Stefan Koldehoff: Tatsächlich spielt Nationalismus - das hat sich gestern auf schreckliche Weise gezeigt - in Europa eine immer größere Rolle: Polen, Ungarn, Dänemark, Österreich, Schweiz, Frankreich, die Niederlande – und auch Deutschland ist da keine Ausnahme. Eine neue Studie der Uni Münster belegt nun, dass junge Menschen mit türkischen oder kurdischen Wurzeln, die bei uns leben und Deutsche sind, sich zwar integriert fühlen – aber auch (Stichwort Nationalismus) nach wie vor im Abseits. Ihre religiöse Identität spielt für sie deshalb eine größere Rolle als noch für ihre Eltern, was aber wiederum nicht bedeutet, dass ihnen dabei die Befolgung der Regeln ihrer Religion besonders wichtig wäre.
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu hat in seinem allerersten Buch vor 20 Jahren, "Kanaksprak" hieß es, die Kultur türkischstämmiger Männer beschrieben, und er begleitet dieses Thema seither. "Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt", das sagt nun heute, zwei Jahrzehnte später in der Münsteraner Studie, 54 Prozent der Befragten. Mit der Türkei, der Heimat ihrer Eltern, identifizieren sich der Umfrage zufolge aber auch nicht mehr viele von ihnen. Wie kommt das, Herr Zaimoglu?
Feridun Zaimoglu: Sie haben das Stichwort geliefert: die Eltern. Die Eltern sind meistens Gastarbeiter der ersten Generation beziehungsweise dann auch in Folge doch in einiger Anbindung gewesen an die heimatliche Kultur, die hier in der Diaspora konserviert wird. Die Menschen konservieren bestimmte Momente der heimatlichen Kultur und haben Idealvorstellungen. Ich glaube, viele junge Deutschtürken sprechen von der eigenen Kultur, und wenn man sich diese Kultur allerdings anschaut oder diese Vorstellung von Kultur, so stößt man hier auf einzelne Brocken, auf Behauptungen, die mit der kulturellen Landschaft in der Türkei jetzt nicht so sehr zu identifizieren sind.
"Wir sprechen von einem Land mit großartigen Möglichkeiten"
Koldehoff: Auf der anderen Seite der zentrale Satz, den 54 Prozent der Befragten in dieser neuen Münsteraner Studie unterschreiben würden: "Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt." Wenn ich dazu jetzt das nehme, was Sie gerade über das Verhältnis zur Türkei beschrieben haben, dann hängen diese Menschen nach wie vor im Niemandsland.
Zaimoglu: Wenn ich das höre, ich kann mich anstrengen wie ich will, aber ich werde nicht angenommen, das nehme ich den Leuten dann nicht so richtig ab. Man muss genau hinschauen, ob die Menschen, die fremdstämmigen, tatsächlich sich vielleicht kurz in den deutschen Szenen aufhalten und dann wieder zurück in die konservierte Heimatkultur, in das Elternhaus zurückkehren, sich unter ihresgleichen bewegen, oder ob da eine tatsächliche Verankerung ist. Noch einmal: Wir sprechen von Deutschland. Wir sprechen von einem Land mit großartigen Möglichkeiten. Wir sprechen von einem Land, in dem man in seiner Eigenart und Eigenheit schon belassen wird bis zu einer bestimmten Grenze. Ich sage das als Arbeiterkind. Man soll sich jetzt mal nicht so anstellen und man soll auch, bitte schön, fernab von dieser Gefühligkeit den Mut aufbringen zu sagen, ich bin Deutscher und Deutschland ist mein Land. Das klingt bekenntnishaft, ist aber der Biographie, dem eigenen Leben, den Fakten verschuldet.
Koldehoff: Dann könnten wir auch endlich auf das in der Tat sehr merkwürdige Wort von der Integration verzichten, oder?
Zaimoglu: Ja! Ich bevorzuge das Wort, weil Integration geht mir nicht weit genug. Man kann doch, bitte schön, auch von Heimatliebe reden. Man kann davon reden, wenn es einem dann zu pathetisch klingt, dass man in seinem eigenen Land ist, dass man nicht auf fremdem Boden ist. Ich glaube zum Beispiel, wenn die Deutschtürken sagen, sie seien religiös einerseits, und andererseits sagen, nein, sie halten sich jetzt an die Gebote und Verbote, so zeugt das doch davon, von dieser, von mir sehr geschätzten deutschen pragmatischen Art. Und ich glaube, es ist unser Land. Das sagen wir, das sollten wir sagen und wir sollten, glaube ich, auch nicht jenen Gehör schenken, die dann maulen und jammern und davon sprechen, dass sie nicht angenommen werden. Es ist nun mal so: Jeder Mensch, egal welcher Herkunft, kann ein Lied von den Alltagssorgen, von den Kämpfen im Alltag sprechen. Also sage ich das als Arbeiterkind mit Verlaub: Maul halten, sich gut fühlen und das eigene Land lieben, und das ist Deutschland.
Koldehoff: Und eigentlich seid ihr schon deutscher, als ihr euch das selbst eingestehen wollt. Tut’s doch endlich?
Zaimoglu: Ja! Tut es und sprecht es aus, und was verliert ihr denn. Um Gottes Willen, es hat sich so vieles geändert und das Leben ist stärker als jedes Fremdwort, ist stärker als jede Lebenslüge, ist stärker als jede Theorie und jede These. Wer Augen hat, der schaue hin und stelle fest: Wir sind wirklich gut gelaunt und gut gestimmt hier in Deutschland. Und bitte das im Auge behalten und nicht irgendeine verquollene Ethnogefühligkeit bevorzugen. Das ist recht lügnerisch.
Koldehoff: … sagt Feridun Zaimoglu - vielen Dank - den türkisch- und kurdischstämmigen Menschen in Deutschland.
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