doch sehr viele Probleme, die sich da vor der Europäischen Union häufen: der Brexit, die Flüchtlingsfrage und das schwierige Verhältnis zur Türkei, der Krieg in der Ukraine, die Stärke rechter und populistischer Parteien in vielen Ländern der EU, das wirtschaftliche Schwanken des Gründerstaats Italien. Aus Brüssel Jörg Münchenberg.
    Unser EU-Korrespondent Jörg Münchenberg berichtete. Manfred Weber, CSU, ist der Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. Herr Weber, guten Morgen und ein gutes neues Jahr!
    Manfred Weber: Guten Morgen, Frau Simon. Ihnen auch ein gutes neues Jahr!
    Simon: Man sagt, die EU wachse mit ihren Aufgaben. Sehen Sie dafür Anzeichen?
    Weber: Ja, in den letzten Jahren haben wir das nach wie vor bewiesen. Ich denke mal zurück an die Jahre 2008 und 2009, als wir die schwere Finanzkrise hatten. Im Anschluss gab es eine große europäische Bewegung, den Banken endlich Regeln vorzugeben, die Zähne zu ziehen und sie in die Gesellschaft integrieren, dass sie keine weiteren Kosten verursachen, und das haben wir geschafft. Die Bankenunion ist fast abgeschlossen.
    Simon: Auch trotz dem, was sich in Italien gerade tut mit der Monte dei Paschi?
    "Es ist wieder eine historische Phase, in der wir leben"
    Weber: Ja gut, vor ein paar Monaten haben wir noch über die Deutsche Bank diskutiert, ob wir da noch Staatszuschüsse geben müssen oder nicht. Also wir wackeln nach wie vor in einigen Bankenbereichen. Aber die Stabilisierung, diese großen Probleme, die wir 2008 hatten, die sind bewältigt. Europa hat heute solides Wachstum und steht auf gesunden Füßen, und das gleiche gilt übrigens auch für die Sicherheit und für die Migrationsfragen. Die waren 2015 und 2016 das Topthema, und wir sind da vorangegangen. Wir haben zum Beispiel bei der Frage des Datenaustauschs, vor allem der Datensammlung, wenn es um Fluggastdaten geht, PNR als Beispiel, also die Fluggastdatenspeicherung Fortschritte in Europe erreicht. Sie hat mehr Sicherheit bewegt. Das löst noch nicht alle Probleme, aber ich weigere mich, dass wir in Europa zunächst immer nur alle Probleme zehnfach diskutieren und nie über unsere gemeinsamen Erfolge reden. Wir leben heute auf einem Kontinent, der so viel Freiheit, so viel Wohlstand und auch so viel Sicherheit genießt wie keine Generation vor uns. Und darauf sollten wir Europäer auch stolz sein.
    Simon: 2017 wird ja, wir haben es gerade gehört, in den Niederlanden, in Frankreich, in Deutschland gewählt, vielleicht auch in Italien. Was kommt da auf die EU zu? Das ist ja eine Zeit der Unsicherheit.
    Weber: Ja, wir spüren, dass wir politisch betrachtet nicht mehr in Normalzeiten uns befinden. Es ist wieder eine historische Phase, in der wir leben, und es werden wieder Grundsatzfragen gestellt. Glauben die Europäer, glauben die Bürger Europas, dass die Aufgaben unserer Zeit, die Fragen, die für unsere Gesellschaften vor uns stehen, dass die besser zu managen sind, wenn wir zusammenarbeiten, oder ob die besser zu managen sind, wenn wir das machen, was Geert Wilders sagt, nämlich nationalen Egoismus, Patriotismus nennt er das, das ist der falsche Begriff, es ist Nationalismus, was er da betreibt. Und das ist die große Grundsatzfrage, die im Raum steht, und da müssen übrigens die Eliten, diejenigen, die Verantwortung tragen, in allen gesellschaftlichen Bereichen jetzt aufbrechen. Aber es sind auch die Bürger gefragt, denn Europa war in der Gründungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein Projekt der Menschen in Europa, die gesagt haben, "Nie wieder Krieg". Es waren nicht nur Politiker, die das gesagt haben, sondern viele Menschen. Und ich hoffe, dass heute auch junge Menschen – wir hatten beim Brexit beispielsweise eine klare Zustimmung der jungen Generation in Großbritannien für Europa. Ich hoffe, dass die junge Generation auch aufsteht und den Rechtspopulisten, übrigens auch Linkspopulisten und -extremisten, die Europa ablehnen, denen die Rote Karte zeigt und sagt, wir wollen kooperieren, wir wollen es zusammen schaffen.
    Simon: Sie haben den Brexit angesprochen, und wir haben vorhin im Beitrag unseres Korrespondenten Geert Wilders, den Rechtspopulisten aus den Niederlanden, gehört. Er und Marine Le Pen in Frankreich haben ja beide angekündigt, bei einem Wahlsieg ihre Länder aus der EU zu führen. Hat Ihrer Meinung nach der Brexit ein Tor da weit geöffnet?
