Viele Flüchtlinge wollten arbeiten und kämpfen, meinte Grillo. "Die haben von Anfang an gelernt zu kämpfen. Die Wirtschaft tut bereits sehr viel und bietet Ausbildungsplätze und Integrationspraktika an." Allerdings brauche es Zeit, bis jemand die Sprache lerne.
Grillo äußerte sich zudem besorgt über die wachsende Fremdenfeindlichkeit im Ostdeutschland. "Die Industrie ist verunsichert. Verunsicherung ist immer negativ, man überlege sich genau, wo man investiere. In Ost-Deutschland hat sich wirtschaftlich viel getan seit der Wende. Das kommt aber nach und nach zum Stillstand. Die Entwicklung und das Wachstum gehen runter." Deutschland sei ein Exportland. Die Afd sei gegen die Globalisierung, und das sei schlecht für die Wirtschaft.
Grillo betonte auch, Bundeswirtschaftsminister Gabriel habe Unrecht. Das Freihandelsabkommen TTIP sei nicht tot. "Die deutsche Industrie steht für eine offene Gesellschaft und für den freien Warenhandel. Wir können uns in Deutschland nicht einigeln, das wäre schädlich." Er betonte: "Wir müssen weiter offen bleiben, wir müssen für den globalen Handel kämpfen."
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Ulrich Grillo. Er ist Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des BDI. Guten Morgen, Herr Grillo!
Ulrich Grillo: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Fremdenfeindlichkeit als sehr ernste Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung im Osten. Hat die Industrie inzwischen Angst vor Investitionen in den neuen Bundesländern?
Grillo: Ich stimme Frau Gleicke zu. Wir haben nicht unbedingt Angst, aber die Wirtschaft, die Industrie ist verunsichert, und Verunsicherung ist immer negativ. Das heißt, man überlegt sich sehr genau, wo man investiert, und da gibt es im Moment schon erhebliche Probleme.
"Wenn Verunsicherung da ist, gibt es eben keine Neuinvestitionen"
Dobovisek: Wie diskutieren Sie das mit Ihren Mitgliedern im Verband?
Grillo: Na ja. Wir diskutieren schon und überlegen, was zu tun ist, was gemacht werden kann, was die Politik machen kann, was die Wirtschaft machen kann. Wir sind Optimisten, wir schauen nach vorne. Wenn man nach hinten schaut: Es hat sich in Ostdeutschland viel getan seit der Wende, wirtschaftlich auch getan. Das kommt nach und nach zum Stillstand. Wir müssen auf die Stärken der Regionen setzen. Wir müssen die wirtschaftlichen Vorteile dort fördern. Wir müssen mehr in die Infrastruktur investieren, regionale Wachstumszentren schaffen, und das ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik und Wirtschaft und da müssen wir aktiv werden. Wir dürfen nicht zuschauen.
Dobovisek: Lässt sich denn die aktuelle Zurückhaltung, die Sie nennen, auch quantifizieren? Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?
Grillo: Wir haben noch keine konkreten Zahlen, weil es ja eine Entwicklung ist. Und wissen Sie, Wirtschaftsentwicklung und Investitionsentwicklung ist nicht sprunghaft, sondern das ist ein schleichender Prozess. Und wenn Verunsicherung da ist, dann gibt es eben keine Neuinvestitionen. Das heißt, die wirtschaftlichen Aktivitäten gehen langsam zurück. Deswegen gibt es auch keine großen Zahlen, die auch zu Bedrohungen führen.
Die Arbeitslosigkeit steigt im Osten etwas, ist nach wie vor höher als im Westen. Und noch mal: Die Entwicklung und das Wachstum, was sich im Osten ja beschleunigt hat, geht runter. Insofern gibt es da schon Entwicklungen, die eigentlich einen besorgen müssen.
"Nationalismus, Protektionismus - das ist Gift für uns"
Dobovisek: Wir können den Fokus auch weiten, das Problem globaler betrachten. Da stellt der Internationale Währungsfonds fest: Politischer Populismus sei weltweit ein ernstes Wachstumshemmnis, Trump in den USA zum Beispiel, der Brexit Großbritanniens, rechtsextreme Parteien all überall wie die AfD in Deutschland. Wie äußert sich das Wachstumshemmnis, von dem der IWF da spricht, aus Ihrer Sicht?
