Sarah Zerback: Lügenpresse, Staatsfunk, Zwangsgebühren – Kampfbegriffe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die es in Europa inzwischen in gleich mehreren Sprachen gibt. Denn die Debatte über dessen Zukunft wird in mehreren Ländern geführt, und von politisch ganz rechts, da kommt oft ein ziemlich scharfer Zungenschlag hinzu. In der Schweiz wird es jetzt ernst: Dort wird ab heute über den Rundfunkbeitrag abgestimmt und heftig diskutiert, welche Vor- und Nachteile öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen hat – ein Thema, das zum Beispiel auch im italienischen Wahlkampf polarisiert, ebenso wie in Frankreich oder Österreich und auch in Deutschland.
Darüber kann ich jetzt sprechen mit Fritz Pleitgen. Er war Intendant des Westdeutschen Rundfunks und innerhalb seiner Dienstzeit zeitweise auch Vorsitzender der ARD. Und auch Präsident der Europäischen Rundfunkunion EBU war er mal. Guten Morgen, Herr Pleitgen.
Fritz Pleitgen: Guten Morgen.
Zerback: In der Schweiz, da sieht es danach aus, nach aktuellen Umfragen, dass zwei Drittel der Menschen in der Schweiz nun gegen die Initiative sind, also für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie würde denn eine solche Abstimmung wohl in Deutschland ausgehen? Wagen Sie da eine Prognose?
Pleitgen: Ja, ich hoffe doch sehr, dass die Menschen im Laufe der Jahrzehnte mitbekommen haben, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu einer weltoffenen Gesellschaft geleistet hat. Deshalb würde ich auch davon ausgehen, dass eine doch relevante Mehrheit sich für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aussprechen würde.
Die WERAG als Warnung
Zerback: Herr Pleitgen, nun sind wir beide natürlich in diesem Fall von Hause aus nicht ganz unparteiisch – Sie als Mann, der jahrzehntelang im öffentlich-rechtlichen System gearbeitet hat, auch an deren Spitze, ich als Redakteurin eines öffentlich-rechtlichen Senders. Das muss man natürlich fairerweise dazusagen. Aber dennoch: Können Sie denn verstehen, dass das öffentlich-rechtliche System so kritisch hinterfragt wird?
Pleitgen: Na ja. Es ist natürlich schon ein Privileg, dass man von Gebühren oder Beiträgen, wie es jetzt heißt, finanziert wird. Dies passt nicht so ganz zu dem Wettbewerbsgedanken, der eigentlich die Europäische Union prägt. Deswegen habe ich das die ganze Zeit miterlebt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dort hinterfragt wurde. Der Begriff Zwangsgebühr ist ja nicht ganz neu und er wird natürlich immer dann hervorgeholt von politisch Interessierten, die sich zu sehr beobachtet fühlen, und dann wird so ein Kampfbegriff eingeführt. Die Steigerung ist dann noch Lügenpresse. Das ist natürlich an den Haaren herbeigezogen. Dass Presse oder Medien unbequem sein können, das ist ganz klar. Alle freuen sich darüber. Aber sobald man selbst betroffen ist, dann macht man Front dagegen.
Wir erleben das ja jetzt, dass die AfD sich da gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer Weise äußert, die mich daran erinnert: Der WDR hatte ja mal einen Vorläufer, das war die WERAG, das war die Westdeutsche Rundfunk AG, und die passte den Nazis damals überhaupt nicht. Dann wurde dort eine scharfe Kampagne über die Jahre der Weimarer Republik gefahren und als dann die NSDAP an die Macht kam, wurde natürlich die WERAG sofort gleichgeschaltet. Ich sage das einfach nur als Warnung.
Sie haben vorhin über die Auswirkungen des Nationalismus gesprochen, als es um die Strafzölle ging. Dieser übersteigerte Nationalismus bekäme Deutschland hier mitten in Europa überhaupt nicht gut.
"Wir haben eine veränderte Medienlandschaft"
Zerback: Herr Pleitgen, lassen Sie uns doch mal ein Argument der Gegner herausgreifen, auch der AfD. Da stellt sich immer wieder die Frage, warum denn Menschen, die mit den Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nichts anfangen können, sie auch nicht nutzen, trotzdem dafür zahlen sollen. Warum?
