Weniger Autos im Stuttgarter Kessel seien nun wichtig, betonte Kuhn im Deutschlandfunk. Mit Elektromobilität müsse man den Sprung nach vorne schaffen. Die Anbieter seien hier in der Pflicht. Autos mit Verbrennungsmotor "haben keine große Zukunft", sagte Kuhn.
Als Gegeninstrumente der momentanen Werte werde in Stuttgart bereits die E-Mobilität gefördert, es würden Jobtickets angeboten und neue Straßenbahnlinien gebaut. "Hier ist ein richtiger Aufbruch da", so Kuhn.
Ein freiwilliges Umsteigen vom Auto auf die Bahn sei nun entscheidend und derzeit auch noch möglich - Fahrverbote seien nicht einfach durchzusetzen. Die Einsicht der Bürger müssten den Verboten vorgeschaltet sein.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Ganz fair ist die Geographie da zugegebenermaßen nicht. Die baden-württembergische Hauptstadt Stuttgart, genauer gesagt Teile davon liegen in einem Kessel, und dort zirkuliert die Luft schlechter als anderswo. Und wenn dann noch eine spezielle Wetterlage dazukommt, wenn Warmluft in höherliegenden Luftschichten die kühlere Luft unten quasi abdeckelt, dann ist die Feinstaubbelastung zum Beispiel am Neckartor, gelegen an einer sechsspurigen Straße, höher als die Polizei erlaubt, oder besser gesagt die EU. Grenzwerte der Europäischen Union für den krank machenden Feinstaub werden in Stuttgart standardmäßig gerissen. Die Stadt versucht, gegenzusteuern mit einem sogenannten Feinstaubalarm. Der gilt seit heute wieder.
Am Telefon begrüße ich den Stuttgarter Oberbürgermeister, den Grünen-Politiker Fritz Kuhn. Schönen guten Morgen.
Fritz Kuhn: Guten Morgen, Frau Schulz.
"Wir bauen den ÖPNV aus, das ist die wichtigste Strategie"
Schulz: Wir haben es gerade noch mal gehört: An 35 Tagen darf dieser Grenzwert von 50 Mikrogramm überschritten werden und im September waren es schon 34. Werden Sie denn unter dieser Grenze bleiben können?
Kuhn: Wir werden die 35 nicht schaffen, weil ein Tag bis zum Ende des Jahres wird nicht gehen. Aber wir haben eine Chance, dass wir es im nächsten Jahr schaffen, denn die Werte auch an dieser einen Stelle, die noch darüber ist, werden ja Jahr für Jahr besser. Und es kommt auf das Paket der Gegenmaßnahmen an, die wir machen. Zum Beispiel der Feinstaubalarm ist ja nichts anderes als ein ganz präzises Instrument, wo wir zwei Tage vorher festlegen können mit dem Deutschen Wetterdienst, jetzt wird es kritisch, und dann treten Maßnahmen ein, zum Beispiel das Feinstaub-Ticket zum halben Preis, das Sie vorher im Beitrag auch erwähnt hatten. Und ganz wichtig ist natürlich, dass wir Job-Tickets schaffen. Selbst unsere Autofirmen Porsche und Daimler haben jetzt ein Job-Ticket mit eingeführt, nicht nur die Stadt und andere Unternehmen. Und dann bauen wir den ÖPNV aus, das ist die wichtigste Strategie.
Schulz: Herr Kuhn, aber wir haben ja trotzdem die Situation, diese Grenzwerte, diese europäischen, die sind jetzt Jahr für Jahr immer wieder gerissen worden. Sie melden sich jetzt mit freundlichen Appellen an die Bürger. Darf ich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass in einem grün regierten Baden-Württemberg, in einem grün regierten Stuttgart, dass da trotzdem der Satz aber noch stimmt, Autofahren ist wichtiger als gute Luft?
