Im Jahr 2009 fand Marlize Lombard von der Universität Johannesburg in der südafrikanischen Höhle von Sibidu Reste von Pfeil und Bogen, die sich bei genauerer Untersuchung als 64.000 Jahre alt herausstellten. Der Archäologin, die sich auf Jagdtechniken spezialisiert hat, war die Bedeutung des Fundes für die Menschheitsgeschichte sofort klar:
"Die Pfeil-und-Bogen-Technik ist sehr interessant, wenn man die geistigen Fähigkeiten betrachtet, denn sie zeigt, dass die Leute verschiedene Techniken gleichzeitig verwenden konnten, um mit größerer Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dabei ist nicht so sehr das Alter der Pfeil-und-Bogen-Technik so wesentlich, sondern was das anzeigt für das Verhalten der Menschen sowie deren Technologie und Erkenntnisfähigkeit."
Bei einer Tagung lernte Marlize Lombard die Paläontologin und Urgeschichtlerin Miriam Haidle kennen. Sie beschäftigt sich in einem Forschungsprojekt der Hei¬delberger Akademie der Wissenschaften mit "Der Rolle der Kultur bei der frühen Ausbreitung der Menschen". Ihr geht es vor allem darum, was die Funde über das Denkvermögen der frühen Menschen verraten. Werkzeuge gibt es sogar bei Tieren:
"Ein Zebra, das muss sich nur bücken, wenn es Gras fressen möchte. Ein Affe, der eine Nuss knacken möchte mit einem Stein, der muss sich ganz kurz schon von dieser Nuss abwenden, einen Stein suchen und dann erst sein eigentliches Ziel - die Nuss knacken, um sie fressen zu können. Also das ist schon ein kleiner Umweg, der gedacht werden muss, und ein essentieller Umweg, den nicht viele Tiere schaffen."
Dieser "gedankliche Umweg" ist wohl ein Erfolgsgeheimnis der Menschheitsgeschichte, so ähnlich, wie das Spiel über die Bande bei Minigolf oder Billard: Man erreicht etwas, was auf direktem Wege nicht erreichbar wäre.
"Der Mensch hat sogar schon seit 2,5 Millionen Jahren mehr Umwege gedacht, indem er angefangen hat, Werkzeuge herzustellen mit anderen Werkzeugen. Und Speere sind da nur eine enorme Erweiterung. Um einen Speer wie die aus Schöningen zum Beispiel herzustellen, die so 300.000 Jahre alt sind, da braucht man nicht nur ein Werkzeug, sondern man muss ein Fichtenstämmchen zunächst mal fällen mit einem Werkzeug. Das muss man nachher bearbeiten mit einem anderen Werkzeug. Und diese beiden Werkzeuge mussten auch schon hergestellt werden."
Dabei ist ein Speer immer noch ein Werkzeug aus einem Stück, ähnlich wie Faustkeile und Grabstöcke. Der nächste Schritt waren Werkzeuge aus verschiedenen Materialien. Marlize Lombard:
"Meine Arbeit kann zeigen, wann wir Menschen begannen, Werkzeuge zu befestigen. Das bedeutet, wir konnten verschiedene Materialien verwenden, sie kombinieren und damit die Gebrauchsmöglichkeiten erweitern. So bekamen wir einen Speer mit Steinspitze, Messer mit Steinklinge, einen Hammer mit Steinkopf oder eine Axt. Und das erweiterte die Anpassungs¬fähigkeit an die Umgebung ganz erheblich, weil wir besser ausgerüstet waren als mit nur einfachen Werkzeugen in der Hand."
In der nächsten Stufe müssen zwei Bauteile - Pfeil und Bogen - zusammenwirken, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, und es waren sehr viele Schritte zur Herstellung nötig. Miriam Haidle fand zehn grundlegende Techniken, um Werkzeuge herzustellen, drei zur Herstellung von Sehnen und Klebstoff, je fünf für die eigentliche Herstellung von Pfeil und Bogen und schließlich noch die Handhabung des fertigen Bogens, was insgesamt 24 Arbeitsgänge bedeutet.
