
Am dritten Forums-Tag fand in der Kölner Musikhochschule ein vielfältiges Konzert unter der Beteiligung von jungen Musikern statt: Das Licht verlischt, Musik erklingt, am Klavier Erwin Schulhoff – nach der historischen Aufnahme folgte das Genre Klavierlied: Marie Heeschen sang drei der experimentellen „Fünf Gesänge“ Schulhoffs aus dem Jahre 1919. Danach fiel das Scheinwerferlicht auf einen anderen Bereich der großen Bühne in der Hochschule für Musik und Tanz. E-Gitarre und Saxofon verorteten Chaya Czernowins „Sahaf“ in Klangwelten ganz anderer Art. Mittelmeer-Anklänge folgten darauf in Ruth Schönthals Lorca-Liedern für Stimme und Ensemble.

Blechbläser und die Stimme von Andranik Fatalov prägen Samir Odeh-Tamimis Stück „Marduk“, das im Konzert uraufgeführt wurde. Ebenso wie der Deutschlandfunk-Auftrag an Damian Scholl, das sich als ein ein sensibles, farbreiches Stück erweist.

Geradezu ein durchkomponiertes Ereignis
„Lebenswege“ sind diese zwei Konzertstunden überschrieben – der Titel zielt auf die vielen Irr- und Fluchtwege jüdischer Komponisten in den politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts ebenso wie auf heutiges Leben im Transit in einer sich immer mehr globalisierenden Welt. Es war das große Verdienst von Ensembleleiter und Dirigent David Smeyers, die vielköpfige Studierendenformation ensemble 20/21 zu einem Klangkörper zusammen zu schweißen, der ein äußerst heterogenes Programm zu einem großen, geradezu durchkomponierten Ereignis zu fügen vermag. 240 Zuhörer folgten dem Programm am Samstagabend sehr konzentriert. Bereits zum siebenten Mal spielte das ensemble 20/21 beim Forum neuer Musik ein Themenkonzert.

Bereits zum siebenten Mal bereicherte gleichfalls eine von David Smeyers konzipierte Matinee das Forums-Programm am Sonntagvormittag. Unter dem Motto „Annäherung durch Verstehen“ referierte Winfried Günther über hebräische Sprache und Schrift, Kantor Binyamin Munk demonstrierte Techniken und Melodien des Synagogalgesangs, Samir Odeh-Tamimi präsentierte arabische Musikwelten in Israel. Daniel Cil Brecher’s Nachdenken über den Wandel jüdischer Identitäten seit 1945 und eine abschließende kleine halbszenische Aktion mit allen Zuhörern rundeten diesen Vormittag ab.
Das Forum in der Kunst-Station Sankt Peter: Komponist Gabriel Iranyi im Fokus
Zum fünften Mal beteiligte sich auch die Kunst-Station Sankt Peter als eigener Veranstaltungsort beim Forum neuer Musik. Im Fokus der Komponist Gabriel Iranyi. Iranyi schreibt strenge Musik, deren verborgenes Bedeutungsgeflecht jeder Hörer für sich entschlüsseln soll. Die wichtigsten Lebensstationen des Komponisten – Klausenburg (Rumänien), Tel Aviv und Berlin – und deren Bedeutung verbirgt die Musik.

Organist Dominik Susteck und Geigerin Sabine Akiko Ahrendt musizierten die vier Kompositionen indes klangschön und fantasiereich. Welche Darbietung war die überzeugendste? Die Meinungen gingen hier auseinander. Uraufgeführt wurde ein von Paul Celans Lyrik inspiriertes Auftragswerk des Deutschlandfunk. In einer vorangestellten christlich-jüdischen Dialogveranstaltung sprach Pater Werner Holter mit dem Komponisten.
Finale im Deutschlandfunk im Zeichen der Komponistin Chaya Czernowin
Der Festivalabschluss am Sonntagabend im Deutschlandfunk brachte noch einmal ganz neue Facetten. Im Mittelpunkt stand die israelisch-amerikanische Komponistin Chaya Czernowin. Im Gespräch mit Sarah Nemtsov, Barbara Eckle und Festivalleiter Frank Kämpfer äußerte sich Czernowin sehr persönlich über ihr Komponieren, über für sie wichtige Orte, über Notwendigkeit und Grenzen künstlerischer Arbeit.

Im Kammermusiksaal folgten dann zwei größere neue Werke: der Zyklus „Adiantum capillus-veneris“ für Stimme und Atem und „Hidden“ für Elektronik und Streichquartett. Vokalistin Inbal Hever, eine junge Israelin, realisierte die schwierige Partitur von „Adiantum capillus-veneris“ mit immenser Technik und Faszinationskraft. Czernowins Anliegen war es, aus dem menschlichen Körper generierte neue Klangwelten zu erschließen, den Atem dabei kompositorisch zu mikroskopieren. Der dritte Teil des Zyklus entfaltete sich mittels Zuspielungen sehr apart zu einer Art dreistimmigem Madrigal am Rande von Stimme und Klang.

Eigentümliche Geräuschwelten, sich überlagerndes Innen und Außen begegneten dem Hörer bei „Hidden“. Aus drei Lautsprecher-Ringen fluteten akustische Ereignisse den Saal. Wer sich darauf einlassen konnte, war vor Überraschungen nicht sicher. Chaya Czernowin versteht „Hidden“ als Unterwasserfahrt zu den Ab- oder Urgründen der menschlichen Seele. Das 45-minütige Werk, das im Deutschlandfunk auch auf CD produziert wird, abstrahierte das Festivalthema, weitete ganz zuletzt noch einmal den diesjährigen Forums-Horizont.