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Evolutionstheorie
Große Wissenslücken, erhöhte Zweifel

Die Wissenslücken bei der Evolutionstheorie und die Ablehnung ihr gegenüber seien viel höher als angenommen, auch bei angehenden Biologie-Lehrern, sagte die Biologiedidaktikerin Anna Beniermann im Dlf. Um dem entgegenzuwirken, müsse schon in der Grundschule der Unterricht beginnen.

Anna Beniermann im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Eine Frau steht vor einer Bildtafel mit Hologrammen, die verschiedene Stufen in der Evolution des Menschen zeigen.
    "Es gibt durchaus viele Menschen, die ganz, ganz viel wissen über Evolution und das sehr gut beschreiben können, aber trotzdem nicht davon ausgehen, dass es wirklich stattgefunden hat", sagte die Biologiedidaktikerin Anna Beniermann im Dlf (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Manfred Götzke: Ob und wie die Evolutionstheorie bei uns in Deutschland akzeptiert und gekannt wird, darüber forscht die Biologiedidaktikerin Anna Beniermann von der Universität Gießen. Sie stellt dazu gerade ihre Doktorarbeit fertig, hallo!
    Anna Beniermann: Hallo, guten Tag!
    Götzke: Frau Beniermann, erst mal ganz allgemein gefragt: Wird die Evolutionstheorie in Deutschland im Großen und Ganzen akzeptiert?
    Beniermann: Ja, insgesamt schon. Es gibt natürlich da auch einige Menschen, die die Evolution ablehnen, das ist aber sehr unterschiedlich, je nachdem welche Personengruppen man sich anschaut. Aber insgesamt ergibt sich ein sehr viel besseres Bild als in der Türkei oder in den USA.
    Götzke: Wie sieht es denn konkret bei den Lehrern aus?
    Beniermann: Es gibt da eine Studie von Dittmar Graf aus 2010, wo herausgekommen ist bei Dortmunder Lehramt-Studierenden, dass ungefähr 16 Prozent die Evolution ablehnen, während das in der Türkei sogar über 90 Prozent waren. Und auch unter den deutschen Biologielehreranwärtern waren es immerhin sieben Prozent, die die Evolution abgelehnt haben.
    Biologiedidaktikerin Anna Beniermann von der Universität Gießen
    Biologiedidaktikerin Anna Beniermann von der Universität Gießen (Deutschlandradio / Anna Beniermann)
    Soziale Faktoren beeinflussen Akzeptanz
    Götzke: Das ist ja schon erstaunlich, wenn man sich konkret mit dem Fach befasst, das dann auch eben unterrichten soll und muss in Deutschland, und dann die Theorie ablehnt! Wie passt das denn zusammen?
    Beniermann: Das ist eine gute Frage! Wir wissen aus der Forschung, dass es nicht immer ganz klar ist, wie Wissen zu Evolution und Einstellung zu Evolution eigentlich zusammenhängt. Es gibt durchaus viele Menschen, die ganz, ganz viel wissen über Evolution und das sehr gut beschreiben können, aber trotzdem nicht davon ausgehen, dass es wirklich stattgefunden hat. Und ich könnte mir so was da auch vorstellen, zumal wir wissen, dass die Faktoren, die die Akzeptanz von Evolution beeinflussen, häufig soziale Faktoren sind. Also beispielsweise wie religiös ist jemand sozialisiert, welches Bild hat er ganz allgemein von Wissenschaft, sieht er Wissenschaft als etwas Positives oder eher als etwas Bedrohliches?
    Katholiken etwas zustimmender
    Götzke: Sie haben sich ja auch konkret mit dem Faktor Religionszugehörigkeit befasst in Ihrer Doktorarbeit. Was war da das Ergebnis?
    Beniermann: Ich habe mehrere Studien durchgeführt und man kann eigentlich durch die Bank weg sagen, dass diejenigen, die keiner Konfession angehören, also die Konfessionsfreien, dass die im Durchschnitt zustimmender gegenüber der Evolution sind, und die Katholiken und die Protestanten unterscheiden sich nicht so stark. Aber in meiner Stichprobe kam heraus, dass die Katholiken im Mittel etwas zustimmender gegenüber der Evolution sind. Am wenigsten zustimmend sind die evangelisch-freikirchlichen Probanden, die eigentlich fast immer ablehnend gegenüber der Evolution sind. Und bei den muslimischen Probanden finden wir auch eine erhöhte Ablehnung, wobei es da eine sehr große Bandbreite gibt. Da gibt es auch viele, die ganz, ganz zustimmend gegenüber der Evolution sind.
    Götzke: Kann man das konkreter fassen? Zum Beispiel bei den Muslimen, wie viele lehnen sie ab, wie viele stimmen zu?
    Beniermann: Kommt natürlich immer ein bisschen darauf an, wie man es misst. Aber bei der Stichprobe, die ich jetzt habe über meine vier verschiedenen Untersuchungen hinweg, liegt es bei ca. 35 Prozent plus/minus, ja.
