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Flowmachines
Melodien weiter denken

Die Musik der Zukunft wird unter anderem in Paris gemacht. Dort beschäftigt sich ein Forscher mit dem Geheimnis der künstlerischen Kreativität. Mit seinem Team arbeitet er an Programmen, die vorhandene Melodien und auch Texte selbst weiterführen und verändern können.

Von Suzanne Krause |
    Ein Soundkünstler improvisiert Klangskulpturen mit Mischpult und Computer.
    Ein Soundkünstler improvisiert Klangskulpturen mit Mischpult und Computer. (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    In seinem kleinen Büro pendelt François Pachet auf dem Drehstuhl hin und her. Rechts am PC aktiviert er mit einigen Mausklicks die Software. Der Forscher, Jazzmusiker in seiner Freizeit, wirbelt nach links und improvisiert einige Takte auf dem Midi-Keyboard. Auf Pachets Improvisation antwortet das PC-Programm unmittelbar mit ähnlichen Klängen.
    Ein zweites Beispiel? Hinter dem scheinbar magischen Wechselspiel zwischen Musiker und Maschine steckt pure Mathematik. Doch vor den technischen Details erklärt der Wissenschaftler erst einmal die Grundidee seines PC-Programms.
    "Bei großen Schöpfern wie Picasso, Paul McCartney oder auch Marcel Proust fällt auf: häufig spielen sie mit den Stilrichtungen ihrer Vorgänger. Sie beherrschen sie aus dem FF."
    Pachet sieht die Kreativität darin, aus dem Alten durch Verbiegen etwas Neues zu schaffen. Der erste Ansatz, diesen schöpferischen Prozess mittels Software zu erreichen, war ein vor Jahren von Pachet entwickeltes Programm, 'Continuator' getauft, das Musikvorgaben autonom, nach dem Zufallsprinzip beantwortet. Jetzt ging er einen Schritt weiter. Denn der Forscher wollte ein Werkzeug für gezielte Kompositionen, für Werke in derselben Stilrichtung. Darauf zielt die Software Flowmachines ab.
    Das Programm Flowmachines kann unterschiedliche musikalische Stile erkennen. Die Software arbeitet hauptsächlich mit Midi - vom Musik-Keyboard oder von einer Midi-Datenbank für Jazz und Klassik. Die Software kann mittlerweile auch Audio-Daten verarbeiten, aber dieser Prozess ist weitaus komplexer.
    "Die Software zählt unter anderem die Töne und Akkorde der Musik, die ich vorgebe. Sie erstellt Sequenz-Daten. Diese Daten werden dann zu einem Computer-Modell verarbeitet. Und das dient der Software als Rahmen, wenn es die Melodie automatisch weiterführt."
    Pachets Arbeit basiert auf sogenannten Markov-Ketten: Rechenmodellen, mit denen der russische Mathematiker Andrei Markov im 19. Jahrhundert die Wahrscheinlichkeitstheorie einläutete. Dank Markov-Ketten lässt sich beispielsweise das Verhalten von Menschen in der Kantinen-Warteschlange ebenso abschätzen wie die Entwicklung des Börsenkurses. François Pachet hingegen arbeitet mit den sogenannten kontrollierten Markov-Ketten, Markov constraints, damit die frei entwickelte Musik nicht in die Beliebigkeit abgleitet, sondern zum Beispiel auf einem vorgegebenen Ton endet.
    Als Vorlage für die Software dient ein Musikstück oder, noch besser, viele Musikstücke eines Komponisten. Das funktioniert übrigens auch mit Literatur. Das Programm kann Texte weiter dichten und als Nebeneffekt versuchen, Plagiate aufzudecken.
    Doch bleiben wir bei der Musik. Mit ein paar Mausklicks verleiht François Pachet dem Jazz-Klassiker Giant Steps von John Coltrane einen völlig anderen Stil. Das Programm Flowmachines setzt die Jazzmelodie neu um: mit den typischen Stilelementen von Richard Wagner.