Kuhn: Nein, das dürfen Sie nicht. Das wäre eine Übertreibung. Wir haben ja auch eine klare Ansage. Freiwillig Fahrverzicht und freiwilliges Umsteigen, das geht jetzt noch im nächsten Jahr. Wenn bis dahin die Grenzwerte nicht eingehalten werden, dann wird es zu Fahrverboten kommen. Das liegt schon fest. Und was wir gegenwärtig eigentlich machen ist: Es wäre ja besser, wenn es freiwillig gelingt. Und ich glaube auch, dass die Leute mitmachen. Das kann man ja in Ihrem Beitrag auch schon sehen, dass viele ins Nachdenken gekommen sind. Also klar ist: Wenn es im nächsten Jahr 2017 nicht besser wird, dann geht es nur mit Verboten. Dann muss das Land Verbote entscheiden, wie die gehen sollen. Das ist rechtlich gar nicht so einfach. Und im Übrigen ist wichtig, dass das Bundesverkehrsministerium die Länder systematisch im Stich lässt, auch bei der blauen Plakette. Von dem geht es ja aus, dass noch keine Mehrheit da ist. Die Städte in Deutschland, das gilt für Düsseldorf und München und Hamburg genauso wie für Stuttgart, die haben es eigentlich satt, dass im Bund über die EU Grenzwerte besprochen werden und es gibt dann keine Unterstützung für die Gemeinden und wir müssen es ausbauen. Der Bund muss sich da auch deutlich bewegen.
"Wir machen an allen Ecken und Enden Maßnahmen"
Schulz: Sie sprechen jetzt über das, was Sie nicht erreichen konnten. Ich würde jetzt, weil Sie Oberbürgermeister sind in Stuttgart, lieber darüber sprechen, was Sie machen könnten, und da horche ich schon auf, dass Sie sagen, wir warten das jetzt mal ab. Wenn das im Jahr 2017 nicht besser werden sollte, dann kommt das Verbot 2018 (Sie sind ja partiell dazu gerichtlich sowieso auch verpflichtet am Neckartor). Da frage ich mich schon: Sie haben in Stuttgart ein Verkehrsaufkommen, das in der Menge eigentlich so gut wie unverändert ist, was diese Kesselrandmessung gezeigt hat, und es sind in Stuttgart heute sogar mehr Autos als in den letzten Jahren. Wie kommen Sie denn darauf, dass die Feinstaubbelastung dann freiwillig sinkt?
Kuhn: Das haben wir geerbt von der Siedlungsentwicklung der letzten Jahre und der städtebaulichen Entscheidungen. Aber das, was Sie da heraushören nach dem Muster, es sei egal, wir warten jetzt mal ab, das ist eine völlige Fehleinschätzung. Wir müssen mal gucken, was hier los ist. Wir machen an allen Ecken und Enden Maßnahmen, wir fördern die Elektromobilität, wir haben gigantischen Zuwachs beim ÖPNV über die Job-Tickets und über sonstige Maßnahmen. Unser ÖPNV wächst seit drei Jahren, seit ich OB bin, seit vier Jahren mit über drei Prozent pro Jahr. Wir bauen neue Stadtbahn-Linien, die haben wir eröffnet. Wir machen bessere Vertaktungen. Hier ist ein richtiger Aufbruch da. Nur müssen Sie sich vorstellen: Ein Fahrverbot ist natürlich für eine Stadt, in der extrem viele Arbeitsplätze sind, in der extrem viel Handel ist, auch keine einfache Veranstaltung. Das heißt: Der Versuch, wir machen es freiwillig, weil die Bürger es einsehen, dass es so nicht weitergeht, der muss Verboten vorgeschaltet sein, und das ist das, was ich mache.
Schulz: Herr Kuhn, stimmt denn der Satz, weniger Autos sind besser als mehr Autos?
Kuhn: Na ja, der Satz stammt ja vom Ministerpräsidenten, den er mal gesagt hat. In einer Automobilstadt, wo Autos produziert werden, sicher kein Vergnügen, aber ich würde sagen, weniger Autos im Stadtinneren, in diesem berühmten Stuttgarter Kessel, sind besser. Und dann kommt es natürlich noch darauf an, dass die Antriebstechnik richtig ist. Elektromobilität wie in dem Beitrag vorhin die Frau mit dem Elektro-Zweitwagen ist natürlich viel besser für die Stuttgarter Luft, und deswegen schauen wir auch, dass wir mit Elektromobilität einen Sprung nach vorne machen können. Ich würde mir wünschen, dass die Automobilhersteller überall in Deutschland noch schneller zu guten Angeboten kommen, dass man die Fahrzeuge auch vernünftig kaufen kann. Aber jedenfalls schauen wir, dass wir die Situation in Stuttgart auf diese Art und Weise in den Griff kriegen.
