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Flüchtlingssituation in Libyen
"Die EU hat eine große menschenrechtliche Verantwortung"

Der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster hält ein Ende der Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache für notwendig. Es gebe massive Menschenrechtsverletzungen. Das Thema sei bei der Libyen-Konferenz nicht nachhaltig angesprochen worden, dennoch könne die EU aktiv werden, sagte er im Dlf.

Dietmar Köster im Gespräch mit Sarah Zerback |
Such- und Rettungsmission im Mittelmeer vor der libyschen Küste am 27. Januar 2018
Von der See gerettete Menschen würden in Libyen in Gefängnislager gebracht, sagte Dietmar Köster (SPD) im Dlf. Die Zustände dort seien unmenschlich. (dpa / picture alliance/ Laurin Schmid / SOS MEDITERRANEE)
Sarah Zerback: Der Bürgerkrieg in Libyen ist schon längst kein lokaler Konflikt mehr und Europa von den Folgen betroffen, auch weil sich Libyen zum Haupt-Transitland für Flucht und Migration entwickelt hat – mit unmenschlichen Zuständen für die Menschen vor Ort. Nach der Libyen-Konferenz prüft jetzt die Europäische Union, wie sie dazu beitragen kann, dass die vereinbarten Schritte von Berlin auch umgesetzt werden. Ein Anfang wäre es ja, endlich eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Das sieht auch die Kanzlerin so:
O-Ton Angela Merkel: "Wir haben ja wirklich Zeiten erlebt, in denen haben die Europäer nicht mit einer Stimme gesprochen. Aber dadurch, dass jetzt natürlich sich auch die Teilnehmer Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Russland, auch die Türkei darauf verständigt haben, einen wirklich neuen Impuls zu dem Waffenstillstand zu geben, ist das jetzt auch für die Europäer sehr viel leichter gewesen, sich hier in eine Richtung auszurichten. Oder anders herum: Auch Europa hat dazu beigetragen, dass wir diesen Erfolg so verzeichnen konnten. Deshalb habe ich da ein viel besseres Gefühl als vor einem oder zwei Jahren."
Zerback: Ob das wirklich gelungen ist, das können wir jetzt besprechen mit dem SPD-Europaabgeordneten Dietmar Köster. Er ist außerdem Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Europäischen Parlaments. Guten Morgen, Herr Köster!
Dietmar Köster: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: Eine gemeinsame Libyen-Politik der Europäer – hat der Gipfel da gestern wirklich den Durchbruch gebracht?
Köster: Ja. Es ist gelungen, sich auf einen ersten Schritt zu verständigen. Dieser erste Schritt ist vor allen Dingen im Interesse der Menschen in Libyen. Eine Million Menschen in Libyen hungern, Hunderttausende Libyer sind auf der Flucht und auch Hunderttausende Flüchtlinge aus den afrikanischen Staaten sitzen in Lagern, die gefoltert, missbraucht, vergewaltigt werden. Die Voraussetzung, um die Lebenssituation der Menschen in Libyen und der Flüchtlinge zu verändern, ist, dass die Waffen schweigen, und von daher ist das ein erster Schritt. Man muss das vorsichtig einschätzen, inwieweit diese Vereinbarungen dann auch in der Realität tragen, und von daher kann man diesen ersten Schritt nur begrüßen.
"EU kann eine konstruktive Rolle spielen"
Zerback: Bisher wird die EU ja eher als Macht kritisiert, die das Chaos in Libyen sogar noch vergrößert hat, weil Uneinigkeit herrscht, da noch nicht mal Deutschland und Frankreich lange Zeit auf einer Seite standen. Was macht Sie denn optimistisch, dass das jetzt tatsächlich bei allen angekommen ist?
Köster: Ja, in der Tat. In der Vergangenheit war es so, dass die Europäische Union keine gemeinsame Außenpolitik entwickeln konnte. Italien und Frankreich haben unterschiedliche Kriegsparteien unterstützt. Aber das scheint nun mit gestern ein Stück weit überwunden und von daher glaube ich, dass man in der Europäischen Union da einen wichtigen Schritt zu einer gemeinsamen Außenpolitik getan hat, und von daher bin ich eigentlich ganz optimistisch, dass es auch gelingen kann, dass die Europäische Union eine konstruktive Rolle hier spielen kann. Was allerdings besonders hervorzuheben ist, dass die Europäische Union auch eine große menschenrechtliche Verantwortung hat. Nach wie vor ist Libyen, ist das Mittelmeer die tödlichste Außengrenze in der Welt. Seit 2000 sind im Mittelmeer über 35.000 Kinder, unbegleitete Minderjährige, Frauen und Männer ertrunken, und das muss gestoppt werden. Dieser Aspekt ist mir ein bisschen zu kurz gekommen in der ganzen Debatte.
