"Schau selbst, schau rein, in die Toilette – sehr schlimm dort."
Mohammed, 38 Jahre alt, syrischer Bürgerkriegsflüchtling: Die Landeserstaufnahmestelle im baden-württembergischen Ellwangen ist, nach wochenlanger Flucht, seine erste Station in Deutschland. Mohammed war sich bewusst, dass die erste Zeit in Deutschland nicht einfach wird. Aber die Zustände in der Landeserstaufnahmestelle empfindet er als grenzwertig. Auf jede Mahlzeit warte er zwei Stunden, morgens, mittags, abends. Übertrieben hat Mohammed damit nicht:
"Bei der Essensausgabe müssen die Asylsuchenden drei Mal am Tag bis zu zwei Stunden anstehen", heißt es in einem an das Stuttgarter Regierungspräsidium adressierten Brandbrief, gemeinsam verfasst von allen Sozialverbänden, die bei der Betreuung der Flüchtlinge in Ellwangen mitarbeiten, angefangen beim Roten Kreuz über Malteser-Hilfsdienst bis hin zu Diakonie und Caritas. Ihr gemeinsames Urteil: Die Zustände in der Landeserstaufnahmestelle sind unhaltbar.
Sicherheitskräfte: Überfordert und hilflos
"Turnhalle – 350 Betten, eine Toilette. Wasser steht ab morgens. Menschen müssen ihre Notdurft auf dem Gelände verrichten. Flüchtlinge finden ihr zugewiesenes Bett bereits belegt vor. Teilweise teilen sich fünf Personen zwei Matratzen."
Zwar wollen die Sozialverbände über die Inhalte ihres Brandbriefes hinaus keine weiteren Stellungnahmen abgeben, ließ der DRK-Kreisverband Aalen auf Anfrage wissen. Doch auch so spricht das Schreiben eine klare Sprache: Ein "So-geht-es-nicht-mehr-weiter" zieht sich wie ein roter Faden durch den Brief, berührt dabei auch einen Punkt, über den offizielle Stellen ungern reden:
"Der Sicherheitsdienst ist dauerhaft unterbesetzt und nicht in der Lage, die Hausordnung durchzusetzen. Das Sicherheitspersonal wirkt überfordert und hilflos. Teilweise äußern sich die Mitarbeiter sehr negativ über die Asylsuchenden und beschimpfen diese."
Die meisten Punkte, die der Brandbrief anspricht, gehen auf ein und dieselbe Ursache zurück – nämlich auf den rasanten Anstieg der Flüchtlingszahlen auch in Ellwangen:
"Wir haben zusätzlich zwölf Notzelte und zwei Großzelte aufgestellt, um die 1.000 Menschen, die wöchentlich zu uns kommen, unterzubringen. Aber wir sind jetzt an ein Limit angekommen, wo wir sagen müssen: Mehr geht nicht."
"Ein Brand in den überfüllten Hallen und Zelten hätte katastrophale Folgen"
Unterwegs mit Berthold Weiß, Leiter der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen: Alle Räume in dem Kasernengebäude stehen voll mit Doppelstockbetten; vor den Toren die weißen Zelte mit Notbetten, Kleiderbündel und Reisetaschen auf dem Boden. Erst seit Anfang April, so Weiß, sei die Erstaufnahmestelle überhaupt in Betrieb:
"Wir haben am 1.4. begonnen bei Null. Am 1.6. Tausend. Am 1.7. 1.500. Ende Juli haben wir die 2.000er Marke gerissen. Und irgendwann im August waren wir bei über 3.000."
Schließlich mussten sich über 4.000 Flüchtlinge die Räumlichkeiten teilen – Überlastung pur, schließlich der Hilferuf der Helfer: Wir können nicht mehr!
"Der Brandschutz ist nicht gegeben. Ein Brand in den völlig überfüllten Hallen und Zelten würde katastrophale Folgen haben."
Ein weiterer Auszug aus dem Brief der Sozialverbände. Erst dieser heftige und verzweifelte Aufschrei der Helfer hat die Verantwortlichen wachgerüttelt, auch den grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann:
"Ich habe durchaus Verständnis, dass das Probleme macht. Ich muss aber immer wieder sagen: Wir können nicht zaubern. Wir tun alles, was irgendwie geht. Aber die Flüchtlinge, sie kommen – und wir müssen sie unterbringen. Wir können sie nicht auf der Straße, den Bürgersteigen lassen. Alles andere ist besser, wenn auch nicht gut."
Missstände in Ellwangen: Bald auch bundesweit?
Trotzdem erscheinen auch dem Ministerpräsidenten die Zustände in Ellwangen derart unhaltbar, dass er sich zu einer Eilentscheidung gezwungen sieht:
"Der Chef des Lenkungskreises hat mir versichert, dass Ellwangen entlastet wird und wir die woanders unterbringen."
Doch auch woanders wird es eng. Die Missstände, die in Ellwangen zutage getreten sind, werden bei weiterhin hohen Flüchtlingszahlen zum bundesweiten Problem. Und ob der Flüchtlings-Gipfel zur Stunde Lösungen bringt, bleibt abzuwarten.