    Weber: Zunächst mal müssen die Wahlen gewinnen. Ich glaube in beiden Ländern, dass das nicht der Fall sein wird.
    Simon: Ja, aber dass das überhaupt ein populäres Ziel heutzutage ist.
    "Man muss jetzt zwischen den Staats- und Regierungschefs Klartext reden"
    Weber: Ja, doch, über das darf auch diskutiert werden. Europa ist keine Zwangsgemeinschaft. Europa kann man auch verlassen, so wie es die Briten jetzt vorhaben. Wir warten sehnsüchtig auf den Antrag, um es mal ein bisschen emotional zu sagen, weil wir im Moment ja komplette Unsicherheit erleben. Übrigens ist der Brexit aus meiner Sicht aktuell ein großes Programm für ein geeintes Europa. Warum? Weil wir derzeit so hohe Zustimmungsraten zur Europäischen Union haben wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In ganz Europa, auch in den Niederlanden. Mit dem Wissen, dass die Leute jetzt sehen, die Menschen sehen, was es bedeutet, dieses Europa in Frage zu stellen. Wir haben ja weder in Paris noch in Rom noch in Berlin Probleme mit dem Brexit aktuell, wir haben in London ein Riesenproblem mit dem Brexit. Dort erleben die Menschen Chaos, Durcheinander, wirtschaftliche Probleme. Das britische Pfund ist um 15 Prozent in die Knie gegangen. Das sind die Wirkungen, wenn wir diese Gemeinschaft in Frage stellen. Und deswegen – wir haben uns diesen Brexit nicht gewünscht. Ich habe David Cameron selbst persönlich viele Vorschläge gemacht, was wir noch besser machen können in der Zusammenarbeit, um einen Special Deal für Großbritannien hinzukriegen. Aber das wurde dann zurückgewiesen, und dann muss auch Großbritannien jetzt mit den Ergebnissen leben. Eines ist mir nur klar, oder eines ist mir nur wichtig, nämlich, wenn wir jetzt in die Verhandlungen starten, muss klar sein, dass Brexit auch Brexit heißt, so wie Theresa May das immer formuliert, und das bedeutet im Kern, dass sie sie wirklich auch verlassen wollen. Es kann nicht sein, dass sich jetzt Großbritannien die schönsten Filetstücke rausnimmt und da dabei bleiben will und sozusagen das Negative nicht akzeptiert. Deswegen werden wir Rosinenpickerei nicht zulassen.
    Simon: Aber genau so ein Problem haben wir ja derzeit auch mit anderen EU-Mitgliedern. Wenn wir auf die polnische Regierung schauen, die hält sich nicht nach Meinung der EU-Kommission an die Rechtsstaatlichkeit. Daran hat auch ein neues Instrument, das es seit ein paar Jahren gibt, das Rechtsstaatsverfahren, bisher überhaupt nichts geändert. Brauchen Sie da in der EU schärfere oder zumindest flexiblere Instrumente?
    Weber: Wir im Europäischen Parlament fordern das, dass wir mehr Möglichkeiten bekommen müssen.
    Simon: Was wäre das dann?
    Weber: Das wären abgestuftere Einflussmöglichkeiten. Ich will nicht gleich von Sanktionen sprechen, aber Einflussmöglichkeiten.
    Simon: Auch Geld zum Beispiel weg?
    Weber: Auch Geld. Über das kann man reden, über Sanktionsmöglichkeiten, Einflussmöglichkeiten, die aufzugreifen. Wir haben ja bisher nur die Möglichkeit, entweder es zu beklagen, sprich politisch, rhetorisch gegen Entwicklungen vorzugehen, oder als zweite Stufe dann den Artikel 7 des EU-Vertrags zu aktivieren, sprich ein Land faktisch von allen EU-Entscheidungen auszugrenzen. Und das ist natürlich eine sehr weitgehende, sehr harte Maßnahme.
    Simon: Und das funktioniert ja auch nie.
    Weber: Eben. Weil ja auch einstimmig beschlossen werden muss. Und in den Zwischenbereichen haben wir leider Gottes zu wenig Möglichkeiten. Also für die Zukunft muss man drüber nachdenken, und ganz konkret am polnischen Fall. Die Entwicklung ist besorgniserregend, der Umgang mit dem Verfassungsgericht ist inakzeptabel. Und das spüren ja auch die Polen, Millionen Menschen, die auf die Straße gegangen sind in den letzten Monaten. Und deswegen muss Europa aktiv werden. Was ich konkret mir vorstellen könnte, wäre, dass nicht nur Kommission und Europäisches Parlament über die polnische Lage reden, sondern es muss jetzt auch mal im Europäischen Rat, dort wo die Chefs sitzen, über Europa geredet werden. Man kann diese Fragen der Rechtsstaatlichkeit nicht an Brüssel delegieren, sondern man muss jetzt auch zwischen den Staats- und Regierungschefs Klartext reden, dass man Rechtsstaatlichkeit in Polen einfordert.
