Dirk Ansorge ist Dogmatik-Professor an der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt und Mitglied der Arbeitsgruppe "Christen im Nahen Osten" der Deutschen Bischofskonferenz.
Andreas Main: Wer sich mit den christlichen Kirchen im Nahen Osten beschäftigt, muss sich über eines im Klaren sein: Es gibt viele politische Tretminen – so viele, dass man eigentlich nur verlieren kann. Allenthalben wird versucht, Christen im Nahen Osten zu instrumentalisieren. Bestimmte Kreise setzen sich für Christen im Nahen Osten vor allem deshalb ein, weil sie so die antiislamische Karte spielen können. Das führt im Schwarz-Weiß-Denken unserer Tage zur Gegenreaktion. Da wird dann unterstellt, wer sich für Christen im Nahen Osten einsetze, sei islamophob – so das Lieblingswort jener Kreise. Wir versuchen, diese Denkweise zu durchbrechen, ohne uns davon ganz lösen zu können. Das tun wir mit Dirk Ansorge.
Er ist katholischer Theologe und Professor für Dogmatik an der philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen. Zwei seiner Schwerpunkte: christliche Theologie im Dialog mit Judentum und Islam, sowie christliche Kirchen im Nahen und Mittleren Osten. Er engagiert sich in der Arbeitsgruppe "Christen im Nahen Osten" der Deutschen Bischofskonferenz und er nimmt Teil an einer Tagung, die zurzeit in Bautzen stattfindet – "Vergessene Geschwister, die Kirchen des Orients". Dirk Ansorge, schön, dass Sie vor dieser Tagung zu uns in den Deutschlandfunk gekommen sind. Guten Morgen.
Dirk Ansorge: Guten Morgen Herr Main.
Main: Herr Ansorge, warum "Vergessene Geschwister"? Wie erklärt sich dieses Phänomen, dass Christen im Nahen Osten durch alle Raster zu fallen scheinen?
Ansorge: In den westlichen Gesellschaften sind die Christen oft gar nicht so präsent im öffentlichen Bewusstsein. Gerade der Nahe und Mittlere Osten gilt eben als eine islamisch dominierte Region. Und dass es dort große Minderheiten auch von Christen gibt, das ist im Westen gar nicht so sehr bekannt.
Wir hatten das Beispiel gehabt, als wir vor einigen Jahren der Armenier-Pogrome gedacht haben, dass für viele im Westen, in Europa es vollkommen neu war, dass die Armenier Christen sind. Das führt dazu, dass man oft mit Juden in Israel rechnet, mit Muslimen in den umliegenden Staaten, aber nicht mit Christen.
"In der unmittelbaren Nachfolge der allerersten Christen"
Main: Was gibt es dagegen zu tun, dass diese vergessenen Geschwister wieder Teil der Familie werden?
Ansorge: Nun, sie sind in gewisser Weise schon ein wenig selbst in das Bewusstsein des Westens getreten durch die Flüchtlingsströme, die wir jetzt ja haben. Unter den Flüchtlingen sind eben nicht nur Muslime, sind auch Christen. Das hat oft zu Schwierigkeiten und Spannungen geführt, die ja dann auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Die Kirchen tun viel dafür, für die christlichen Geschwister das Wort zu erheben. Die Deutsche Bischofskonferenz hat in den letzten Jahren immer wieder Broschüren aufgelegt, in denen von den Christen im Irak, in Ägypten, aber auch auf der arabischen Halbinsel die Rede ist. Ich denke, dass zunehmend tatsächlich die Existenz von Christen in das Bewusstsein des Westens wirklich hineintritt.
Main: Vielleicht muss man ja auch einfach mal ganz simpel sagen: Christen sind länger in der Region als Muslime.
Ansorge: Unbedingt. Sie zählen sich eigentlich tatsächlich zu den ursprünglichen Christen. Sie führen sich zurück eben auf die apostolische Mission, die von Jerusalem ausgegangen ist. Und die Frage, ob beispielsweise die Vorväter oder die Urgroßväter irgendwann mal missioniert worden seien, die ist vollkommen abwegig. Sie verstehen sich als diejenigen, die in der unmittelbaren Nachfolge der allerersten Christen stehen.