"Wir haben das rekonstruiert anhand von verschiedenen Experimenten, die gemacht worden sind, anhand von Überlegungen, wie man einen Pfeil und Bogen aufbaut. Und wir haben beim Pfeil und Bogen natürlich zwei Komponenten: zum einen den Pfeil und zum anderen den Bogen. Beim Bogen wiederum haben wir auch verschiedene Komponenten: Wir haben zum einen den Holm, wir haben die Sehne, dann gibt es - aus ethnografischen Beispielen - oftmals eine Art Griff, eine Umwickelung, damit man den Bogen einfach besser halten kann. Man muss die Sehne befestigen oben - und zwar so, dass sie wirklich eine Spannung aushält.
Die Bögen, die Sie als Kind gemacht haben und die auch ich als Kind gemacht habe, die waren nicht so wirklich funktionstüchtig, dass sie eine große Spannung ausgehalten haben. Das heißt, man muss die Knoten oben auch noch speziell mit anderen Sehnen oder anderen Befestigungsmitteln festmachen."
Jeder dieser Arbeitsschritte ist das Ergebnis von Gedanken, die diese frühen Menschen gehabt haben müssen. Miriam Haidle erfasst sie in Kognigrammen, sozusagen Gedankenfahrplänen, die alle notwendigen Gedanken festhalten.
"Im Ergebnis müssen sie alle diese Gedanken gedacht haben. Die Kognigramme oder Gedankenfahrpläne, die gliedern sich in die einzelnen Elemente, an die die Leute denken müssen, also in die einzelnen Gedankenschwerpunkte. Ich muss an einen Holm denken, ich muss an die verschiedenen Werkzeuge denken, die diesen Holm bearbeiten. Ich muss beim Pfeil an den Pfeilschaft denken, an den Kleber denken, an die Spitze denken, bei dem Kleber an die verschiedenen Komponenten und so weiter."
Mithilfe dieser Gedankenfahrpläne lässt sich nun vergleichen, wie viel Hirnschmalz brauchte ein Mensch für ganz verschiedene Tätigkeiten, etwa geeignetes Material suchen, Feuer machen, Wasser holen, Sehnen aufbereiten, Klebstoff mischen und so weiter. Diese Kognigramme dienen als Werkzeug zur Erfassung von Gedanken.
"Das Neue jetzt bei diesem Pfeil und Bogen und was wir vorher schon beim Speer, also insgesamt beim menschlichen Denken haben, ist das so genannte 'Modulare Denken', dass die Leute in Einzelschritten denken können und die dann aber auch gedanklich zur Seite legen können."
Das bedeutet aber auch, dass man damals lernte, verschiedene Werkzeuge und verschiedene Gedanken wie Bauklötze in einem Baukasten immer wieder neu zu kombinieren.
"Es sind bei Pfeil und Bogen jetzt zum ersten Mal komplementäre Werkzeugsets, das heißt zwei verschiedene Werkzeuge, die aufeinander abgestimmt sind - und im Prinzip ist das die Grundvoraussetzung, dass wir mit einem Bogen oder mit irgendeinem anderen Instrument etwas anderes beschleunigen können, etwas anderes in Gang setzen können, bei Nadel und Faden zum Beispiel den Faden da durch ziehen, das ist die Grundvoraussetzung, um danach in Maschinen zu denken."
Schon damals gab es erste Automaten, nämlich Fallen für Tiere. Anthropologen vermuten, dass diese Art zu Denken ganz entscheidend mit dazu beitrug, dass der Homo sapiens zur bedeutendsten Art aufstieg, während der Neandertaler verschwand, der, soweit man das aus Funden rekonstruieren kann, weniger komplex dachte. Dieses Denken führte zudem zur Entstehung verschiedener Berufe, zur Arbeitsteilung, weil es für den Einzelnen immer schwieriger wurde, alle Arbeitsschritte zu beherrschen.
