"Spieglein, Spieglein an der Wand". Diese bekannte Zeile aus einem Grimm-Märchen steht am Anfang des Songs "Juice". Es ist die erste Single aus dem neuen Lizzo-Album "Cuz I Love You".
Wer ist also die Schönste im Land? Melissa Jefferson wußte es auch nicht. Sie wusste nur, dass sie es nicht war: zu pummelig fühlte sie sich als Teenager. Aber Melissa suchte dafür die Schuld nicht etwa bei den Mitschülern, die sie aufzogen, oder bei dem Freund, der ihr sagte, sie sei ja ganz hübsch, aber ihr Körper brauche noch etwas Arbeit - sie suchte die Schuld ganz allein bei sich selbst:
"Irgendwann kommt dieser Zeitpunkt. Dann hat man genug. Man will nicht mehr. Es ist ein Tiefpunkt. Viele tun sich in diesem Moment etwas an oder werden dauerhaft depressiv. Ich habe mich im Spiegel betrachtet und mir gesagt: 'So, jetzt reicht es! Ich bin, wie ich bin und ich mag mich, wie ich bin!'"
"Zehn Jahre, bis ich in den Spiegel blicken konnte"
"Das hört sich prima an. Es fiel mir aber schwer, mich auch wirklich so gut zu fühlen, wie ich mir das eingeredet habe. Ich brauchte zehn Jahre, bis ich in den Spiegel blicken und sagen konnte: 'Shit, das bin ich, ich hab’s endlich geschafft!'"
Dieser Moment ist etwa drei Jahre her. Da war aus Melissa Jefferson aus Texas längst Lizzo geworden. Davor probierte sie sich als Freestyle-Rapperin und war richtig gut, Lizzo sang in Indie-Rock-Bands und ging auf Tour. Noch heute spielt sie gern klassische Querflöte. Doch irgendetwas fehlte.
Message ins Herz der Entertainmentindustrie
"Ich habe diesen einen Song geschrieben, 'My Skin'. Das war mein erster Body-Positivity-Song. Der Song war sehr spirituell. Er fühlte sich natürlich und richtig an. Da wusste ich: Das will ich machen! Ich kann mich noch genau an meine Twitter-Nachricht von damals erinnern: Ich mache jetzt nur noch positive Musik und wenn du das dämlich findest, stimmt etwas nicht mit dir!"
Spricht man mit Lizzo über ihren künstlerischen Ansatz, fallen Worte wie "körperdysmorphe Störung", "Intersektionalität" und "Body-Positivity", aber auch "Fuck", "Shit", "Ass". Ihre große Kunst besteht darin, die oft im Akademischen feststeckenden Diskurse über Feminismus, Rollenbilder und Schönheitsideale mit Pop kurzzuschließen. So trägt sie ihre positive Message ins Herz der Entertainmentindustrie.
"Cuz I Love You" ist das Major-Label-Debüt von Lizzo. Auffallend ist die stilistische Vielfalt des Albums. Lizzo rappt, sie gibt aber auch perfekt die Disco-Queen oder die Soul-Diva.
Das Album ist eine gelungene Reise durch 40 Jahre schwarze Popmusik mit starken Gegenwartsbezügen - vor allem, was die Direktheit der Texte und die thematische Gewichtung betrifft. Fragen nach Genre- und Vermarktbarkeitsgrenzen nerven Lizzo:
"Wenn ich nicht singen könnte, würde ich diese Auto-Tune-Soundeffekte über meine Stimme legen, so wie das im Rap gerade populär ist, aber ich kann nun mal singen. Ich verstehe, was die Leute meinen, wenn sie über verschiedene Stile sprechen, aber für mich ist das ein Ganzes. Die Musik ist gar nicht so verrückt, ich bin es! Und ich finde das gut so."
Auf dem Cover ihres Albums posiert Lizzo nackt sitzend und streng in die Kamera blickend. Es gibt derzeit kaum ein stärkeres Bild einer selbstbewussten korpulenten Frau. Auf Twitter und Instagram engagiert sich die 30-Jährige für die positive Wahrnehmung und Selbstachtung von Frauen, die nicht den Perfektionsstandards der Influencer-Szene entsprechen. Selbst in der Sphäre der Sozialen Medien aktiv, sieht sie diese kritisch.
"Manchmal bellen wir, anstatt zu beißen. Das ist nicht genug. Medien wie Twitter verleiten auch mich zur Passivität. Wir müssen aber alle unseren Hintern hochbekommen, denn derzeit läuft vieles schief auf unserem Planeten. Gott sei Dank gibt es uns Frauen! Wir sollten unsere Unterschiede feiern und gemeinsam Mauern einreißen, nur so kommen wir nach vorne."