"Pluralität heißt immer auch die Anerkennung des Anderen"
Main: Die Christen im Nahen Osten, dass sie in Vergessenheit geraten sind, das hat vielleicht mit einer Schwäche zu tun, die zugleich ihre Stärke ist. Die Kirchen dort sind nämlich so vielfältig, dass das wirklich kaum zu überblicken ist. Da gibt es nichts, was es nicht gibt. Eine verwirrende Vielfalt. Worin sehen Sie die Chancen dieser Vielfalt?
Ansorge: Die Vielfalt ist im Grunde das, was wir hier im Westen über viele Jahrhunderte im Grunde zu schätzen gelernt haben, nämlich Pluralität. Und wir sehen ja gerade heute, dass die Bestrebungen, Einheitlichkeit herbeizuführen, vor allen Dingen auch in der islamischen Welt – denken Sie nur an den Islamischen Staat –, dass das eben auch zu politischer, sozialer Gewalt führt. Und Pluralität heißt immer auch die Anerkennung des Anderen.
Und das Erste ist sicherlich Toleranz. Ich muss den anderen hinnehmen, so, wie er ist, auch wenn er mir nicht gefällt. Aber das Zweite wäre einfach, die Vielfalt auch als Bereicherung schätzen zu lernen. Und insofern kann natürlich auch die Vielfalt der christlichen Kirchen im Orient, wenn sie als Bereicherung wahrgenommen wird, letztendlich friedensfördernd wirken.
Christen seien angesichts der Verhältnisse gezwungen, sich zu verständigen
Main: Sie hat aber auch Schattenseiten und sie wird nicht nur als Vorteil wahrgenommen. Welche Nachteile hat die Vielfalt aus Ihrer Sicht? Wo wird das konkret?
Ansorge: Es gibt zwischen den unterschiedlichen Kirchen durchaus Spannungen – Spannungen, die theologische Grundlagen haben. Da ist man in manchen Aussagen der Christologie nicht so ganz eins. Da gibt es unterschiedliche Gebräuche, Riten, Liturgien. Da gibt es auch unterschiedliche Sprachen. Da gibt es vor allen Dingen aber auch dann unterschiedliche nationale und ethnische Traditionen. Und hier gab es in der Vergangenheit oft eher ein Nebeneinander der Kirchen und auch deren Vertreter.
Unter dem Druck der aktuellen Verhältnisse ist man freilich gezwungen, auch als Christen sich immer mehr untereinander zu verständigen. Und da sehe ich eine gute Perspektive für die Zukunft.
"Exodus von dramatischem Ausmaß"
Main: Trotz dieser Bemühungen sich zu verständigen und aufeinander zuzugehen, sicher ist ja dennoch, Christen fliehen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Welche Ausmaße hat dieser Exodus aus Ihrer Sicht mittlerweile angenommen?
Ansorge: Dramatische Ausmaße. Das muss man einfach sagen. Es gab immer schon einen großen Exodus von Christen aus der Region, auch vor dem Beginn der bewaffneten Konflikte. Das lag einfach daran, weil aufgrund der historischen Zusammenhänge Christen bessere Chancen oft hatten, in westlichen Staaten eine Perspektive beruflicher oder familiärer Art zu finden.
Main: Auch besser ausgebildet waren.
Ansorge: Die waren besser ausgebildet, in den Missionsschulen, die wir ab dem 19. Jahrhundert in der Region haben. Und jetzt haben eben unter dem Druck der Verhältnisse Christen oft Verwandte schon in Lateinamerika, in Nordamerika, in Europa. Und das motiviert natürlich dann, diese alten Kontakte wieder aufleben zu lassen.
Das führte inzwischen zu einem wirklichen Exodus von Christen aus der Region, der bedrohlich ist, der existenzbedrohlich ist. Viele sehen fast schon das Ende der orientalischen Christenheit bevorstehen. Das wäre natürlich ein Schaden der – ja – dramatische Ausmaße hätte.
"Viele Christen sitzen auf gepackten Koffern"
Main: Ist das eher eine Wellenbewegung - oder steigen die Zahlen kontinuierlich? Wie sieht das aus?
Ansorge: Die Christen fügen sich ein in die Fluchtbewegung insgesamt. Das hängt von den politischen Rahmenbedingungen ab. Die Europäische Gemeinschaft hat ja auch nicht zuletzt durch das Türkei-Abkommen inzwischen die Immigration von Flüchtlingen sehr erschwert.
