Immer dienstags trifft sich an der New Yorker Columbia University der Russischklub von Dmitri Dubrovski. Dem Professor für Menschenrechte und Demokratie wurde in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg 2015 die Lehrerlaubnis entzogen, seitdem forscht er in den USA zum Thema Hatespeech – Hass-Sprache – und vergleicht die Propagandamittel der Sowjetunion im Kalten Krieg mit den heutigen. Sowohl Wladimir Putin als auch Donald Trump griffen beide gern auf eine ganz bestimmte Methode zurück: Dubrovski nennt sie Whataboutism.
"Whataboutism beschreibt die Methode, nicht zu antworten, stattdessen zu fragen: Und was ist mit Dir? Dann werden zwei unterschiedliche Sachverhalte in einen Zusammenhang gebracht, die nichts miteinander zu tun haben. Im Ukrainischen gibt es eine kleine absurde Geschichte: Kommen zwei Nachbarinnen zum Gericht. Die eine beschuldigt die andere, sich einen Krug geliehen, aber kaputt zurückgegeben zu haben. Die andere erklärt dem Richter: Erstens habe ich keinen Krug geliehen, zweitens hatte der Krug, als ich ihn bekam, schon einen Sprung. Und drittens habe ich ihn heil zurückgegeben. Wenn es um die Annexion der Krim geht, will sich die russische Seite nicht auf eine Diskussion zur Sache einlassen, sondern fragt sofort, was die Amerikaner in Afghanistan, im Irak oder Kosovo getan haben."
Zusammenarbeit von Populisten
Ähnlich sei US-Präsident Donald Trump vorgegangen, als er sich äußern sollte, ob Putin ein Mörder sei. Trump hatte geantwortet: Bei uns gibt es auch viele Mörder. Eine special relationship zwischen Trump und Putin bewertet der Akademiker im Exil als eine Zusammenarbeit von Populisten. Trotzdem macht er zwischen beiden große Unterschiede aus.
"Putin hat eine Position, sogar eine sehr feste, weil er sich in einer Opposition zum Westen sieht wie im Kalten Krieg zu Sowjetzeiten. Bei Trump geht es nicht um Außenpolitik, von der versteht er nicht viel. Für Trump ist das eine rhetorische Methode zu reagieren, wenn er nicht antworten kann."
Moskau zeige sich besonders dünnhäutig, wenn es um Menschenrechtsverletzungen gehe:
"Wer Russland beschuldigt, die Menschenrechte oder das Völkerrecht zu verletzen, dem wird sofort unterstellt, nicht anzuerkennen, dass Russland eine Supermacht ist."
Und für eine Supermacht gelten andere Regeln. Dass auch Trump Regeln außer Kraft setzt, bewies er mehrfach mit seinen Anordnungen. Für Vlad Burlutski, der im Russischklub mit diskutiert, hat der US-Präsident damit eine möglicherweise lebensgefährliche Entscheidung getroffen. Sein Urteil über Trump und dessen Absicht, zu Russland eine besondere Beziehung aufzubauen, kommentiert er mit vier Worten:
"He is an idiot, he is an Idiot."
Androhungen und Sanktionen
Burlutskis heftige Reaktion versteht besser, wer seine Geschichte kennt. Vor drei Jahren beantragte er politisches Asyl in den USA, jetzt ist sein Status in Gefahr. Der 43-jährige Anwalt war in Russland mit dem Fall Sergej Magnitzky befasst, der 2009 in einem Moskauer Gefängnis starb. Magnitzky hatte schwere Korruptionsvorwürfe gegen ranghohe russische Beamte erhoben. Die russische Justiz beschuldigte kurzerhand Magnitzky selbst der Veruntreuung und inhaftierte ihn. Die USA reagierten auf Magnitzkys Tod in Haft mit dem sogenannten Magnitzky-Erlass, der Verschärfung der Sanktionen. Russland antwortete mit einem Adoptionsverbot von russischen Kindern für amerikanische Paare. Burlutski hatte seinerzeit geholfen, Beweise für die dunklen Machenschaften der russischen Behörden zusammenzutragen, was gefährlich wurde.
"Ich erhielt Drohungen und meine Tochter, die an Diabetes leidet, wurde gewarnt, dass man ihr kein Insulin mehr gibt, das in Russland nur unter strengen Auflagen zu bekommen ist. Das war sehr ernst. Bis zu Trumps Amtsantritt ging es mir hier gut, sogar sehr gut. Wegen des Trump-Einreise-Erlasses hat das Gericht meinen Antrag auf eine Greencard auf Eis gelegt. Statt ihn zu beschleunigen, wurde er gestoppt."
Vlad Burlutski befürchtet, dass Trump die Sanktionen gegen Russland abschwächt. Das wäre im Interesse Putins, deswegen habe der den Kandidaten im Wahlkampf unterstützt. Burlutsky hat seine Tochter seit vier Jahren nicht gesehen, er hält Trump für gefährlich und hofft, dass dessen Präsidentschaft nicht lange währt, schon jetzt werde er weder von den Geheimdiensten noch von der Wall Street unterstützt.
"Ich habe Russland verlassen und erlebe jetzt den gleichen Mist hier? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich lieber nach Kanada oder England gegangen. Aber wir geben nicht auf, Trump wird von seinem Platz entfernt."
Sonderbeziehung schwer vorstellbar
Die 33-jährige Tanja will weder ihren Nachnamen nennen, noch den russischen Ort, aus dem sie stammt. Aus Angst oder Paranoia? Sie weiß es nicht, nur dass der Gedanke an eine engere Verbindung zwischen Washington und Moskau sie nervös macht. "Einerseits wären gute Beziehungen großartig, aber mein erster Gedanke war, dass Russland dafür einiges verändern müsste. Bei den schlimmen Dinge, die mit Dissidenten geschehen - Morde, Unterdrückung – ist es schwer sich eine solche Sonderbeziehung vorzustellen. Würden wir so etwas mit Nordkorea haben wollen? Nein."
In Tanjas Familie vermeiden sie jede politische Diskussion, weil sonst alle nur noch streiten. Dass viele ihrer Verwandten Trump gewählt haben, hat Dmitri Dubrowski, der Politologe, erwartet, denn so verhielte sich die Mehrheit der Sowjet-Emigranten.
"Die Mehrheit der russischen Emigranten ist sehr konservativ. Der größte Teil der Russen kam zu Ronald Reagans Präsidentschaft, die für sie das Goldene Zeitalter war, zu dem Trump zurückkehren möchte."