"Die Pfeil-und-Bogen-Technik ist sehr interessant, wenn man die geistigen Fähigkeiten betrachtet, denn sie zeigt, dass die Leute verschiedene Techniken gleichzeitig verwenden konnten, um mit größerer Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dabei ist nicht so sehr das Alter der Pfeil-und-Bogen-Technik so wesentlich, sondern was das anzeigt für das Verhalten der Menschen sowie deren Technologie und Erkenntnisfähigkeit."
Bei einer Tagung lernte Marlize Lombard die Paläontologin und Urgeschichtlerin Miriam Haidle kennen. Sie beschäftigt sich in einem Forschungsprojekt der Hei¬delberger Akademie der Wissenschaften mit "Der Rolle der Kultur bei der frühen Ausbreitung der Menschen". Ihr geht es vor allem darum, was die Funde über das Denkvermögen der frühen Menschen verraten. Werkzeuge gibt es sogar bei Tieren:
"Ein Zebra, das muss sich nur bücken, wenn es Gras fressen möchte. Ein Affe, der eine Nuss knacken möchte mit einem Stein, der muss sich ganz kurz schon von dieser Nuss abwenden, einen Stein suchen und dann erst sein eigentliches Ziel - die Nuss knacken, um sie fressen zu können. Also das ist schon ein kleiner Umweg, der gedacht werden muss, und ein essentieller Umweg, den nicht viele Tiere schaffen."
Dieser "gedankliche Umweg" ist wohl ein Erfolgsgeheimnis der Menschheitsgeschichte, so ähnlich, wie das Spiel über die Bande bei Minigolf oder Billard: Man erreicht etwas, was auf direktem Wege nicht erreichbar wäre.
"Der Mensch hat sogar schon seit 2,5 Millionen Jahren mehr Umwege gedacht, indem er angefangen hat, Werkzeuge herzustellen mit anderen Werkzeugen. Und Speere sind da nur eine enorme Erweiterung. Um einen Speer wie die aus Schöningen zum Beispiel herzustellen, die so 300.000 Jahre alt sind, da braucht man nicht nur ein Werkzeug, sondern man muss ein Fichtenstämmchen zunächst mal fällen mit einem Werkzeug. Das muss man nachher bearbeiten mit einem anderen Werkzeug. Und diese beiden Werkzeuge mussten auch schon hergestellt werden."
Dabei ist ein Speer immer noch ein Werkzeug aus einem Stück, ähnlich wie Faustkeile und Grabstöcke. Der nächste Schritt waren Werkzeuge aus verschiedenen Materialien. Marlize Lombard:
"Meine Arbeit kann zeigen, wann wir Menschen begannen, Werkzeuge zu befestigen. Das bedeutet, wir konnten verschiedene Materialien verwenden, sie kombinieren und damit die Gebrauchsmöglichkeiten erweitern. So bekamen wir einen Speer mit Steinspitze, Messer mit Steinklinge, einen Hammer mit Steinkopf oder eine Axt. Und das erweiterte die Anpassungs¬fähigkeit an die Umgebung ganz erheblich, weil wir besser ausgerüstet waren als mit nur einfachen Werkzeugen in der Hand."
In der nächsten Stufe müssen zwei Bauteile - Pfeil und Bogen - zusammenwirken, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, und es waren sehr viele Schritte zur Herstellung nötig. Miriam Haidle fand zehn grundlegende Techniken, um Werkzeuge herzustellen, drei zur Herstellung von Sehnen und Klebstoff, je fünf für die eigentliche Herstellung von Pfeil und Bogen und schließlich noch die Handhabung des fertigen Bogens, was insgesamt 24 Arbeitsgänge bedeutet.