    Höhere Ablehnung bei menschlichem Bewusstsein
    Götzke: Und wenn wir uns die anderen Konfessionen, Religionszugehörigkeiten ansehen, wie ist es bei den Katholiken, bei den Protestanten?
    Beniermann: Bei den Protestanten liegt es ungefähr bei 15 Prozent Ablehnung, da waren vermutlich aber einige Freikirchler dabei, in dieser Stichprobe. Bei den Katholiken sind es nur sechs Prozent, die die Evolution ablehnen, zumindest die Evolution der Pflanzen und Tiere. Wenn man da noch mal konkret nach dem Menschen und dem menschlichen Bewusstsein fragt, dann hat man auch bei den Katholiken eine wesentlich höhere Ablehnung.
    Götzke: Also, da ist die Ablehnung größer, wenn es um das menschliche Bewusstsein und dessen Entwicklung geht?
    Beniermann: Genau, dann ist das sogar überall sehr viel größer, auch bei den Konfessionsfreien. Das scheint dann doch eine größere Ablehnung hervorzurufen.
    Große Wissenslücken bei Biologie-Referendaren
    Götzke: Sie haben ja auch ganz konkret sich angeschaut, wie das bei den Biologielehrern ist, haben das gerade ja auch schon angedeutet, dass nicht alle Biologielehrer so gut Bescheid wissen, was Darwins Theorie angeht.
    Beniermann: Genau, ich habe in einer meiner Studien Biologiereferendarinnen und -referendare untersucht, die schon in der Schule auch arbeiten. Und da gibt es doch einige Wissenslücken. Die wissen natürlich besser Bescheid als die Studierenden und auch die Schüler, die ich auch untersucht habe, allerdings gibt es, gerade was so Zeitvorstellung angeht, also wann haben eigentlich die Menschen gelebt, seit wann, und wann haben die Dinosaurier gelebt - da schaffen es eigentlich nur sehr wenige der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, da die richtigen Antworten zu geben. Genauso ist es auch bei dem Wissen zu Artbildung zum Beispiel oder biologischer Fitness, da antwortet ungefähr nur die Hälfte der Biologiekräfte, also im Vorbereitungsdienst, richtig.
    Ganz kleine Rolle in der Lehrerausbildung
    Götzke: Das finde ich ja schon ziemlich heftig. Da geht es ja nicht um ein biologisches Spezialthema, sondern um eine der wichtigsten Theorien überhaupt, natürlich dann auch eine der wichtigsten, was die Biologie angeht. Haben Sie eine Erklärung dafür, läuft grundsätzlich was falsch in der Lehrerausbildung?
    Beniermann: Das Thema Evolution spielt nicht so eine große Rolle in der Lehrerausbildung. Das kommt natürlich immer etwas auf die Universität an, aber an vielen Universitäten spielt das nur eine ganz kleine Rolle und wird eigentlich in allgemeinen Biologievorlesungen am Rande behandelt, aber vielleicht gar nicht extra in einem Modul thematisiert. Und auch in der Biologiedidaktik kommt es sehr auf die Universität an, ob das überhaupt Thema ist in der Biologielehrerausbildung. Es gab im letzten Jahr eine Schrift von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, in der es um Bildung in Schule und Hochschule geht, also evolutionsbiologische Bildung, und dort wird auch gefordert, dass die evolutionsbiologische Bildung in Hochschule und Schule verbessert werden muss. Das sind 56 Seiten, auf denen das ganz deutlich dargelegt wird.
    "Evolutionsunterricht sollte schon viel früher beginnen"
    Götzke: Dann schauen wir uns doch mal ganz konkret die Schüler an, über die haben Sie ja auch geforscht, eine sehr umfassende Studie, wie ich finde. Wie sieht es da aus?
    Beniermann: Ich habe Schülerinnen und Schüler der siebten Klasse untersucht. Da kann man zum einen sagen, dass die Ablehnung der Evolution etwas höher ist als bei den Studierenden und bei den Lehrerinnen und Lehrern, etwa 10 bis 15 Prozent sind eher ablehnend eingestellt gegenüber der Evolution, wobei wir festgestellt haben, dass das eher weniger mit dem Alter zusammenhängt oder dem Ausbildungsgrad, sondern sehr stark mit der Gläubigkeit gerade bei den jüngeren Schülern. Das erklären wir so, dass es gerade bei den jüngeren Schülern, die noch fast nichts wissen über Evolution, keinen großen Zusammenhang geben kann mit dem Wissen, wenn da kein Wissen ist natürlich, sondern da eher die Sozialisation eine sehr große Rolle spielt. Und aus diesem Grund plädieren wir auch dafür, dass der Evolutionsunterricht schon viel früher beginnen sollte, nämlich in der Grundschule.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.