Die Stimme fest, der Gesang melodisch, die Botschaft radikal: Bi-Dschihadina - mit unserem Dschihad - heißt dieses Lied des Saudis Abu Ali.
Der Text könnte kaum martialischer sein: "Durch unseren Dschihad zerbröckeln wir die Felsen", singt Abu Ali. "Mit unserem Blut werden wir die Morgendämmerung färben." Der Titel ist einer der beliebtesten bei Dschihadisten, bei extremistischen Muslimen, die für ihren Glauben auf Gewalt setzen - ein Kampflied, das seine Hörer radikalisieren soll. Dschihadisten nutzen diese Naschids für Terrorvideos im Internet. Sie sollen die Hörer in eine Art Gegenkultur hineinziehen, sagt der Hamburger Islamwissenschaftler Behnam Said.
"Fast alle Videos aus dem Bereich Dschihadismus, alle Videos, die zum Beispiel Kampfsequenzen zeigen, werden hinterlegt mit diesen Naschids. Und da ist es eine Art Soundtrack zum Film. Die Naschids kann man sich wirklich vorstellen als Soundtrack der Dschihadisten. Das spielt natürlich für die Leute eine Rolle, weil sie damit vom Mainstream der Gesellschaft immer weiter abgeschottet werden. Sie brauchen nicht mehr die normale Popmusik zu hören, sondern sie können ihre eigene Musik hören, sie können sich ihre eigenen Videos ansehen, sie haben ihre eigenen Stars auch."
Der Saudi Abu Ali ist einer dieser Stars. Früher wurden Kampf-Naschids auf Kassetten kopiert und weitergegeben. Heute verbreiten sie sich im Internet mit ein paar Klicks von einem Ende der Welt zum anderen - so sind sie enorm populär geworden. Längst finden die dschihadistischen Naschids auch in Deutschland Anhänger, sagt Behnam Said.
Eine Form der Subkultur und der Rebellion gegen das Establishment
"Der Dschihadismus ist in Deutschland eine Form der Subkultur und hat damit auch seine eigene Musik. Für die Jugendlichen ist das genauso anziehend wie für andere Jugendliche eventuell Rechtsrock oder linke Punkbands. Das kann man sich da eigentlich sehr parallel zu vorstellen. Es ist auch eine Form der Rebellion gegen das Establishment, gegen die Elterngeneration, die oftmals nicht damit einverstanden ist, was ihre Kinder da treiben. Insofern kommt ihm durchaus auch eine Form der Provokation zu."
Said hat seine Doktorarbeit über Dschihadisten-Naschids geschrieben und dafür unzählige Seiten im Internet durchforstet. Er sieht Parallelen zu Soldatenliedern, etwa aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg.
"Überwiegend wird der Kampf gegen ein postuliertes Unrecht legitimiert. Da wird dann dieser Kampf als Gut gegen Böse, als Glaube gegen Unglaube dargestellt. Ein weiteres wichtiges Thema ist das Martyrium und das Lob der Märtyrer. Aber es gibt auch einige Lieder, die den Abschied von der eigenen Familie, insbesondere von der Mutter thematisieren und dieser Mutter erklären, warum denn der Sohn ausgezogen ist, um zu kämpfen, weil das offensichtlich extrem erklärungsbedürftig ist."
Ursprünglich waren Naschids harmlose religiöse Gesänge zur Festigung des Glaubens. Sie preisen Gott, den Propheten Mohammed, die Gemeinschaft der Gläubigen oder die Wallfahrt nach Mekka. Naschids haben eine lange Tradition und gehen auf die Frühzeit des Islams im Mittelalter zurück. Eine Renaissance erlebten sie im 19. Jahrhundert, als mystische Sufi-Orden die Gesänge verbreiteten. Bis heute sind die religiösen Lieder unter Muslimen beliebt. Populär sind bei Jugendlichen pop-ähnliche Varianten, etwa von Sami Yusuf aus Großbritannien - so etwas wie der Schnulzenkönig unter den Naschid-Sängern.
Naschids gibt es in inzwischen auch auf Deutsch
Auch Yusuf besingt Gott, Mohammed und die Umma. Um Gewalt geht es bei ihm nicht. Der Sohn aserbaidschanischer Eltern hat in London klassische Musik studiert und ist heute ein internationaler Star. Seine Platten haben sich weltweit millionenfach verkauft. Instrumente und Trommeln begleiten seinen Gesang.
Dschihadisten dagegen halten Musik für Sünde - erlaubt ist bei ihnen nur Gesang ohne Begleitung, eine Form der Rezitation. Einzug in die Politik erhielten die Naschids erst in den 1970er-Jahren, als Islamisten sie für ihre Propagandazwecke benutzten. Auch gewaltbereite Gruppen entdeckten die religiösen Lieder, vor allem im Afghanistankrieg in den 1980ern. So entstand die gewaltverherrlichende Form der Naschids. Die Dschihadisten hätten sich eine alte Tradition angeeignet und sie radikal umformuliert, sagt Behnam Said.
"Ich würde die nicht einfach nur abtun als dumpfe Gewaltdichtung. Da muss man wirklich differenzieren. Teilweise sind sie wirklich äußerst brutal. Teilweise sind sie aber auch deutlich feinsinniger. Die Gewalt wird da natürlich auch kultiviert. Nur es ist wirklich, gerade im arabischen Zusammenhang, eine Dichtung, die durchaus sehr filigran sein kann. Da ist die Qualität durchaus als relativ hoch einzuschätzen. Das macht auch die Faszination dieser Richtung aus."
Im Internet kursieren mittlerweile auch etliche deutsche Naschids - vor allem vom Berliner Rapper Denis Cuspert, einst bekannt unter dem Künstlernamen Deso Dogg. Er soll im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten von Extremisten kämpfen und vor kurzem schwer verletzt worden sein. In einem seiner Lieder appelliert er an den Kämpfer, den Mudschahid, gegen den Ungläubigen, den Kafir, zu kämpfen.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat mehrere Lieder von Cuspert verboten. Einerseits setzte die Bonner Behörde damit ein klares Zeichen - andererseits dürfte das Verbot vor allem eine Wirkung haben: dass Cusperts Lieder bei jungen Dschihadisten noch populärer geworden sind.