Grillo: Ich stimme auch da dem IWF voll zu. Wir haben zwar in Deutschland gerade gute Wachstumszahlen, relativ gute Entwicklungen, aber wir müssen nach vorne schauen und da sind die Themen Nationalismus, Protektionismus, Abschottung gegen globalen Handel, gegen freien Handel, all das ist eine Bedrohung für den Welthandel, aber auch für die deutsche Wirtschaft. Deutschland steht inmitten Europas, wir sind ein Exportland, wir leben vom Freihandel, und wenn dann diese Tendenzen erscheinen in den USA, in den Niederlanden, in Frankreich, aber auch bei uns vor Ort, bei der AfD, die auch gegen freien Handel ist, die auch gegen Globalisierung ist, das ist Gift für uns, habe ich gesagt, und das ist schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung mittel- und langfristig. Da mache ich mir große Sorgen.
Dobovisek: Schadet der Erfolg der AfD der deutschen Wirtschaft?
Grillo: Der Erfolg der AfD, bisher schadet er nicht, aber er sorgt für Verunsicherung. Verunsicherung - noch mal: Das habe ich vorhin gesagt -, Verunsicherung bei Investoren ist schwierig. Das wird zur Investitionszurückhaltung führen. Wir stellen ja fest, das kann man jetzt nicht nur der AfD anlasten, aber wir stellen fest, dass die privaten Investitionen, die Investitionen der Unternehmen in Deutschland zurückgehen. Das hat viele Gründe, aber das hat auch den Grund der Verunsicherung, und da müssen wir aufpassen.
"TTIP ist nicht tot"
Dobovisek: Geht es da um den Ruf Deutschlands?
Grillo: Na ja, um den Ruf, um die weitere Entwicklung, was passiert in Deutschland, was passiert mit Nationalismus, werden wir uns in unsere Grenzen zurückziehen, oder bleiben wir eine offene Gesellschaft. Das ist etwas, was ich heute auch auf dem Tag der deutschen Industrie anspreche. Die deutsche Industrie steht für eine offene Gesellschaft, für freien Handel, für Warenaustausch, für globalen Handel. Deswegen müssen wir auch das Thema TTIP weiterhin vorantreiben. Aber insgesamt: Wir können uns nicht in Deutschland einigeln. Das als weltweit führende Exportnation wäre sehr schädlich.
Dobovisek: Sich auf sich selbst zu besinnen, auf das eigene Land, sich ins Nationale zurückzuziehen, wie Sie es nennen, liegen darin vielleicht auch Chancen, um später wieder gemeinsam stark zu sein?
Grillo: Auf sich selbst, auf seine Stärken zu besinnen, das ist immer gut. Aber deswegen müssen wir uns nicht in unsere Grenzen zurückziehen. Wir müssen weiter offenbleiben, wir müssen weiter für den freien Handel, für den globalen Handel kämpfen. Wir müssen versuchen, unsere Standards, unsere Regeln, unser "Made in Germany", worauf wir stolz sein können, was unsere Stärken sind, das müssen wir in die Welt hinaustragen. Da dürfen wir nicht die Grenzen hochziehen und das mit uns selber ausmachen.
Dobovisek: Sie haben kurz das Stichwort TTIP genannt, das Stichwort Freihandel, das Abkommen mit den USA. Nun hat Sigmar Gabriel als Bundeswirtschaftsminister gesagt, es lebe CETA, aber TTIP ist tot. War das ein Fehler?
Grillo: Na ja. Ich schätze den Bundeswirtschaftsminister, aber da hat er unrecht. TTIP ist nicht tot. Gerade in diesen Tagen wird wieder TTIP verhandelt und ich bin weiterhin der Meinung, nicht nur, weil ich TTIP für richtig halte, sondern auch, weil es läuft, dass TTIP weiter gehandelt wird. TTIP wird seit drei Jahren verhandelt. CETA hat immerhin fünf Jahre gedauert. Das heißt, wenn wir nach drei Jahren noch keine fertigen Ergebnisse haben, dann ist das nicht verwunderlich. Nach wie vor ist das ein wichtiges Thema und ich kämpfe dafür und ich bin der festen Überzeugung, dass die Regeln und Standards, die wir in Deutschland haben, dass wir versuchen sollten, die auch in der Welt, in dem Welthandel zu verankern. Bevor die Asiaten oder andere die Regeln diktieren, sollten wir das doch besser machen.