Christen sind davon genauso betroffen wie andere Flüchtlinge. Man muss einfach schauen, wie die Situation ist. Aber es ist Tatsache, dass viele Christen wirklich auf gepackten Koffern sitzen und darauf warten, dass sie eine Gelegenheit bekommen, möglicherweise zu ihren Verwandten in Amerika oder Europa zu emigrieren.
"Christenverfolgung im Herrschaftsbereich des Islamischen Staates"
Main: Wir haben jetzt von "Flucht" gesprochen, von "gepackten Koffern". Wir haben, wenn ich richtig zugehört habe, noch keinmal das Wort "Christenverfolgung" benutzt. Ist das ein Begriff, den man in diesem Zusammenhang benutzen sollte?
Ansorge: Ja und nein. Christenverfolgung ist sicherlich im Herrschaftsbereich des Islamischen Staates gegeben. Dort gibt es ganz dramatische Berichte über die Ereignisse dort. Eine Verfolgung, die allerdings nicht nur Christen trifft, sondern auch die Jesiden sind ein bekanntes Beispiel für die religiös-ethnische Säuberung, von der man da wirklich sprechen muss.
In den anderen Staaten der Region leben die Christen seit Jahrhunderten in einem eher prekären Status. Das hat mit der islamischen Haltung gegenüber den Christen zu tun. Das Stichwort ist "Dhimmi". Dhimmis sind sozusagen Schutzbefohlene, die gegen eine Kopfsteuer dann auch vom Militärdienst befreit waren, aber denen bestimmte Berufe verwehrt waren. Insofern, Christenverfolgung würde ich für die Region insgesamt nicht in Anschlag bringen, aber sicherlich für den Bereich des Islamischen Staates.
"Strukturelle Gewalt"
Main: Wo fängt für Sie Verfolgung an, wo hört sie auf?
Ansorge: Verfolgung ist dort gegeben, wo wirklich unmittelbare Gewalt ausgeübt wird, also nicht nur strukturelle Gewalt. Strukturelle Gewalt wäre für mich damit gegeben, dass es Christen erschwert ist, bestimmte Berufe auszuüben. Aber wo tatsächlich Christen aus ihren Häusern vertrieben werden, wo sie gezwungen werden, ihrem Glauben abzuschwören, wenn sie nicht die Hinrichtung in Kauf nehmen wollen, dort ist für mich eindeutig Christenverfolgung gegeben.
Main: Um so einen Eindruck zu bekommen, was es dort alles gibt in der Region - jetzt machen wir einfach mal einen Test. Zählen Sie mal fünf Kirchen der Region auf, ohne sich zu versprechen.
Ansorge: Das sind die syrischen Kirchen, und zwar die "Syrische Kirche des Ostens". Es gibt die "Syrische Kirche des Westens". Es gibt die "Kopten". Es gibt die "Armenier". Es gibt die "Griechisch-Orthodoxen". Es gibt auch evangelische Kirchen, die genannt werden müssen, und natürlich verschiedene katholische Kirchen – die sogenannten "Lateiner". Aber es gibt nahezu von allen orientalischen Kirchen, die ich eingangs genannt hatte, eben auch unierte Zweige. Das sind Zweige dieser Kirchen, die irgendwann mal zu ganz unterschiedlichen Zeiten mit Rom eine Verbindung eingetreten haben, den Papst als Oberhaupt anerkennen. Und das gilt insbesondere für die noch nicht genannten "Maroniten" im Libanon.
Main: Wobei Sie jetzt bei diesem kleinen Test die jeweilige Kurzform des offiziellen Titels genommen haben, um nicht durcheinanderzukommen.
Ansorge: Das habe ich in der Tat getan. Die Titel sind oft etwas länger, aber im Westen wenig bekannt.
"Christen im Orient nicht in eine Sonderstellung drängen!"