    Simon: Aber genau das haben sie ja bis jetzt gescheut.
    Weber: Exakt. Bisher wurde das nicht zum Tagesordnungspunkt auf dem Europäischen Rat gemacht. Der Europäische Rat ist das zentrale Organ, wo Grundsatzfragen Europas mit diskutiert werden, und deswegen, da muss man jetzt ran. Übrigens, im Vergleich mit Ungarn ist es so, dass Ungarn damals in der Barroso-Zeit die Vorgaben der EU-Kommission umgesetzt hat.
    Simon: Nach dem Druck, der kam.
    Weber: Nach dem großen Druck, der kam, hat Orbán eingelenkt, und das ist in Polen bisher nicht der Fall. Ich hoffe, dass das in den nächsten Wochen noch wächst, das Verständnis, dass das notwendig ist.
    "Europa muss jetzt erwachsen werden"
    Simon: Herr Weber, in 18 Tagen wird Donald Trump der nächste Präsident der Vereinigten Staaten. Damit dürfte auf jeden Fall die Eiszeit zwischen Moskau und Washington fürs Erste vorbei sind. Ist das gut oder schlecht für die Europäische Union?
    Weber: Wir wissen nicht, was auf uns zu kommt. Das ist die große Stimmungslage gegenüber Trump und Amerika. Zunächst ist Amerika wirtschaftlich, aus der Sicherheitspolitik heraus ein zentraler Partner für uns. Deswegen werden wir der neuen Administration offen begegnen und partnerschaftlich begegnen. Aber eines dürfte klar sein, nämlich die Kernüberschrift der Trump-Kampagne war "America first". Und deswegen wird sich Europa auf mehr Verantwortung einstellen müssen, zum Beispiel eben in der Verteidigung, dass wir nicht dem amerikanischen Steuerzahler nicht eine Rechnung für unserer Sicherheit schicken können, sondern dass wir uns selbst darum kümmern müssen. Wir brauchen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, hin auf dem Weg zur europäischen Armee, die langfristig kommen muss. Und insofern ist die USA-Wahl vielleicht auch ein Weckruf. Europa muss jetzt erwachsen werden. Wir müssen jetzt selbstbewusst und erwachsen werden. Vielleicht ist angesichts der vielen Krisen im Umfeld, die Sie beleuchtet haben im Beitrag auch, ist vielleicht auch 2017 das Jahr des europäischen Selbstbewusstseins, des Aufbrechens. Unsere Werte – wer soll denn international für Umweltschutz eintreten, wenn nicht wir? Wer soll denn international dafür eintreten, dass wir Kriege nicht militärisch lösen kann, sondern man muss sie diplomatisch zu lösen versuchen. Wie kann man den Wohlstand verteidigen in der globalisierten Welt, die Handelsverträge beispielsweise. Dafür brauchen wir europäisches Selbstbewusstsein.
    Simon: Für all das werden wir auch ein starkes Deutschland brauchen. Vor dem Hintergrund, in dem Licht, wie sehen Sie da den anhaltenden Streit zwischen den Schwesterparteien CDU/CSU, die Ankündigung Ihres Vorsitzenden, nicht mitregieren zu wollen in einer neuen Regierung, wenn Forderungen nicht erfüllt werden. Schwächt das nicht Deutschland, die Kanzlerin?
    Weber: Es ist in der Geschichte von CDU/CSU der Normalfall, dass wir bei Bundestagswahlen in einigen Punkten unterschiedliche Positionen vertreten haben. Auch bei der letzten war das der Fall.
    Simon: Aber hier ist es schon sehr gravierend.
    Weber: Ja, doch, wir sind, glaube ich, in vielen Punkten, wenn man sich die Positionen der CDU jetzt vergegenwärtigt und die Positionen der CSU, sind wir in vielen Punkten, ich würde sagen, bei 95 Prozent der Punkte jetzt wirklich einer Meinung und gehen einen gemeinsamen Weg. Und da war es und ist es richtig, dass CDU und CSU dann trotzdem neben der Fülle von Gemeinsamkeiten eigene Akzente setzen. Das wird kein fundamentales Problem sein. Trotzdem muss man sagen, die Menschen in Deutschland wollen auch eine Vergewisserung, dass wir die Balance zwischen Hilfsbereitschaft bei der Flüchtlingspolitik, die wir alle in den letzten zwei Jahren wirklich stark gezeigt haben, wir Deutsche, aber trotzdem auch das Maß und Mitte, das Grenzensetzen, auch die Belastungsfähigkeit im Blick zu halten, dass wir die Balance zwischen diesen zwei Seiten finden. Es bleibt auf der Tagesordnung, und deswegen bleibt auch für die CSU die Obergrenze auf der Tagesordnung, um diese Maß und Mitte eben deutlich zu machen.
    Simon: Manfred Weber war das, CSU, der Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. Herr Weber, danke für das Interview.
    Weber: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.