BDI will mit Bürgerdialogen Aufklärung leisten
Dobovisek: Aber offensichtlich reicht die Kritik an TTIP ja weit über die der AfD hinaus. Es ist ein sehr breiter Querschnitt durch die Gesellschaft, der TTIP ablehnt. Das muss doch die Industrie dann auch einsehen oder akzeptieren.
Grillo: Ja, die Industrie sieht das auch ein und die Industrie nimmt das sehr ernst und sagt, diese Kritik nehmen wir ernst, diskutieren wir auch, sie führt auch zu Verbesserungen. Man darf nicht vergessen, gerade bei CETA, was da schon alles durch Kritik auch verbessert worden ist, gerade das Thema Investitionsschutz. Wir müssen mehr in den Dialog treten. Wir haben seitens des BDI Bürgerdialoge angefangen. Wir müssen mehr mit dem Bürger reden, wir müssen die Sorgen nehmen, wir nehmen sie auch ernst. Und da, wo Änderungen erforderlich sind, werden wir sie auch durchführen, werden sie auch der europäischen Verhandlungskommission nahebringen. Aber wir müssen vor allen Dingen aufklären. Ich meine, da ist viel Verunsicherung da, da ist auch gezielt Verunsicherung geschürt worden, und da versuchen wir, überall da, wo es geht, den Bürger aufzuklären. Das ist wichtig und das haben wir vielleicht, wir, ich sage mal, Wirtschaft/Politik, am Anfang nicht ernst genug genommen. Da gab es vielleicht nicht ausreichend genug Transparenz. Aber das verbessern wir jetzt.
Dobovisek: Kommen wir zurück zu einem der Ausgangspunkte in der Verunsicherung, über die wir jetzt gesprochen haben. Wir kommen zur Flüchtlingskrise. Wir erinnern uns an die anfängliche Euphorie in der Politik. Die Flüchtlinge seien die Lösung des Fachkräftemangels, hieß es da vor einem Jahr. Auch die Industrie klang recht positiv. So sprach Daimler-Chef Zetsche vor gut einem Jahr von einer möglichen Grundlage für ein neues Wirtschaftswunder. Inzwischen wissen wir, die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist nicht einfach, kostet Zeit und Geld. Warum fällt es der Industrie so schwer, Flüchtlinge zu beschäftigen?
20 Prozent der Flüchtlinge in Jobs bringen - das wäre Riesenerfolg
Grillo: Die Wirtschaft, die Industrie hat immer gesagt, dass wir unterscheiden müssen zwischen der qualifizierten Zuwanderung, die unser Demografie-Problem lösen kann, und der Flüchtlingszuwanderung. Ja, es dauert lange, da haben wir auch gelernt. Es dauert länger, die Flüchtlinge zu integrieren.
Was wir feststellen ist, dass insbesondere natürlich Sprachbarrieren da sind. Wir müssen mehr investieren, wir müssen Sprachkurse anbieten, vermehrt anbieten, wir müssen Integrationskurse anbieten. Das dauert natürlich, bis einer die deutsche Sprache lernt. Das dauert leider und da müssen wir Geduld haben. Dann die Integration in die Ausbildung, auch das dauert. Die deutsche Industrie, die deutsche Wirtschaft tut sehr viel. Man darf nicht vergessen, dass wir Tausende von Mitarbeitern unentgeltlich freigestellt haben, dass wir auch Ausbildung anbieten, dass wir Integrationspraktika anbieten. Aber da dürfen wir nicht ungeduldig werden, das dauert, das ist langatmig. Es gibt Schätzungen. Wir haben mal gesagt, wenn wir in den nächsten fünf Jahren 20 Prozent der Flüchtlinge in den Arbeitsprozess integriert haben, dann haben wir einen guten Job gemacht. Das hört sich wenig an, das ist aber aus heutiger Sicht eine Riesenzahl.