Main: Im Gespräch im Deutschlandfunk: der Dogmatiker Dirk Ansorge. Sie haben eben gesagt, dass die Kirchen sich stark einsetzen, die Kirchen hier in Deutschland sich stark einsetzen würden für Geschwister im Nahen und Mittleren Osten. Ihr Wiener Kollege Heiner Tück, auch er Dogmatik-Professor, er hat jüngst in der Neuen Zürcher Zeitung in einem Essay deutschen Kirchenführern – egal, ob evangelisch oder katholisch – indirekt vorgeworfen, die orientalischen Christen nicht genug zu unterstützen. Wo könnte an diesem Punkt auch aus Ihrer Sicht mehr getan werden?
Ansorge: Ich denke einfach, dass das Bewusstsein im Westen für den Reichtum der orientalischen Kirchen geschärft werden muss. Wir haben ja nicht nur die eingangs erwähnten Handreichungen der Deutschen Bischofskonferenz. Wir haben ja inzwischen große Gemeinden auch von koptischen Christen, von syrischen Christen, von armenischen Christen in Deutschland selbst. Hier sind die Gemeinden in der Nachbarschaft dieser Zentren einfach aufgerufen, mit diesen Gemeinden in einen Kontakt zu treten.
Was immer auch als zweischneidiges Schwert auch von den Christen im Orient selbst empfunden wird, ist ein besonderes Engagement für die Christen ausschließlich, denn das ist ambivalent. Wenn man sich jetzt nur für Christen engagierte, dann würden diese Christen in dem Orient selbst, in ihren Gesellschaften, in eine Sonderstellung hineingedrängt werden, die sie oft selbst gar nicht wollen. Und hier ist auch unter den orientalischen Christen die Bandbreite sehr groß. Die einen, die sagen, wir zählen zu dieser Gesellschaft, zu dieser arabisch, auch islamisch geprägten Gesellschaft. Andere betonen eher ihre christliche Identität. Da muss man sehr aufmerksam sein und zuhören, was die orientalischen Christen selbst wollen.
"Auch in der Politik muss eine Bewusstseinsbildung stattfinden"
Main: Und da sind wir auch schon fast bei der Politik. Wenn man sich mal anschaut, wie deutsche Politik auf dieses Phänomen reagiert, dann fällt den meisten wohl nur Volker Kauder von der CDU ein, der sich massiv für den Schutz von Christen einsetzt. Ist das ein falscher Eindruck oder versagt die Politik?
Ansorge: Von Versagen würde ich nicht reden, aber ich denke in der Tat, dass hier eine Bewusstseinsbildung stattfinden muss, die übrigens nicht nur von christlichen und kirchlichen Organisationen vorgenommen wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen die "Gesellschaft für bedrohte Völker", die seit vielen Jahren eben auf die Situation der Christen in der Region hinweist. Und gerade eine solche, sich doch als säkular verstehende Einrichtung, hat dann auch die Chance, Abgeordnete anzusprechen, die vielleicht sich jetzt auch nicht vorschnell in irgendeinen engen Kontakt mit den Kirchen bringen lassen wollen. Auch hier besteht – wie auf allen Gebieten der Politik – die Notwendigkeit auf die Verhältnisse hinzuweisen. Und da gibt es viele einzelne Personen, aber auch Institutionen, die das tun.
"Patriarchales Engagement"
Main: Wie gehen Sie damit um, dass sich – ich sage mal – Christenretter gerne gerade auch in jenen Milieus finden, die zum Autoritären neigen – von US-Präsident Trump bis zum russischen Präsidenten Putin, von AfD bis Front National?
Ansorge: Das ist natürlich hoch problematisch. Ich würde das schlicht als patriarchal nennen. Wenn es hier um irgendein Engagement für die Christen geht, dann kann das nur im gemeinsamen Tun gehen. Und das heißt, ich muss mit den Christen selbst sprechen, ich muss fragen, was sie wirklich wollen.
Und dann sehe ich, dass auch unter den Christen selbst, den orientalischen Christen, unter den Kirchenführern sehr unterschiedliche Positionen gegeben sind. Die einen, die eben tatsächlich auch Verständnis haben für diejenigen, die eben fliehen, die emigrieren, die ihre Familie retten wollen. Es gibt viele Bischöfe, die sagen: "Bleibt! Wir müssen unsere Präsenz wahren."
Und dort von außen jetzt hineinzusprechen, das wäre eher ein patriarchaler Gestus, den ich nicht als hilfreich erachte.