"Der Verbrennungsmotor in der klassischen Art und Weise hat keine große Zukunft"
Schulz: Wenn Sie das so schildern, den Fokus auf Elektromobilität zu setzen, dann teilen Sie auch die Forderung der Grünen im Bund, wonach ab 2030 ja Autos mit Verbrennungsmotor ganz verboten werden sollen?
Kuhn: Ich glaube, dass es so kommen wird. Ob das das Jahr _30 ist oder nicht, kann man jetzt noch nicht sagen. Aber der Verbrennungsmotor in der klassischen Art und Weise hat keine große Zukunft meines Erachtens. Sie müssen ja sehen: Überall auf der Welt in den großen Metropolen, in China, in Indien, in Sao Paulo, wo auch immer, haben wir gigantische Luftprobleme, und ich sage industriepolitisch: Wer als erstes die besten Fahrzeuge zu einem vernünftigen Preis anbietet, der macht in der Zukunft den Schnitt. Das ist ja für eine Autostadt wie Stuttgart nicht unerheblich, dass man den Strukturwandel jetzt anpacken muss. Da ist die städtische Politik ein Beitrag dazu, weil wir das fördern mit allen Möglichkeiten, die wir haben.
Schulz: Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass die Elektromobilität diesen entscheidenden Sprung machen wird, den sie jetzt schon seit Jahren, seit Jahrzehnten nicht macht, weil es von den Verbrauchern kaum angenommen wird?
Kuhn: Na ja, weil vor allem bei den Stickoxiden, was vom Auto verursacht wird, also den schwierigen Schadstoffen, es nicht weitergeht mit dem klassischen Verbrennungsmotor. Deswegen brauchen wir da Alternativen. Man hätte vielleicht besser schneller fördern müssen, vieles andere mehr, aber viele Automobilhersteller haben auch gedacht, ach das wird nicht so wild, da warten wir noch ein bisschen, und jetzt sehen sie doch, dass man es tun muss. Auf den Automessen wird ja ein Prototyp nach dem anderen dargestellt. VW tut jetzt so, als hätten sie schon seit langem das vorgehabt, und vieles andere mehr. Die Elektromobilität wird kommen, weil sie stickoxidfrei ist, jedenfalls dann, wenn der Strom aus erneuerbaren Energiequellen getankt wird. Und die Tankstellen, die wir in Stuttgart aufgestellt haben, da gibt es nur regenerativen Strom, da gibt es nicht den Strommix, wo auch noch Kohlestrom oder Atomstrom drin ist.
"Die blaue Plakette wäre ein ideales Instrument"
Schulz: Jetzt sagen Sie es uns noch mal, einfach weil Sie die Frage eben offengelassen haben. Für den Fall, den Sie zwar für unwahrscheinlich halten oder so schildern, dass die Elektromobilität sich doch nicht Kraft ihrer Überzeugungsstärke durchsetzen kann, nicht freiwillig sich an die Pool Position setzt, wollen Sie dann das Verbot ab 2030 für Verbrennungsmotoren?
Kuhn: Ich weiß nicht, ob die Diskussion über 2030 jetzt sinnvoll ist. Ich sage Ihnen klar: Wenn die Automobilindustrie keine Motoren produziert, ob Elektromotoren oder wasserstoffgetriebene Fahrzeuge, mit denen sich die Schadstoffe einhalten lassen, dann wird es keine Zukunft geben.
Schulz: Ich versuche, die Frage herauszuarbeiten, wie die grüne Verkehrs- und Automobilpolitik aussieht, und jetzt gibt es ja diese Forderung aus Berlin ganz klar. Und wenn ich Ihre Antworten jetzt höre, Ihr sich nicht festlegen wollen, ist es dann so, dass die Grünen in Baden-Württemberg einfach deswegen auch sehr erfolgreich sind, weil sie da einfach keine grüne Politik machen?
Kuhn: Das ist eine Aussage oder eine Fragestellung, die ich nur zurückweisen kann. Wir sind erfolgreich, weil wir grüne Politik machen, und grüne Politik heißt natürlich auch, dass wir uns um Nachhaltigkeit kümmern. Das heißt, dass wir wirtschaftliche Fragen und ökologische Fragen zusammendenken. Deswegen spreche ich auch vom Strukturwandel der Industriegesellschaft, in unserem Fall der Automobilindustrie. Und die blaue Plakette wäre ein ideales Instrument, diesen Strukturwandel in die richtige Richtung zu lenken.
Schulz: Der Stuttgarter Oberbürgermeister und Grünen-Politiker Fritz Kuhn heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.