Das Bild zum Jahresanfang findet man an vielen Ecken, zum Beispiel neben der Kik-Filiale im Kölner Severinsviertel. Da liegt so eine Zuchtfichte, im Volks- und Kindermund auch "O Tannenbaum" genannt, auf dem regennassen Bürgersteig und wartet auf Entsorgung. Ex und hopp und so ganz anders als in dem altmodisch humoristischen Werbespot jenes Inbusschlüssel-Großverteilers, in dem der "O Tannenbaum" lustig in der ganzen Straßenzeile aus dem Fenster geworfen wird. Da muss doch mehr sein als ein "Oh Tannenbaum"-Kaufen, weil es dazu gehört. Wir Deutschen und unser Mythos Wald, so kriegt man uns.
Die Farbe des Jahres 2018?
Waldgrün sei "vertraut" und "tief", wirbt ein Hersteller für Anstreichfarben - Waldgrün, das aussieht wie Fichtennadel-Grün, sei "Farbe des Jahres 2018". Also für Wände, erst mal. Nicht das erste Mal indes, dass sich eine Mode, ein Style, ein Ritual auf eine Marketingidee zurückführen lässt. Man denke an das deutsche Halloween-Fest - wieder etwas, das an uralte Riten denken lässt - das deutsche Getränke- und Karnevalsartikel-Hersteller aus den USA importiert haben, als wegen des Golfkriegs der Karneval ausfiel.
Was wohl aus "Waldgrün" wird? Auch etwas für jenseits der Wände? Wühltischware für die Kik-Filiale oder der besondere Farbton, den modisch proaktive Menschen auflegen werden, wenn es in ein paar Wochen wieder heißt: Lasst uns Federball spielen und bunte T-Shirts tragen?
"Pantone", eine Agentur für Farbkommunikation, treibt quer, erklärt frech Violett zur Farbe des Jahres, meldete und glossierte die Süddeutsche in den Tagen vor dem Aufstellen von "O Tannenbaum": Violett stehe für die Sehnsucht der Deutschen nach Transzendenz. Oder die Zeitschrift "Elle" sagt, "Arcadia"" ist es, ein Blaugrün mit Retro-Charme. Mag sein. Auch schön. Hauptsache bunt, sagen die Federballspieler. Und bleiben wir jetzt mal beim Waldgrün.
Waldgrün stand für Spießigkeit
Es ist eine Generationenfrage. Für Leute im mittleren Alter und mit der Sozialisation wie der Autor, also ich, war Waldgrün doch immer die Farbe zum Hasslieben gewesen. Es stand für Spießigkeit, Muff, den einen oder anderen Nazi in der Großeltern-Generation vielleicht. Also alles, was es zu überwinden galt. Und dann doch das gute Gefühl, Weihnachten "heim" aufs Dorf, zu Mutti und "O Tannenbaum" zu fahren. Millenials, die mit dem Dutzend Dekor-Farb-Optionen ihrer digitalen Geräte aufwachsen, sehen das wahrscheinlich ganz anders, entspannter, weniger aufgeladen. Waldgrün, kann man schon machen, so wie Urlaub in der Heimat. Zahlen der Tourismusbranche belegen: Urlaub im – anachronistisches Wort – "Naherholungsgebiet", wo "O Tannenbaum" einfach so wächst, Klima-genetisch bedingt und begünstigt, ist gar nicht uncool. Entdecke und bewerte Heimat neu! - sicher ein Trend der 2010er Jahre, in denen Qualität und Ökobilanz von "Fernerholungsgebieten" hinterfragt werden. Zwei Wochen am Strand liegen und nichts tun auf den Malediven. Braucht's das?
Stattdessen könnte man nach dem "Tier des Jahres 2018" Ausschau halten. Die europäische Wildkatze, meldet dpa, sei keine verwilderte Hauskatze, sondern eine eigene Art nachtaktiver Raubtiere. Äußerlich wird die Wildkatze meist gar nicht erkannt; sie sieht fast aus wie eine normale, Wildtier-braune Mieze. Die Population – wenige Tausend Tiere – sei vom Aussterben bedroht. Positiver Aspekt: Es gibt in der extensiv durchkonjugierten Kulturlandschaft Deutschlands also doch noch so etwas wie Wildnis. Und steht zu Dreikönigen noch der Baum, hat ihn keiner umgehauen. Waldgrün also. Dazu darf es der Dackel als Modehund sein. Försterjoppe 2018 statt Bomberjacke 2017. Mal sehen, ob das aufträgt.