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Felicitas Hoppe: Bücher sind wie Brot

Autorin Felicitas Hoppe empfiehlt das Lesen von Märchen. In den Geschichten würden sehr viele Problemlösungsstrategien angeboten, "und das ist eine tolle Sache". "In diesem Sinn ist ein Buch ein Lebensmittel wie ein Stück Brot", sagte Hoppe.

Moderation: Elke Durak | 14.03.2008
    Elke Durak: Es soll also ums Lesen gehen, wie eben besprochen. Da hätte ich eine Frage: Sind Bücher Lebensmittel oder Luxusartikel? Eine Antwort hätte ich auch: Das kommt auf das Bedürfnis an und den Geldbeutel. Also sind Bücher Bedarfsartikel.

    Und der Bedarf scheint zu steigen. Buchhändler verkaufen gut. Lesefeste wie "Leipzig liest" jetzt gleichzeitig zur Buchmesse in Leipzig werden bestens besucht - und das alles trotz Fernseh- und Computer-Konkurrenz. Oder läuft beides parallel für jeweils andere Bevölkerungsschichten? Für die mit Grips Bücher, für die anderen Glotze? Das klingt hart und das ist es auch. Die Bildungsdebatte lässt grüßen. Eine Zahl nur: 50 Prozent aller Eltern lesen ihren Kindern nicht mehr vor. Auch das ist Deutschland.

    Als Buch auch zum Vorlesen wird "Iwein Löwenritter" empfohlen. Die Autorin ist Felicitas Hoppe. Ich habe sie auf der Buchmesse in Leipzig erreicht und zunächst gefragt, weshalb man "Iwein Löwenritter" kennenlernen sollte?

    Hoppe: Ich finde "Iwein Löwenritter" sollte man kennenlernen, weil er kein Ritter aus fernen Zeiten ist, sondern ein junger Mann, der Abenteuer sucht, und dabei allen möglichen Dingen begegnet, denen man in unserem heutigen Leben auch begegnet. Er erlebt Liebe, er erlebt Unglück, er ist auf die Hilfe anderer angewiesen, er versucht Gutes zu tun - manchmal klappt es, manchmal nicht. Das sind ja keine alten Themen, sondern eigentlich sind das Geschichten von heute.

    Durak: Frau Hoppe, Sie haben ja immer in Ihren Büchern Geschichtliches mit Gegenwärtigem so verwoben, dass etwas ganz anderes herausgekommen ist. Sind Sie Fantasy-Schriftstellerin?

    Hoppe: Nein. Ich glaube nicht, dass ich Fantasy-Schriftstellerin bin, weil ich eigentlich gar nichts erfinde. Ich erzähle doch eher Geschichten, die manchmal mit historischen Kostümen daher kommen, aber Ritter hat es gegeben, die Liebe hat es immer gegeben. Es gibt den Wald, es gibt auch noch Löwen. Ich erfinde also keine anderen Welten, auch keine Paralleluniversen, sondern bei mir spielt alles hier und heute, und so ist es auch bei Iwein. Zum Beispiel heißt das Land, in dem die meisten Abenteuer stattfinden, "das Land nebenan". Das heißt, man braucht nur über die Schwelle zu gehen, und dann ist man im Land der Abenteuer.

    Durak: Aber Sie spiegeln doch nicht einfach nur wieder?

    Hoppe: Ich spiegele nicht nur wieder. Ich denke, man kann die Gegenwart oder was wir sehen und erleben überhöhen. Wir laufen ja auch nicht mehr in Ritterrüstungen herum. Aber ich denke, die Vorlage ist immer die Wirklichkeit, wie sie ist, und die Menschen mit ihren Gefühlen.

    Durak: Was, Frau Hoppe, können denn junge Menschen von heute aus Ihren Büchern lernen, wenn sie unter folgendem Druck stehen: Sie sollen leistungsbereit sein, leistungsfähig von Kindesbeinen an. Das Leben wird durchorganisiert, dass eins ins andere passt. Möglichst wenig Fehler sollen gemacht werden, immer weiter, weiter.

    Hoppe: Na ja, ich habe ja kein Programm, kein Erziehungsprogramm. Ich glaube es geht darum, dass man durch das Lesen lernen kann zu verstehen, dass alles seinen Platz hat, nämlich dass man Dinge versucht, dass man Rückschläge erleiden muss, dass man die Dinge trotzdem wieder versucht, dass es wichtig ist, Freundschaften zu pflegen, dass man Dinge ausprobieren muss und dass man auch mal schlafen und müde sein darf. Das kommt eigentlich alles in dieser Geschichte vor. Das finde ich wichtig.

    Durak: Ist das der Sinn von Büchern?

    Hoppe: Ich glaube der Sinn von Büchern ist, dass man sich selbst in ihnen wiederfinden kann und dass man etwas findet, was einem noch nicht bekannt ist, also dass man sich in den Büchern spiegelt, aber mit Hilfe der Bücher auch andere Möglichkeiten entdeckt. Deshalb sind ja Bücher langweilig, in denen sich eigentlich alles immer nur wiederholt. Dasselbe trifft auch auf Spiele zu oder auf was auch immer. Also es muss sich ein Raum öffnen, der einem unbekannt ist und den man Lust hat zu betreten und kennenzulernen, glaube ich.

    Durak: Haben Sie den Eindruck, Frau Hoppe, dass die Lust am Lesen zurückkehrt hier in Deutschland?

