Ueckermünde-Ost, ein Stadtteil mit drei- bis fünfgeschossigen DDR-Plattenbauten. Hier lebt die syrische Flüchtlingsfamilie X [Der Name der Familie wird aus Schutzgründen nicht genannt.] Mein erster Besuch – im März. An der Tür die drei Söhne.
Bei einem arabischen Kaffee erzählte der Vater, dass die Familie in der syrischen Stadt Aleppo gelebt habe – ca. 30 Kilometer entfernt von der türkischen Grenze und eine berüchtigte Hochburg von Extremisten der Nusra-Front und des Islamischen Staates (IS). Wer sich in Deutschland auch nur ein wenig für Weltnachrichten interessiert, kann an den Bildern der völligen Zerstörung Aleppos nicht vorbei gekommen sein.
Ende 2013 hätten sie alles verkauft, was sich verkaufen ließ, und sich über die Türkei und nach fünf Monaten in Bulgarien auf den Weg nach Deutschland gemacht. Doch noch gefährlicher als diese Flucht wäre es gewesen, zu Hause zu bleiben, ergänzte die Mutter.
Immer mehr Krieg. Blutvergießen. Ihr Haus: zerstört. IS-Kämpfer sagten zu ihrem Mann: 'Entweder du machst mit bei uns, oder wir nehmen dir die Kinder weg!'." Sie – eine Lehrerin – und die Kinder durften nicht mehr zur Schule. "Alles gefährlich in Syrien."
"Vielleicht kommen auch welche, die nicht gut sind"
Jetzt schreiben wir Ende September 2015, und der älteste Sohn berichtet:
"Wir sind ein Jahr und fünf Monate in Ueckermünde."
Die Jungs gehen zur Schule, sprechen gut Deutsch, haben viele Freunde. Im März lebten sie noch in großer Angst, für das Asylverfahren nach Bulgarien zurückgeschickt zu werden. Diese Angst ist in letzter Zeit etwas geringer geworden. Eine andere dafür größer. Denn gebannt verfolgt auch diese Familie den inzwischen erheblich angewachsenen und zugleich teils unkontrollierten Zustrom weiterer Flüchtlinge und Migranten nach Europa. Echte Kriegsflüchtlinge, wie sie selbst es sind, sollten weiterhin gut in Europa, in Deutschland aufgenommen werden.
"Das sind auch Menschen wie wir", übersetzt einer der Söhne, was die Eltern sagen. Aber:
"Vielleicht kommen auch welche, die nicht gut sind, aus Syrien. Manche möchten von Syrien nach Deutschland kommen, aber manche dürfen nicht. Die sind nicht gut. Die sind schrecklich."
Der Vater glaubt, einen IS-Kämpfer wiederzuerkennen
Dann holt der Vater sein Smartphone hervor und zeigt auf zwei Fotos. Auf dem einen sieht man einen jungen Mann mit Bart und in martialischer Camouflage-Kampfkleidung. Er hält ein Gewehr in die Luft. "Dieser Mann – in Aleppo", sagt Herr X und deutet nun auf das zweite, vermutlich aktuellere Bild. "Jetzt: Türkei und Europa." Er ist sich sicher, den Mann wiederzuerkennen.
"Dieser Mann nicht gut. Er hat viele Leute getötet."
Nun gebe er sich als Flüchtling aus: Bart ab, Gewehr weg, T-Shirt und Jeans an. Tatsächlich sehen sich die Männer auf beiden Fotos ähnlich. Doch ist es ein und dieselbe Person?
"Ja", nickt Herr X aus Aleppo auf die Frage, ob er den Mann denn persönlich kenne.
"Der hat getötet in Syrien."
Der Mann habe auch ihn und seine Familie bedroht, falls er sich nicht dem fundamentalistischen Islamischen Staat anschließen würde.
"Er hat gesagt, er will uns töten."
Im Wohnzimmer der Familie ist die Furcht davor greifbar, dass sich einige Verbrecher und einstige Peiniger als Flüchtlinge getarnt nach Europa, gar Deutschland aufgemacht hätten. Die Familie in Ueckermünde hält engen Kontakt mit Verwandten und Freunden aus Aleppo, die ebenfalls die Augen offenhalten und Informationen austauschen. Der Familienvater ist sich sicher, dass sich der Mann vom Foto in Europa befindet. Aber, so übersetzt es sein Sohn:
"Er weiß nicht, wo er ist, in Deutschland oder Bulgarien."
– "Und wo hat dein Papa das Foto her? Wo hat er es gesehen?"
"Von Facebook."
Bei konkretem Verdacht: zur Polizei gehen
Was sollen wir tun? Die Familie am Oderhaff sagt, diese Frage würden sich immer mehr Flüchtlinge aus syrischen und irakischen Gebieten stellen, in denen der Islamische Staat und andere Fundamentalisten wüten. Der deutsch-arabische Dolmetscher Dr. Hikmat Al-Sabty aus Rostock empfiehlt die Polizei.
"Ich finde die Polizei eine sehr gute Lösung. Ansonsten: Dass man ein vertrauliches Gespräch mit denen führt, die wirklich diesen Menschen kennen – ich würde gern agieren, wenn ich gebraucht würde. Wir können nicht Menschen, die damals als Tyrannen Menschen gequält haben, heute in unserem System einschließen. Sie müssen zur Rechenschaft gezogen werden und ich bin für jeden Hinweis dankbar – ein Name oder ein Bild, die helfen, diese Menschen im Fokus zu behalten."
Hikmat Al-Sabty war vor 35 Jahren vor der irakischen Baath-Partei unter Saddam Hussein geflohen. Mittlerweile Deutscher, arbeitet er als Abgeordneter im Schweriner Landtag und kümmert sich vor allem um die Themen Bildung, Migration und Flucht. Der Linke mag seiner Parteiführung in ihrem Kurs der nahezu schrankenlosen Flüchtlingspolitik nicht widersprechen. Aber auch er weist die Furcht vor eingeschleusten Extremisten und Verbrechern nicht von der Hand.
"Ich kann Ihnen sagen, der Islamische Staat ist klüger, als wir gedacht haben. Der IS nutzt viele Menschen aus, gerade auch über soziale Netzwerke, dass die Menschen eingeschleust worden sind. Ich habe keinen Fall jetzt erlebt, aber das könnte möglich sein, dass unter den vielen Flüchtlingen Menschen auch vom Islamischen Staat sind. Wir brauchen aber Indizien. Wir müssen ganz vorsichtig mit dieser Sache umgehen und diese Menschen erkennen. Und ich wäre wirklich dankbar über jeden, der mir Hinweise darüber gibt."
Hikmet Al-Sabty will sich mit der aus Aleppo geflohenen Familie in Verbindung setzen. Ansonsten nehmen auch die Polizeidienststellen im Land begründete Hinweise entgegen.