Dobovisek: Machen wir es mal an einem praktischen Beispiel fest. Sie sind ja nicht bloß Industriepräsident, Herr Grillo, sondern selber Unternehmer, Chef der Grillo-Werke in der Metall- und Chemieindustrie mit rund 1.500 Beschäftigten, wenn ich das richtig gelesen habe.
Grillo: Ja.
Dobovisek: Wie viele Flüchtlinge haben Sie bereits in Ihrem Team?
Grillo: Wir haben vor allen Dingen einen jungen Mann, um den ich mich persönlich kümmere. Der ist aus Sri Lanka geflüchtet, mit 16 angekommen, hat sich hochgearbeitet, ein unglaubliches Beispiel, hat gekämpft. Er hat dann sich beworben, hat bei uns eine Lehre gemacht, war auch hier Ausbildungssprecher dann, hat die Lehre mit 2,3 abgeschlossen. Ich fördere ihn persönlich. Wir haben ihm jetzt einen Studienplatz besorgt, er möchte Maschinenbau studieren, aber auch parallel noch mal einen Sprachkurs, damit die Sprache vollkommen wird.
Es gibt Beispiele, wo wir eine ganze Menge tun, und das macht persönlich Freude. Das ist auch für unsere Auszubildenden, die wir sonst haben, ein tolles Zeichen, denn viele Flüchtlinge wollen arbeiten, wollen in die Ausbildung, wollen sich weiterbilden und kämpfen, und die haben natürlich von Anfang an gelernt zu kämpfen. Das können wertvolle Mitarbeiter werden. Aber das ist ein langer Prozess, bis man dahin kommt.
"Geld ist nicht das Problem"
Dobovisek: Und kostet auch Geld und Sie als Unternehmer wollen ja auch mit anderen Prioritäten an Ihre Arbeit gehen.
Grillo: Na ja, gut, wenn es Geld kostet. Aber ich sage mal, das wichtigste, was wir haben, ist Mitarbeiter, gut ausgebildete Mitarbeiter, und rein demografisch jetzt vielleicht nicht in der Region Duisburg, aber rein demografisch werden wir da Lücken haben in der Zukunft. Deswegen müssen wir investieren, müssen wir in die Ausbildung der Mitarbeiter investieren, und das tun wir ja auch bei unseren eigenen Mitarbeitern. Das Thema Geld ist nicht das Problem, sondern wir müssen es richtig abwickeln. Und erfolgreiche Migration, erfolgreiche Flüchtlingsintegration, das können wir grundsätzlich in Deutschland, und dann bin ich der Meinung, das werden wir auch hinkriegen.
Dobovisek: Wir haben vorhin viel über Unsicherheiten gesprochen. Ist die deutsche Industrie stark genug, all das zu leisten, die Integration zu leisten sozusagen?
Grillo: Die deutsche Industrie ist stark. Ob sie stark genug ist? Eigentlich bin ich sicher, das kann ich bejahen. Aber die deutsche Industrie kann das nicht alleine machen; die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, muss investieren noch mal in Sprachkurse, muss bürokratische Regulierungen erleichtern, und dann werden wir es gemeinsam hinbekommen. Wer soll es denn hinbekommen, wenn nicht Deutschland, das ja an sich eine starke Wirtschaft, eine starke Industrie ist und hat.
Zeitarbeit sei ein wichtiges, flexibles Instrument
Dobovisek: Welche bürokratischen Hemmnisse meinen Sie?
Grillo: Nein. Ich meine, es ist schon viel passiert ehrlicherweise, muss man auch sagen. Was uns noch am Herzen liegt, ist die komplette Abschaffung des Beschäftigungsverbots in der Zeitarbeit, weil das ein flexibles Instrument ist. Wir müssen Flexibilität aufweisen, um die Flüchtlinge zu integrieren, und das wäre noch eine Maßnahme, die wir durchführen sollten, die Politik.
Dobovisek: Wird sich die SPD nicht drüber freuen - Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Ich danke Ihnen für das Interview.
Grillo: Sehr gerne, Herr Dobovisek.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.