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Festival "Männlich Weiß Hetero"
Was es bedeutet, privilegiert zu sein

Trotz aller Bemühungen um Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung: Den Ton in der Gesellschaft geben weiße, heterosexuelle Männer an. Sie stehen nun im Zentrum des Theaterfestivals "Männlich Weiß Hetero", in dem das Hebbel am Ufer in Berlin Produktionen zeigt, die männliche Privilegien hinterfragen.

Von Oliver Kranz |
    Die Symbole für das männliche und weibliche Geschlecht sind im LWL-Museum für Naturkunde in Münster (Nordrhein-Westfalen) in der Ausstellung "Sex und Evolution" zu sehen.
    Weiße Hetero-Männer sind in der Übermacht (dpa / picture alliance / Friso Gentsch)
    In der Produktion "Paraiso" hat die Frau die Hosen an. Marlene Monteiro Freitas trägt ein Torerokostüm und schickt mit herrischen Gesten vier Männer hin und her.
    "Diese Vorstellung macht einfach ein Spiel mit der allgemeinen Zuordnung: Männer führen, haben die Macht, schicken Leute herum. Und sie sagt: Nein, nein. Ich als junge schwarze schöne Frau werde das mal machen mit Männern. Diese Umdrehung finde ich sehr reizend", sagt Annemie Vanackere, die Leiterin des Festivals. Sie will Rollenbilder hinterfragen. Weiße, heterosexuelle Männer haben in westlichen Gesellschaften seit Jahrhunderten die Macht. Sie müssen nicht um ihre Rechte kämpfen, wie Frauen, Schwule oder Menschen anderer Hautfarbe. Was sie tun, gilt ohnehin als Norm. Der erste Schritt, das zu ändern, ist, es sich bewusst zu machen. Annemie Vanackere verwendet das Label "MWH" - "Männlich Weiß Hetero": "Es ist natürlich ein bisschen provokativ, aber auch spielerisch gemeint. Also nicht Finger zeigen, sondern: Was bedeutet es, gelabelt zu werden und was bedeutet es, privilegiert zu sein."
    "Straight White Men" von Young Jean Lee
    MWH ist letztlich ein Festival über Privilegien. Jeder, der Macht und Einfluss hat, kann sich angesprochen fühlen, doch weiße Heteromänner stehen im Zentrum des Programms. Sie tauchen auch im Titel der Produktion "Straight White Men" der New Yorker Theatermacherin Young Jean Lee auf. Drei Söhne, die alle um die 40 sind, treffen sich zu Weihnachten bei ihrem Vater. Einer der drei hat nicht die Karriere gemacht, die die anderen von ihm erwartet hätten. Darum kreisen die Gespräche. Dabei ist der Mann nicht unglücklich, sagt Lee:
    "Das Stück beschäftigt sich mit der Situation, in der wir uns gerade befinden - mit unserer Obsession, persönlich Erfolg zu haben. Wir alle benutzen unsere Ellenbogen - nicht nur die weißen Heteromänner. Der Fluch dieser Männer ist, dass man von ihnen erwartet, dass sie Erfolg haben. Sie genießen die größten Privilegien und haben es leichter als andere. Wenn sie versagen, ist das für sie viel schmachvoller, als für Angehörige anderer Gruppen."
    Young Jean Lee, die von der "New York Times" als experimentierfreudigste Theatermacherin ihrer Generation beschrieben wird, hat ein erstaunlich konventionelles Stück geschrieben: Drei Akte, lineare Handlung, witzige Dialoge. Wer beim weihnachtlichen Familienstreit die Oberhand behält, das ändert sich mehrfach, so Lee:
    "Ich frage mich immer, welche Erzählweise und welches Thema mir am wenigsten liegen und genau in diese Richtung gehe ich dann mit meiner Produktion. Ich habe mein ganzes Leben nichtlineares, experimentelles Theater gemacht, deshalb habe ich jetzt ein traditionelles Stück in drei Akten inszeniert. Wenn man seine eigenen Widerstände überwindet, entdeckt man als Künstler etwas Neues."
    Young Jean Lee war bei der Premiere verblüfft, wie gut die konventionelle Erzählweise beim Publikum ankam, daher hat sie inzwischen Widerhaken eingebaut - und ein überraschendes Ende, bei dem nicht nur die weißen Hetero-Platzhirsche ihr Fett weg bekommen.
    Genau hinschauen ohne Vorurteile
    Die Aufführungen des Festivals sollen verstören, aber auch Spaß machen, sagt Annemie Vanackere. Sie hat auch die Produktion "sexyMF" von Ana Borralho und Joao Galante eingeladen. Die Zuschauer werden nackten Performern gegenübersitzen, bei denen nicht so ganz klar ist, ob sie Männer oder Frauen sind. Annemie Vanackere:
    "Die Einladung ist, mal genau zuzuschauen. Ich glaube, das könnte man übertragen zum ganzen Festival und zum HAU. Was wir versuchen, ist: Lass uns genau schauen, ohne vorab ein Urteil zu haben."
    Der Elektropopper Jens Friebe hat eine Revue zusammengestellt, die ganz am Ende des Festivals auf dem Programm steht. Weiße Heteromänner singen über ihre Nöte und Ängste - auch Friebe selbst. Er arbeitet an einem neuen Song, speziell für das Festival.
    "Der Refrain heißt: 'Ich schaue Sportschau und trinke Bier, schlafe nur mit Frauen, nenn mich queer.'"
    Friebe nimmt Männer aufs Korn, die sich mit den Etiketten von Minderheiten schmücken, mit denen sie eigentlich nichts zu tun haben. Ihn nervt das:
    "Ich glaube, dass die Konsequenz ist, dass wenn man gar nicht mehr darüber sprechen kann, wer mit wem bevorzugterweise schläft, dazu führt, dass bestimmte Probleme, bestimmte Ausschlussmechanismen, auch nicht mehr verhandelt werden, und dass man als der weiße Hetero, der sowieso schon überall vorn dran ist, sagt: Ich bin auch da. Ich bin auch ein schräger Vogel, obwohl ich nichts mache, als das Allernormalste."
    Und natürlich wird in Friebes Revue auch eine Band auftreten, die sich halb im Scherz "Der Mann" nennt.
    "Das ist ein Projekt von den Gründungsmitgliedern der Türen. Die haben sozusagen einen gemorphten Durchschnittsmann rechnerisch ermittelt - den mittelalten, mittelschweren, mittelreichen Mann. Das ist sozusagen der ideelle Gesamtmann, der da zum Singen kommt."
    Spätestens wenn dieser Song ertönt, wird klar sein, dass die Etiketten männlich, weiß und hetero allein auch nicht glücklich machen. Doch um Glück geht es beim MWH-Festival auch nicht. Das Programm richtet den Blick auf die Privilegien einer nicht ganz unerheblichen gesellschaftlichen Gruppe.