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Europäischer Opernregiepreis
Überzeugender Sieg der Eitelkeit in "La Traviata"

Alle ein bis zwei Jahre wird der Europäische Opernregie-Preis ausgeschrieben, über 180 Ideen aus 21 Nationen wurden dieses Jahr eingereicht. Die Finalrunde findet an diesem Wochenende in Berlin statt. Fünf Finalisten stellten der Jury ihr Inszenierungskonzept zu "La Traviata" vor und erarbeiteten vor Fachpublikum je eine Szene.

Von Julia Kaiser |
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    Giuseppe Verdis Oper "La Traviata" in der Berliner Inszenierung von Klaus-Dieter Kirst, (Probenfoto). (dpa/Klaus Franke)
    Verdi, La Traviata. Serenad Uyar (Violetta), Günter Papendell (Germand)
    Eine Schlüsselszene aus "La Traviata" muss jedes der fünf Teams im Finale des Europäischen Opernregie-Wettbewerbs auf die Bühne bringen. Die an Tuberkulose erkrankte Violetta Valery wird gesungen von Serenad Uyar, den Vater ihres Geliebten singt Günter Papendell. Violetta als Preisboxerin oder Kunsthändlerin, Germand als Manipulator oder als einfühlsamer Vater - die Sänger freuen sich über unkonventionelle Inszenierungsideen. Wichtig sei, wie ein junger Regisseur sie führe, sagt Günter Papendell.
    "Das erste Team, der Regisseur hat mir etwas Persönliches aus seinem Leben erzählt. Dass sein Vater ihn auch sucht, dass er keinen Kontakt zu seinem Vater hat. Und so müsse ich mir die Figur vorstellen, auf der Suche nach dem verlorenen Sohn. Das war schon ziemlich konkret für mich, die Verzweiflung, die in der sich zurückhalten müssenden Figur wütet. Auf der anderen Seite war da das Team danach, das war Andrea, der das genaue Gegenteil wollte, er wollte einen extrem souveränen Auftritt einen Germand, der sehr taktisch und sehr ruhig zu Werke geht und natürlich schnell reagiert, wenn sie ihn emotional überfordert."
    Dieter Kaegi, der Direktor des Theaters und Orchesters Biel Solothurn, sitzt zum dritten Mal in der Jury. Zweimal hat er die Inszenierung des Gewinnerteams zu sich ans Theater eingeladen.
    "Ja, das ist schon ein Schaufenster. Und gerade bei diesem Finale, bei dem sich fünf junge Teams vorstellen, welches ja auch der Öffentlichkeit zugänglich ist, ist es ein Einblick in die diverse Szene und die diversen Ansätze junger Regieteams."
    Ausdehnende Opernwelt
    Eine Inszenierungs-Mode macht Kaegi in den Regieansätzen nicht aus. Doch durch die Internationalität des Wettbewerbs lasse sich sehr gut überblicken, dass die Opernwelt sich auszudehnen scheint.
    "Ich glaube nicht, dass man einen Trend erkennen kann, aber man kann erkennen, dass immer mehr verschiedenartigste Konzepte oder verschiedenartigste Ansätze gezeigt werden und auch viele Teams, die sich hier vorstellen, nicht unbedingt aus der traditionellen Opernbiografie kommen, also nicht alles Leute, die schon jahrelang Assistenten waren, sondern auch Quereinsteiger. Leute, die von der Konzeptkunst kommen, von der bildenden Kunst - die verschiedensten Richtungen, aus denen man zur Oper kommen kann."
    Nicht zuletzt ist diese Entwicklung vielleicht dem Europäischen Opernregiepreis zu verdanken. Über 180 Einreichungen aus 21 Nationen gab es in diesem Jahr. Vor der Jury aus erfahrenen Opernregisseuren erarbeiten die Regieteams mit den besten Konzepten an einer Szene aus dem 2. Akt von "La Traviata". Weil die Finalrunde im Rahmen des Opernkongresses Opera Europa ausgetragen wird, sehen außerdem Intendanten und Direktoren anderer europäischer Theater zu. Vor 15 Jahren, als der Europäische Opernregie-Preis gegründet wurde, gab es kaum ein Haus, das den Gewinnern die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Produktion zu verwirklichen. Das hat sich inzwischen geändert. Die Lösung war einfach, erinnert sich der Initiator und Stifter des Preises, Armin Kretschmar.
