Groß war die Enttäuschung über die Eröffnung dieses politisch wichtigen Berliner Festivals. Was die spanische Radikal-Performerin Angélica Liddell da präsentierte, war alles andere als künstlerisch furios. Es glich eher einem routinierten Griff in die Mottenkiste des Performance-Theaters. Schon der kryptische Titel klang verdächtig nach Bedeutungshuberei: "Toter Hund in der Chemischen Reinigung: die Starken" nennt sich das Stück, in dem Liddell eine Horrorvision für Europas Zukunft herbei fantasiert. Der Kontinent hat sich abgeschottet, alle Feinde von außen sind umgebracht. Man lebt im Zeitalter der vermeintlichen Sicherheit. Doch die Angst bleibt. Und das Monströse in den Menschen sucht sich andere Ventile. Jetzt bringen sie sich gegenseitig um – oder sie töten aus purer Mordlust einen Hund in der Reinigung. Liddell zitiert dazu Diderot und Rousseau und versteigt sich zu der fragwürdigen These, in der französischen Aufklärung liege schon die Ursache für das heutige Europa, das sich gegen Flüchtlinge abriegelt.
Nur Pseudo-Provokationen bei Angélica Liddell
Liddell, die sich früher live die Beine blutig schnitt und öffentlich masturbierte, steht hier nicht selbst auf der Bühne. Zum ersten Mal hat sie eine Inszenierung mit einem deutschen Ensemble erarbeitet. Die sechs Schaubühnen-Schauspieler können allerdings jene exzessiven Ausbrüche der Performerin, ihre Bereitschaft, über Grenzen zu gehen, nicht annähernd imitieren. Zu sehen sind deshalb nichts als Pseudo-Provokationen: Die Schauspieler schreien sich fast drei Stunden lang an, zerschlagen Stühle, wühlen im Dreck, beschimpfen das Publikum und strecken den Zuschauern den nackten Hintern entgegen:
"Weil ich unfähig war, der beste Sklave zu sein. Weil ich unfähig war, einmal mehr, wie von mir verlangt, den Arsch hinzuhalten. Schlimmer als Sklave zu sein, heißt nichts im Bauch zu haben. Aus diesem Grund hab ich den Scheiß-Schauspielervertrag unterschrieben. Und dann, dann werde ich sagen: Der Hauptpunkt im Leben ist doch nur, frei, leicht, angenehm und ausgiebig alle Abende auf dem Nachtstuhl zu sitzen. Oh kostbare Kotung!"
"Weil ich unfähig war, der beste Sklave zu sein. Weil ich unfähig war, einmal mehr, wie von mir verlangt, den Arsch hinzuhalten. Schlimmer als Sklave zu sein, heißt nichts im Bauch zu haben. Aus diesem Grund hab ich den Scheiß-Schauspielervertrag unterschrieben. Und dann, dann werde ich sagen: Der Hauptpunkt im Leben ist doch nur, frei, leicht, angenehm und ausgiebig alle Abende auf dem Nachtstuhl zu sitzen. Oh kostbare Kotung!"
Richard Nelson inszeniert ein naturalistisches Kammerspiel
Ein größerer Kontrast als der zwischen Liddells ausgelaugter Effekt-Show und der zweiten großen Produktion des Festivals, den wachen, leisen Konversationsstücken von Richard Nelson, lässt sich kaum denken. Der Amerikaner begleitet in seiner Trilogie "The Gabriels: Election Year in the Life of One Family" eine fiktive Mittelstandsfamilie durch das Präsidentschaftswahljahr 2016 – bis hin zur Stimmabgabe für Hillary Clinton am 8. November. Nelson inszeniert die Geschichte der traditionell demokratisch wählenden Familie als naturalistisches Kammerspiel. Die Gabriels kochen in Echtzeit ein Abendessen auf der Bühne und sprechen übers Gemüseschnippeln, über Kochbücher und über die reichen New Yorker, die den kleinen Vorort Rhinebeck, in dem sie leben, immer mehr zu einem überteuerten Luxus-Wohnort machen. George Gabriel, in Rhinebeck geboren, kann über die Überheblichkeit der Städter, die das "authentische Landleben" und die Menschen dort so wahnsinnig "süß" finden, nur den Kopf schütteln.
"How cute we are. How cute this village is and all it’s people. And so unreal. And she is from gritty, real Manhatten and she comes up here and it’s quiet and still and so scary. Too clean, it’s too pretty!"
Auch wenn die Gabriels in ihrer Küche viel Triviales von sich geben und man vergeblich auf die großen politischen Auseinandersetzungen um Trump und seine Anhänger wartet – Richard Nelson porträtiert hier doch mit viel Gespür die Verlierer von Gentrifizierung und Globalisierung. Der lange Abend lohnt.
"How cute we are. How cute this village is and all it’s people. And so unreal. And she is from gritty, real Manhatten and she comes up here and it’s quiet and still and so scary. Too clean, it’s too pretty!"
Auch wenn die Gabriels in ihrer Küche viel Triviales von sich geben und man vergeblich auf die großen politischen Auseinandersetzungen um Trump und seine Anhänger wartet – Richard Nelson porträtiert hier doch mit viel Gespür die Verlierer von Gentrifizierung und Globalisierung. Der lange Abend lohnt.