Pleitgen: Ja nun, das ist ja über das Bundesverfassungsgericht alles geklärt worden. Sie sind im Grunde dann auch alle Nutznießer, denn einen unabhängigen Rundfunk zu haben, das ist ja ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft. Ich kenne dieses Argument. Es ist auch nicht einfach zu beantworten. Aber dies ist ja auch von einem Bundesverfassungsrichter so entwickelt worden, und der Wert einer freien Presse und unabhängigen Presse – und das ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ja von der Gesellschaft kontrolliert wird; es sind ja die relevanten Kräfte in der Gesellschaft, die die Gremien besetzen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beaufsichtigen.
Ich bin jetzt elf Jahre aus dem System heraus, aber bin der Meinung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nötiger denn je ist, denn wir haben eine veränderte Medienlandschaft. Durch die sozialen Netzwerke prasselt eine Flut von völlig unkontrollierten Informationen auf die Menschheit nieder, führt zu Irritationen und Desinformationen, und deshalb brauchen wir in unserer Gesellschaft eine Institution, der die Leute auch vertrauen können.
Zerback: Schließen sich denn in Ihren Augen unabhängiger Journalismus, wie Sie sagen, Qualitätsjournalismus und Kommerz aus?
Pleitgen: Nein. Wir sehen ja in Amerika, das sind ja kommerziell betriebene Unternehmen wie die New York Times oder Washington Post, die dort eine hervorragende Arbeit leistet, die als einzige dieses Systems des Checks and Balances überhaupt noch in Gang halten, denn der Kongress, der eigentlich dazu aufgerufen ist, politisch, der fällt ja völlig aus und setzt sich nicht gegen das Weiße Haus zur Wehr, obwohl viele in dem Kongress ein sehr unbehagliches Gefühl haben, wohin Amerika nun allmählich geht. Und Amerika ist ja so mächtig, davon wird die ganze Welt auch mit betroffen.
"Hatte nie das Gefühl, gelenkt zu werden"
Zerback: Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche, Herr Pleitgen. Lassen Sie uns vielleicht noch einmal auf Deutschland blicken. Bei Ihnen ist es ja gerade schon angeklungen: die Rundfunkräte. Im Gegnervokabular ist da dann von Staatsfunk oft die Rede.
Pleitgen: Das kann ich überhaupt nicht teilen. Ich bin ja Intendant gewesen. Das war für mich eine sehr angenehme Tätigkeit. Die Kräfte, die dort in den Gremien tätig waren, hoben sich so auf, dass ich da nie das Gefühl hatte, ich könnte von irgendeiner Gruppe gelenkt werden. Ich hatte eine unabhängige …
Zerback: Lassen Sie mich nur ganz kurz vielleicht meine Frage stellen, Herr Pleitgen, weil in diesen Rundfunkräten, da sitzen ja unter anderem auch Politiker. Sie haben das gerade gesagt, Vertreter der Gesellschaft.
Pleitgen: Ja.
Zerback: Politiker also, die ein System beaufsichtigen sollen, damit es staatsfern berichtet. Wie passt das denn zusammen?
Pleitgen: Na ja. Die Parteien gehören ja nun mal zu unserer Demokratie, und die jetzt nun völlig ausschließen zu wollen, würde ich auch nicht für richtig halten. Es wäre dann prekär – und das war in früheren Jahren, am Anfang so gewesen -, wenn diese Parteien die Übermacht hätten, oder sich zusammenschließen könnten zu Großen Koalitionen, um die Berichterstattung eines Senders unter Kontrolle zu bringen. Das ist in den letzten Jahren nun nicht mehr der Fall. Ich kann das wirklich auch an Eides statt sagen. Ich bin in diesen Gremien nie in die Gefahr geraten, dass ich da irgendeiner Gruppe nun folgen musste, weil ich der ausgeliefert war. Also ich würde die Parteien da nicht ausschließen wollen. Das wäre eine Apartheid-Haltung, die ich auch nicht für richtig halte.
Wir sind ja mit den Parteien insgesamt nicht schlecht gefahren und es wird ja auch demnächst so sein, dass in dem einen oder anderen Rundfunkrat auch ein AfD-Vertreter auftritt, und der wird sich da schon zu Wort melden. Aber ob er sich durchsetzt, ist eine andere Frage.
Zerback: Wir behalten das im Blick. Danke erst mal für den Moment. Fritz Pleitgen war das, ehemaliger langjähriger Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Besten Dank für Ihre Zeit.
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