"Wir haben das rekonstruiert anhand von verschiedenen Experimenten, die gemacht worden sind, anhand von Überlegungen, wie man einen Pfeil und Bogen aufbaut. Und wir haben beim Pfeil und Bogen natürlich zwei Komponenten: zum einen den Pfeil und zum anderen den Bogen. Beim Bogen wiederum haben wir auch verschiedene Komponenten: Wir haben zum einen den Holm, wir haben die Sehne, dann gibt es - aus ethnografischen Beispielen - oftmals eine Art Griff, eine Umwickelung, damit man den Bogen einfach besser halten kann. Man muss die Sehne befestigen oben - und zwar so, dass sie wirklich eine Spannung aushält.
Die Bögen, die Sie als Kind gemacht haben und die auch ich als Kind gemacht habe, die waren nicht so wirklich funktionstüchtig, dass sie eine große Spannung ausgehalten haben. Das heißt, man muss die Knoten oben auch noch speziell mit anderen Sehnen oder anderen Befestigungsmitteln festmachen."
Jeder dieser Arbeitsschritte ist das Ergebnis von Gedanken, die diese frühen Menschen gehabt haben müssen. Miriam Haidle erfasst sie in Kognigrammen, sozusagen Gedankenfahrplänen, die alle notwendigen Gedanken festhalten.
"Im Ergebnis müssen sie alle diese Gedanken gedacht haben. Die Kognigramme oder Gedankenfahrpläne, die gliedern sich in die einzelnen Elemente, an die die Leute denken müssen, also in die einzelnen Gedankenschwerpunkte. Ich muss an einen Holm denken, ich muss an die verschiedenen Werkzeuge denken, die diesen Holm bearbeiten. Ich muss beim Pfeil an den Pfeilschaft denken, an den Kleber denken, an die Spitze denken, bei dem Kleber an die verschiedenen Komponenten und so weiter."
Mithilfe dieser Gedankenfahrpläne lässt sich nun vergleichen, wie viel Hirnschmalz brauchte ein Mensch für ganz verschiedene Tätigkeiten, etwa geeignetes Material suchen, Feuer machen, Wasser holen, Sehnen aufbereiten, Klebstoff mischen und so weiter. Diese Kognigramme dienen als Werkzeug zur Erfassung von Gedanken.
"Das Neue jetzt bei diesem Pfeil und Bogen und was wir vorher schon beim Speer, also insgesamt beim menschlichen Denken haben, ist das so genannte 'Modulare Denken', dass die Leute in Einzelschritten denken können und die dann aber auch gedanklich zur Seite legen können."
Das bedeutet aber auch, dass man damals lernte, verschiedene Werkzeuge und verschiedene Gedanken wie Bauklötze in einem Baukasten immer wieder neu zu kombinieren.
"Es sind bei Pfeil und Bogen jetzt zum ersten Mal komplementäre Werkzeugsets, das heißt zwei verschiedene Werkzeuge, die aufeinander abgestimmt sind - und im Prinzip ist das die Grundvoraussetzung, dass wir mit einem Bogen oder mit irgendeinem anderen Instrument etwas anderes beschleunigen können, etwas anderes in Gang setzen können, bei Nadel und Faden zum Beispiel den Faden da durch ziehen, das ist die Grundvoraussetzung, um danach in Maschinen zu denken."
Schon damals gab es erste Automaten, nämlich Fallen für Tiere. Anthropologen vermuten, dass diese Art zu Denken ganz entscheidend mit dazu beitrug, dass der Homo sapiens zur bedeutendsten Art aufstieg, während der Neandertaler verschwand, der, soweit man das aus Funden rekonstruieren kann, weniger komplex dachte. Dieses Denken führte zudem zur Entstehung verschiedener Berufe, zur Arbeitsteilung, weil es für den Einzelnen immer schwieriger wurde, alle Arbeitsschritte zu beherrschen.