    "Denen bieten wir ein kleines Rosinchen. Wir zahlen das Regiehonorar! Dann ist das Risiko für die Opernhäuser schon mal kleiner."
    Erster Sieger und zwei dritte
    20.000 Euro Regiehonorar erhält der junge Regisseur, der den Wettbewerb gewinnt, 10.000 der zweite. In diesem Jahr wurde eine zweite Platzierung nicht vergeben, dafür zwei dritte Preise, in Form von Assistentenverträgen und einem Honorar von je 5.000 Euro. Max Hoehn aus England wird bei einer Produktion an der Oper in Frankfurt assistieren, der Italiener Martin Verdross an der Oper in Karlsruhe. Nur ein kleiner Schritt fehle beiden, ehe man ihnen eine eigene Produktion anvertrauen könne, befand die Jury.
    "Und deswegen haben wir ganz bewusst Häuser ausgesucht, von denen wir wussten: Dort sind Regisseure tätig, die in der Lage sind, diesen jungen Regisseuren noch so den letzten Schnick zu vermitteln, damit sie dann auch energisch ihre Vorstellungen durchsetzen können und auch mit Sängern arbeiten können. Denn ihre Konzepte waren gut!"
    Die Entscheidung, sagt Armin Kretschmar, habe nichts damit zu tun, ob der Jury das Regiekonzept gefalle, sondern einzig mit der handwerklichen Überzeugungskraft des jungen Regieteams.
    "Unser Ziel ist es, den Häusern einen Regisseur, ein Regieteam zu liefern, die ihr Konzept umsetzen können, ohne dass da noch besondere Unterstützung der Häuser notwendig ist."
    Eindeutiges Ergebnis
    Für die Jury des Europäischen Opernregie-Preises war das Ergebnis eindeutig. Nur das Team um den Regisseur Andrea Bernard erfüllt diese Anforderung. Der Italiener untersucht in seinem Regieansatz die Eitelkeit der Figuren in "La Traviata".
    "Ich glaube, dass Violetta und Alfredo einander gar nicht wirklich lieben. Sie suchen nur nach etwas, das sie selbst vervollständigt. Und das ist eine sehr egoistische Form der Liebe. Deshalb lasse ich die gesamte Oper in einem Auktionshaus spielen, "Valery’s" und vergleiche die Kommerzialisierung von Gefühlen mit der Kommerzialisierung von Kunst. Kunstwerke zu verkaufen hat etwas mit dem Wert ihres Images zu tun. In unserer heutigen Gesellschaft ist es wichtig, transparent und offen zu sein - auch unser Privatleben betreffend. Die beiden schaffen sich ein Image von Coolness, zu dem auch plakatives "privates Glück" gehört. Deshalb gehen die beiden eine Beziehung ein. Das ganze zerbricht, als der Vater die Szene betritt. Er sagt: "Vorsicht – das ist keine echte Liebe. Schönheit vergeht, und danach wird nichts übrig bleiben."
    Verdi, La Traviata. Serenad Uyar (Violetta), Günter Papendell (Germand)
    Überzeugungskraft
    Nicht nur das Regiekonzept von Andrea Bernard überzeugte die erfahrenen Regisseure in der Jury, Theaterchefs unter anderem aus Birmingham, Karlsruhe und Como. Vor allem die Überzeugungskraft, mit der der Italiener vor aller Augen seine Szene erarbeitete.
    "Der erste Preis war einstimmig. Dieses Team ist fähig, sein Konzept, so wie es aufgeschrieben ist, beim Verdi-Festival auf die Bühne zu bringen."
    Schon im Herbst 2017 steht die Gewinner-Inszenierung von "La Traviata" beim Verdi-Festival am Teatro Regio di Parma auf dem Programm.
    "Ich werde mich jetzt erst einmal mit dem Theater verständigen. Ich möchte ja, dass die Inszenierung so genau wie möglich meiner Vorstellung entspricht. Ohne das Teatro Verdi ist das unmöglich."