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Evangelische Kirche
"Es gibt das Böse als realen Machtfaktor"

Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kritisch. Im DLF sagte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, als Ultima Ratio sei militärische Gewalt in manchen Fällen aber notwendig. Die EKD präsentiert heute ein friedensethisches Positionspapier.

    Tobias Armbrüster: "Nichts ist gut in Afghanistan." Das war ein Satz, mit dem die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann vor vier Jahren für eine Menge Schlagzeilen bei uns gesorgt hat. Der Satz hat für viele und nicht nur für Protestanten das Unwohlsein zusammengefasst, das sich mit diesem Einsatz verbindet. Nun hat sich die Evangelische Kirche in den vergangenen Jahren aber auch ausführlichere Gedanken über die Bundeswehr am Hindukusch gemacht. Heute Mittag wird sie dazu in Berlin eine Denkschrift vorlegen mit dem Titel "Selig sind die Friedfertigen". – Am Telefon ist jetzt Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der EKD. Schönen guten Morgen, Herr Schneider!
    Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Schneider, zählt die Bundeswehr in Afghanistan zu den Friedfertigen?
    "Unmittelbar Frieden hat die Bundeswehr nicht geschaffen"
    Schneider: Die Bundeswehr in Afghanistan soll Voraussetzungen dafür schaffen, nämlich unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit, soll Voraussetzungen dafür schaffen, dass Frieden sich entfalten kann, und die Friedfertigen sind im eigentlichen Sinne diejenigen, die Strukturen des Friedens, also Recht und ein geordnetes Rechtswesen, ein Monopol der Gewalt beim Staat und nicht bei Banden oder paramilitärischen Koalitionen schaffen. Voraussetzungen dafür sollen geschaffen werden durch den Einsatz der Bundeswehr. Aus diesem Grunde kann man diese Frage nicht so ganz deutlich beantworten. Ich würde sagen, die Bundeswehr hat Voraussetzungen in der Tat verbessert, dass Frieden geschaffen werden kann, aber unmittelbar Frieden hat die Bundeswehr nicht geschaffen.
    Kritik an unklarer Formulierung des politischen Ziels
    Armbrüster: Woran hat es gehapert?
    Schneider: Die Situation war zu komplex und der Auftrag war nicht klar genug. Das genaue politische Ziel, was die Bundeswehr erreichen soll, war nicht formuliert, und das war ein Mangel von Anfang an. Dann haben sich während des Einsatzes in Afghanistan Konstellationen ergeben, bei denen sozusagen aus dem Stand reagiert werden musste und die dann sehr gewaltförmig waren, Stichwort Oberst Klein und der Einsatz der Flieger, wo es dann sehr viele zivile Opfer gab. All dieses hat dazu geführt, dass wir nicht mit der wünschenswerten Klarheit diesen Einsatz hatten.
    Und lassen Sie mich eins ergänzen: Es ist ein grundsätzlicher Mangel – und das fordern wir auch für die Zukunft -, dass der Bundestag nicht nur ein militärisches Mandat beschließt, wenn es wieder um solche Dinge geht, und sie werden kommen, sondern dass von vornherein auch die zivilen Komponenten mit mandatiert und beschlossen werden, also der Aufbau einer zivilen Struktur innerhalb der Gesellschaft durch Nichtregierungsorganisationen und auch Regierungsorganisationen.
    Armbrüster: Heißt das, die EKD kritisiert diesen Einsatz?
    Schneider: Die EKD betrachtet ihn kritisch und differenziert, aber sie betrachtet ihn auch kritisch und dann gibt es in der Kammer in der Tat Positionen, die sagen, das war nicht mehr zu rechtfertigen, und es gibt Positionen, die sagen, es war gerade noch zu rechtfertigen. Also wir sind durchaus auch an vielen verschiedenen Stellen unterschiedlicher Meinung.
    Keine Rechtfertigung von militärischen Einsätzen durch die Worte Jesu
    Armbrüster: Ich kann mir jetzt vorstellen, Herr Schneider, dass da viele gläubige Christen sehr hell aufhören, wenn Sie so etwas sagen. Heißt das, dass sich ein militärischer Einsatz zumindest theoretisch theologisch rechtfertigen lässt?
