Freitag, 19. April 2024

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Europas Warmwasserpumpe
Golfstrom stottert so stark wie schon lange nicht mehr

Der Golfstrom gilt als globale Umwälzpumpe. Er transportiert warmes Meereswasser aus südlichen Breiten nach Europa und beeinflusst dadurch fundamental das Klima auf dem Kontinent. Ein Forschungsteam meldet nun: Der Golfstrom zirkuliert zurzeit so schwach wie schon seit 1000 Jahren nicht mehr.

Von Volker Mrasek | 26.02.2021
Wie stark das Golfstrom-System in früheren Zeiten war, wieviel Wasser es umwälzte und wieviel Wärme es aus den Tropen bis in hohe Breiten des Nordatlantik bugsierte – das lässt sich nur indirekt bestimmen. Baumringe in Kanada etwa liefern verwertbare Daten und Eisbohrkerne aus Grönland.
Es können aber auch Sandpartikel sein, die schon lange auf dem Grund des Nordatlantiks schlummern, erläutert Stefan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam:
"Das kennt man vielleicht vom Strand. Da gibt’s Gebiete, da ist er sehr grobkörnig. Und andere, da lagert sich sehr feinkörniger Sand ab. Das hängt eben davon ab, wie stark dort die Strömung und Wellen sind."

Klimaarchive geben Auskunft über Jahrhunderte hinweg

Auch in den abgelagerten Kalkschalen von längst gestorbenen Meeresalgen kann man lesen. Wer sie chemisch analysiert, erfährt etwas über Art und Herkunft der Wassermassen, in denen die Algen einst blühten:
"Wir haben da Datensätze, die bis 1.600 Jahre in die Vergangenheit zurückreichen aus diesen mikroskopischen Kalkschalen."
Insgesamt elf verschiedene Klimaarchive aus dem Nordatlantik haben deutsche, irische und britische Forscherinnen und Forscher jetzt ausgewertet. Sie wollten genauer wissen, wie sich die Ozeanzirkulation in der Vergangenheit verhalten hat. Wie ein Förderband transportiert sie warmes Oberflächenwasser nach Norden und kaltes Tiefenwasser zurück in den Süden.
Spektoradiometer-Aufnahme der NASA des Golfstroms - die Oberflächentemperatur wird farblich dargestelle: schwarz und blau (kalt) und rot (warm).
Golfstrom-Zirkulation - Die Klimaanlage für Europa
Er gilt als die Wärmepumpe Europas: Der Golfstrom ist eine der größten und schnellsten Meeresströmungen der Erde – und er ist besonders warm. Ohne ihn wäre es bei uns im Schnitt fünf bis zehn Grad kälter. Das könnte sich ändern, sagen Wissenschaftler des Deutschen Klima-Konsortiums.

Klimawandel als Hauptverdächtiger

"Wir sehen, dass diese atlantische Umwälzströmung, die auch als Golfstrom-System landläufig bekannt ist, im Wesentlichen über viele Jahrhunderte stabil gewesen ist, bis ins 19. Jahrhundert hinein. Und sie hat dann allmählich begonnen, sich etwas abzuschwächen. Und besonders beschleunigt geht es bergab seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Wir haben in einer früheren Arbeit schon gefolgert, dass die Abschwächung seit Mitte des 20. Jahrhunderts circa 15 Prozent betragen hat."
Vermutlich ist es der Klimawandel, der den Motor der Meeresströmung ins Stocken bringt. Schmelzende Gletscher und zunehmende Regenfälle tragen Süßwasser in den Ozean vor Grönland ein und verdünnen ihn. Das bremst die Wärmepumpe aus. Denn sie wird in hohem Maße vom Salzgehalt des Oberflächenwassers gesteuert.
"Mit diesen neuen Daten sehen wir, dass es in früheren Jahrhunderten eben keine vergleichbare Abschwächung gegeben hat, sondern dass das jetzt einmalig seit Mitte des 20. Jahrhunderts so stark bergab geht. Das zweite Argument ist, dass es keine irgendwie plausible Erklärung gibt, warum sich gerade im 20. Jahrhundert die Strömung aus natürlichen Gründen abschwächen sollte. Und von daher ist für mich höchstwahrscheinlich, dass das Folge der globalen Erwärmung ist."

Noch keine abschließende Sicherheit

Direkte Messungen im Strömungssystem gibt es erst seit 2004. David Smeed aus dem Nationalen Zentrum für Ozeanographie im englischen Southampton betreut das Beobachtungsnetzwerk. Die neue Studie hält er für einen Fortschritt – auch wenn sie Veränderungen der Strömungsverhältnisse nur indirekt ableite:
"Diese Studie berücksichtigt ja viele unterschiedliche Datensätze, und die stimmen in ihren Ergebnissen weitgehend überein. Das erhöht das Vertrauen in die Schlüsse, die die Autoren daraus ziehen. Ich denke aber, es ist noch mehr Arbeit nötig, bevor wir absolut sicher sein können."
Klimamodelle legen nahe, dass der Wärmetransport im Nordatlantik im Laufe des Jahrhunderts sogar um 30 Prozent einbrechen könnte.

Winterorkane und sommerliche Hitzewellen

Im Meer vor Grönland existiert schon heute eine Kältelinse. Die wäre dann noch stärker ausgeprägt und würde sich auch auf unser Wetter auswirken. Wir bekämen wahrscheinlich mehr Winterorkane, aber auch mehr sommerliche Hitzewellen, wie Stefan Rahmstorf sagt. Weil sich über der Kälteblase gerne Tiefdruckgebiete festsetzten. Statt milder Luft vom Atlantik ströme dann heiße aus Südwesten nach Europa:
"Klingt erstmal paradox, ist aber durch eine britische Studie inzwischen gut bestätigt, dass es in Europa tendenziell besonders heiß wird im Sommer, wenn es draußen im Atlantik besonders kalt ist."
Wenn die nordatlantische Umwälzpumpe noch stärker ins Stottern gerät, produziert sie nicht mehr so viel Tiefenwasser vor Grönland. Das bedeutet, dass sie dann auch weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre in die Tiefe verfrachtet. Dieser Klimaservice würde ebenfalls unter einem stärkeren Einbruch der Zirkulation leiden.