"Es ist nicht nachhaltig angesprochen"
Zerback: Da höre ich heraus, dass der Gipfel gestern für die Zustände der Flüchtlinge und Migranten in dem ja inzwischen wichtigsten Transitland für die Flucht nach Europa nicht so viel gebracht hat?
Köster: In der Erklärung gibt es wohl auch einen Punkt, in dem auf die humanitäre Lage und auf Menschenrechtsverletzungen hingewiesen wird. In der Erklärung wird auch darauf hingewiesen, dass jene, die für Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen, an Zivilisten verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Von daher ist da das Thema angesprochen. Aber es ist nicht nachhaltig angesprochen. Was ich aber hervorheben möchte ist, dass die Europäische Union von sich aus auch handeln kann, um einen Schritt zur Lösung dieser humanitären Krise zu leisten, indem man einfach ein ziviles Seenotrettungsprogramm für das Mittelmeer organisiert und aufhört, zum Beispiel zivile Seenotrettungsorganisationen zu kriminalisieren.
Zerback: Da sind Sie ganz auf der Linie des Bundesaußenministers, höre ich heraus. Der hat jetzt angekündigt, über die EU-Rettungsmission Sophia im Mittelmeer neu nachzudenken. Aber, Herr Köster, nachdenken kann man ja viel. Sehen Sie da wirklich eine ernsthafte Chance für ein Comeback?
Köster: Das ist dringend geboten. Sie haben ja im Vorbericht darauf hingewiesen, dass die Europäische Union ein dringendes Interesse daran hat.
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"Es gibt hier massive Menschenrechtsverletzungen"
Zerback: Ja, Herr Köster. Das haben wir verstanden! Aber noch mal die Frage: Sehen Sie wirklich eine Chance? Geboten ist es, aber ist es auch realistisch? – Ich will es noch mal präzisieren. Wir müssen uns ja nur Italien angucken. Die pochen auch auf eine neue EU-Mission, aber mit einem ganz neuen Mandat, und die wollen zum Beispiel verhindern, dass gerettete Migranten automatisch nach Italien kommen. Das ist ja ein, wenn nicht der Knackpunkt in der europäischen Migrationspolitik. Warum sollte der jetzt zu lösen sein?
Köster: Weil der Druck einfach stärker wird. Die Ursachen für Flucht und Migration sind nicht beseitigt. Von daher wird die Europäische Union sich zu einer Lösung verständigen müssen. Von daher wird es eine Lösung geben müssen. Wer Frieden in Libyen erreichen will, wer eine nachhaltige Perspektive für Libyen entwickeln will, für die Menschen dort, muss dafür sorgen, dass es dort eine Lösung gibt. Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die europäischen Mitgliedsstaaten sich nicht einig sind. Wir im Europäischen Parlament haben ja schon lange gefordert, dass es einen gemeinsamen Verteilungsmechanismus geben muss zwischen den Mitgliedsstaaten. Es können nicht nur die Erstankunftsländer verantwortlich sein für die humanitären Herausforderungen, für die Flüchtlinge, die in den Ländern ankommen. Das muss geregelt werden. Das haben wir schon im Europäischen Parlament beschlossen, aber es war bisher so, dass die Mitgliedsstaaten dieses nicht auf den Weg gebracht haben, und wir werden im Europäischen Parlament den Druck erhöhen, dass es einen gemeinsamen solidarischen Verteilungsmechanismus gibt. Das wäre ein Europa der Solidarität, für das wir uns als Sozialdemokraten jedenfalls stark machen. Diese Vereinbarung, die da jetzt stattgefunden hat, ist ein erster wichtiger Schritt.
Zerback: Jetzt ist es ja so: Trotz des Bürgerkriegs in Libyen, der ja schon seit fast zehn Jahren tobt, will die EU weiter mit der libyschen Polizei und der Grenzpolizei zusammenarbeiten, oder auch mit der umstrittenen sogenannten libyschen Küstenwache. Muss die jetzt beendet werden? Muss die EU die beenden?
Köster: Ja. Ich bin der Auffassung, dass es hier massive Menschenrechtsverletzungen gibt. Es wurde in den Medien darüber berichtet, dass ein sudanesischer Flüchtling auch von den Behörden in Libyen erschossen wurde. Das ist nicht zu akzeptieren. Es gibt Push Backs. Der UNHCR fordert die libysche Küstenwache auf, diese widerrechtlichen Push Backs, diese Rückführung von Flüchtlingen nach Libyen zu stoppen, weil die Menschen dort in unmenschliche Verhältnisse zurückgebracht werden. Diese Gefängnislager, in denen Flüchtlinge festgehalten werden, sind vollkommen unmenschlich. Die müssen aufgelöst werden und es müssen Camps errichtet werden, unter der Verantwortung der Vereinten Nationen, und das wäre ein Weg, den die Europäische Union auch unterstützen sollte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.