    Schneider: Da bin ich sehr zurückhaltend. Wir werden mit den Worten Jesu, der ganz konsequent auf Gewaltausübung verzichtet hat, wir werden also mit ihm einen militärischen Einsatz nicht rechtfertigen können. Wir müssen aber uns klar machen, dass wir in einer Welt leben, die noch nicht das Reich Gottes ist. Das wird im Reich Gottes so sein. Aber die Welt ist noch nicht das Reich Gottes und es gibt das Böse als einen realen Machtfaktor. Man kann es am Extrembeispiel sagen: Hitler war am Ende nur durch militärische Gewalt zu stoppen, sonst hätte er rücksichtslos mithilfe der Wehrmacht Europa unterjocht. Man merkt an solchen Extrembeispielen: Wir können das leider nicht alleine mit friedens-politischen Maßnahmen, mit gewaltlosen Maßnahmen durchsetzen. Es gibt am Ende eine Ultima Ratio, aber es muss wirklich die Ultima Ratio sein, bei der wir auch militärische Gewalt brauchen, und somit hat sie auch eine relative Legitimität.
    In Syrien seien die Möglichkeiten der Diplomatie noch nicht ausgenutzt
    Armbrüster: Herr Schneider, Hitler und das Dritte Reich sind da tatsächlich immer das Extrembeispiel. Lassen Sie uns das an einem anderen aktuelleren Beispiel festmachen. Was sagt die EKD denn zu Einsätzen in Syrien?
    Schneider: Zu den Einsätzen in Syrien sagen wir, dass die Möglichkeiten der Diplomatie noch nicht ausgenutzt sind. Wir sind sehr froh, dass es nun Gespräche in Genf gibt, und wir fordern, dass das Befeuern der militärischen Auseinandersetzung, dass das gestoppt wird. Das muss ausgetrocknet werden, dass Waffen und Geld von außen ins Land kommen, damit da weiter gekämpft wird. Das gilt auch für das Assad-Regime.
    Armbrüster: Aber dass man solchen Männern wie Assad auch mit militärischen Mitteln das Handwerk legt, das würden Sie nicht begrüßen?
    Schneider: Das würde ich nicht begrüßen, zurzeit jedenfalls nicht, und ich fühle mich darin gestärkt durch die Kirchenvertreter aus dem Lande, mit denen wir ja im engen Kontakt sind. Die sagen sehr deutlich, lasst uns das untereinander klären und stoppt den Zufluss an Geld und Waffen, damit diejenigen, die hier die anderen unterwerfen und vertreiben wollen, damit die dazu nicht die nötigen Mittel in die Hand bekommen.
    Armbrüster: Aber wenn die Diplomatie in einem solchen Fall scheitert, dann würden Sie sagen, dann geht auch Militär?
    Schneider: Ich habe die Grundprinzipien ja eben benannt, aber so was muss man konkret entscheiden. Diese Spekulation würde ich jetzt nicht anstellen.
    "Ich habe Margot Käßmann immer verteidigt"
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns noch mal zurückkommen auf Afghanistan. Ich habe es in der Anmoderation gesagt: Margot Käßmann, Ihre Vorgängerin, hat da für einigen Wirbel gesorgt vor vier Jahren mit ihrem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan." War das übertrieben?
    Schneider: Das war eine Zuspitzung und das ist ja Journalisten sehr vertraut. Man muss manchmal zuspitzen, um auf eine Situation aufmerksam zu machen, die völlig unbefriedigend ist, und ich habe Margot Käßmann immer verteidigt. Ich halte diese Zuspitzung für richtig, sie war notwendig, und sie hat ja einiges in Bewegung gesetzt, eine sehr viel differenziertere Betrachtung und vor allen Dingen zwei Elemente, die wir als Kirche gefordert haben, denen dann auch die Politik gefolgt ist: erstens eine deutliche Verstärkung des zivilen Engagements, vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt, Rechtsstrukturen, ein Rechtssystem im Land aufzubauen und für ökonomische Lebensmöglichkeiten zu sorgen. Die Leute brauchen Arbeit, die brauchen Lebensperspektiven. Da gab es eine deutliche Aufstockung und Verstärkung des Engagements. Und das Zweite war: Wir haben immer gefordert, wir brauchen eine Betrachtung des Einsatzes: Sind die Ziele und das, was da passiert, sind die noch kompatibel, stimmt das noch zueinander, oder müssen wir nachsteuern. Es gab dann Fortschrittsberichte. Ich glaube, dieses Instrument kann auch noch verbessert werden, indem etwa auch unabhängige Institutionen einen solchen Einsatz gleich von außen beobachten und solche Berichte schreiben, damit wir weiterhin wissen, was wir tun, und nicht in Situationen hineinstolpern, die wir gar nicht wollen.
    Armbrüster: Die Evangelische Kirche in Deutschland, die EKD stellt heute eine Denkschrift zum Afghanistan-Einsatz vor, Titel: "Selig sind die Friedfertigen." Ich habe darüber mit Nikolaus Schneider gesprochen, dem Ratsvorsitzenden der EKD. Besten Dank für das Gespräch, Herr Schneider.
    Schneider: Sehr gerne, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.