Main: Und auf dem politisch und kirchlich linken Flügel, täuscht das oder gibt es dort kaum jemanden, der sich für Christen im Orient stark macht?
Ansorge: Dort bin ich jetzt offen gestanden nicht so wirklich orientiert, als dass ich da etwas zu sagen kann. Ich nehme in der Tat …
Main: Fehlanzeige offenbar?
Ansorge: Fehlanzeige. Ich nehme in der Tat wie Sie dort keine besonderen Stimmen wahr, wobei ich jetzt natürlich hoffe, niemandem Unrecht zu tun, wenn ich das so sage.
Main: Wie lässt sich denn dieses Lagerdenken, in das ich jetzt auch wieder eintauche – wie lässt sich es auflösen?
Ansorge: Ja, einfach durch die Aufmerksamkeit für die Vielstimmigkeit der Christen und der Kirchen selbst vor Ort. Es ist eine hochkomplexe Situation, seit vielen Jahrhunderten gewachsen. Deren Geschichte zu kennen ist schon eine große Herausforderung. Und in der aktuellen Situation tatsächlich das für die Menschen zu tun, was ihnen hilft, dazu bedarf es eben des intensiven Gespräches. Masterpläne, die aus Washington, Brüssel oder sonst wo kommen, helfen oft wenig vor Ort.
Texte aus der Frühzeit der Kirche
Main: Die Vielfalt der Christen dort, für Sie als Dogmatiker hat es wahrscheinlich auch eine intellektuelle, theologische Ebene, sich damit zu beschäftigen, weil die Differenzen – Sie haben es vorhin auch schon mal angedeutet – sind eben zum Beispiel auch christologischer Art. Wie spannend finden Sie diese inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Traditionen, die da über 2.000 Jahre entstanden sind?
Ansorge: Das ist extrem faszinierend, weil wir ja in der Dogmatik vielfach Texte vor uns haben, die eben aus der Frühzeit der Kirche stammen, wo unterschiedliche Theologen ihre Positionen zu Jesus Christus oder eben auch zum dreifaltigen Gott formuliert haben. Und wir haben jetzt hier tatsächlich nicht einfach nur Texte, sondern wir haben Menschen, die aus diesen Texten leben, die ihre Liturgie entsprechend gestalten. In der Liturgie kommen diese dogmatischen Aussagen wieder vor.
Und mit denen zu reden, das macht diese Diskussion wieder lebendig. Und ich sehe in diesem Zusammenhang auch und möchte es eigentlich auch betonen, dass in diesen Gesprächen, die wir dann führen, einerseits die eigene Position bereichert, vertieft wird, andererseits aber vielfach auch eine große Annäherung erfolgt. Die alten – ich nenne sie mal – dogmatischen Keulen wie Monophysitismus und dergleichen, die gelten eigentlich schon längst …
Main: Nestorianismus, Arianismus.
Ansorge: All das. Das ist inzwischen im Gespräch wirklich überwunden worden. In der Ökumene hat vor allen Dingen Wien eine große Rolle gespielt und hat in der Vorbereitung auch von offiziellen Dokumenten des Vatikans oder eben auch des koptischen Papstes zu Formeln geführt, in denen sich die alten Streitpunkte als überwindbar darstellen. Da wird dann zugegeben, dass es sich um unterschiedliche Sprachen handelt. Und das ist … ja, das ist wirklich eine lebendige Dogmatik, eine lebendige Reflexion über den Glauben mit eben Menschen, die aus diesen Traditionen leben.
Main: Zum Schluss – aus den "Vergessenen Geschwistern" sollte was werden?
Ansorge: Sollten Geschwister sein, um die man weiß, die in der Nachbarschaft leben, mit denen man bekannt ist, mit denen man erzählen kann, auch über ihre Geschichte, ihre oft leidvolle Geschichte, von denen man sich aber auch in seinem eigenen Glauben bereichern lassen kann.
Main: Wenn aus Geschwistern, aus "Vergessenen Geschwistern" Familienmitglieder werden… Mit dem katholischen Theologen Dirk Ansorge, Professor für Dogmatik an der Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt habe ich gesprochen über die Kirchen des Orients. Herr Ansorge, danke, dass Sie vorbeigekommen sind.
Ansorge: Danke für die Einladung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.