    Hoppe: Ich glaube ehrlich gesagt, dass die Lust am Lesen nie verschwunden ist. Ich bin da nicht kulturpessimistisch. Was mich ein bisschen bedrückt ist die Unmenge der Bücher und vor allem das schnelle Verschwinden der Bücher. Deshalb freue ich mich, wenn alte Bücher oder alte Themen wieder kommen. Aber es wird doch viel gelesen. Das ist so ein Eindruck. Hier auf der Messe hat man natürlich eher den Eindruck, es wird geblättert, es wird gesammelt. Leute kommen auch, weil hier halt ein bisschen Party ist. Aber das ist eigentlich nicht zu verurteilen. Und natürlich ist es ein großes Geschäft.

    Was ich tatsächlich glaube, ist in der Tat, dass die Bücher nicht mehr so ein Kommunikationsmittel sind im Sinn der Gemeinschaft, des Sich-Vorlesens und so weiter und so fort. Das hat natürlich seine Gründe. Um sich gegenseitig Bücher vorzulesen, braucht man Zeit.

    Durak: Und Bücher.

    Hoppe: Und Bücher, die passenden Bücher, ja.

    Durak: Weshalb wird außerdem nicht so viel gelesen, vorgelesen?

    Hoppe: Ich denke, dass es unheimlich viele Ersatz-, nicht Ersatz, klingt jetzt beurteilend, es gibt einfach Unmengen anderer Medien. Es gibt natürlich die Filme, wobei es ja auch gute und schlechte Filme gibt, wie es auch gute und schlechte Bücher gibt. Es ist ja das Buch als Medium per se nicht einfach gut. Auch da muss man Unterscheidungen treffen, und ich denke, dasselbe gilt für den Film und für all die anderen Medien, die man zur Verfügung hat.

    Es gibt ja auch andere Dinge, die man tun sollte. Man sollte auch rausgehen. Man sollte auch Menschen treffen.

    Durak: Ritterspiele veranstalten für die Kinder zum Beispiel.

    Hoppe: Das wäre so eine Frage. Ich glaube ja ehrlich gesagt, die Kinder sind gar nicht ohne Unterlass auf uns angewiesen. Es ist vielleicht manchmal so, dass das Problem ein Überangebot ist und nicht ein Unterangebot, weil man aus einem Mangel natürlich manchmal eigene Fantasien und Möglichkeiten entwickelt, sich zu beschäftigen.

    Durak: Also gibt es zu viele Bücher und deshalb zu wenig Fantasie, zu viele andere Eindrücke?

    Hoppe: Ich glaube, das alles ist nicht das Problem. Die Fülle ist nicht das Problem. Das Problem ist doch klassischerweise das Unterscheidungsvermögen. Wie lerne ich, mir aus dem eigentlich wunderbaren großen Angebot das herauszusuchen, was ich brauche? Wie schaffe ich es, der Manipulation zu entgehen? Wie finde ich heraus, welches Buch zu mir passt? Das, glaube ich, ist schwierig. Und wenn man das lernen könnte oder lehren könnte, das wäre durchaus hilfreich. Wie das genau gehen könnte, weiß ich nicht, denn da muss man Mut haben auch zu sagen, nein, dieses Buch finden eine Million Menschen gut, aber mir gefällt es nicht, ich suche mir ein anderes.

    Durak: Dann muss man es aber schon gelesen haben oder jemanden, der es einem empfiehlt. Noch einmal gefragt: Bücher für die einen, Glotze für die anderen?

    Hoppe: Nein. Ich würde sagen, es geht um eine Kommunikation, und es geht natürlich auch um Vertrauen. Habe ich Leute, auf deren Urteil ich vertraue - Sie haben es ja gerade erwähnt -, die mir Bücher empfehlen können und deren Empfehlungen ich auch wirklich folgen mag? Das hat damit zu tun, mit wem ich umgehe. Das hat natürlich etwas damit zu tun, was empfehlen mir meine Freunde, meine Eltern, was empfehlen die Lehrer? Wenn diese Empfehlungen sich als fruchtbar erweisen, dann wird man auf die ja auch immer wieder zurückgreifen.

    Durak: Sind Bücher Mittel zum Leben?

    Hoppe: Bücher sind beides. Ich behaupte für mich ja. Ich weiß zum Beispiel, dass ich, wenn ich schlechte Laune habe oder einen schlechten Tag hatte - das klingt jetzt sehr simpel -, tatsächlich nach Hause gehe und ein Grimmsches Märchen lese. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich fühle mich immer besser.

    Durak: Weil es den anderen noch schlechter geht als Ihnen?

    Hoppe: Nein, nein, weil man im Märchen lernt, dass es weitergeht und dass man Schwierigkeiten überwinden kann. Ich delektiere mich ja nicht am Unglück anderer, sondern ich glaube, dass gerade in scheinbar märchenhaften Geschichten sehr viele Problemlösungsstrategien angeboten werden, und das ist eine tolle Sache. Das inspiriert und in diesem Sinn ist ein Buch ein Lebensmittel wie ein Stück Brot, manchmal auch wie ein Glas Wein, ein gutes Getränk.

    Durak: Felicitas Hoppe, Schriftstellerin. "Iwein Löwenritter" ist ihr jüngstes Buch. Man munkelt, es wird auf der Messe ausgezeichnet. Frau Hoppe, wir drücken sehr die Daumen, und ich bedanke mich auch sehr für dieses Gespräch. Einen schönen Tag noch.

    Hoppe: Ja, gleichfalls.