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Flüchtlingsunterkünfte
Gewalt gegen Christen

Werden Christen in Flüchtlingsunterkünften von ihren muslimischen Mitbewohnern bedroht und verletzt? So berichten es Betroffene aus Berlin. Auch die Kirche kennt solche Fälle. Bei der Senatsverwaltung hingegen ist das Problem nicht bekannt.

Von Susanne Arlt |
    Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes gehen am 01.12.2014 auf das Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Bahrenfeld.
    Sicherheitsdienstes auf dem Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Bahrenfeld: Immer wieder kommt es in den Unterkünften zu Übergriffen. (Bodo Marks / dpa)
    Ali steckt der Schock noch in den Gliedern. Als der 27-jährige seinen Freunden die 30 Zentimeter lange Wunde auf seinem Rücken zeigt, sind auch sie entsetzt. Er habe in seiner Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Tempelhof geschlafen, als ihm nachts plötzlich jemand ein Messer oder eine scharfe Glasscherbe in den Rücken rammte, erzählt Ali. Wer das gewesen sei, wollen seine Freunde wissen.
    Der 27-Jährige zuckt mit den Schultern. Er habe niemanden erkennen können, sagt Ali. Aber er hat eine Vermutung. Am Tag zuvor hatte er eine Auseinandersetzung mit einer Handvoll muslimischer Männer. Sie hätten ihm verboten, in der Bibel zu lesen und sie anschließend zerrissen. Sie würden es nicht ertragen, dass er zum Christentum konvertieren möchte, glaubt Ali:
    "Sie glauben fest daran, was im Koran steht. Und dort steht eben geschrieben, sollte ein Muslim dem Islam den Rücken zukehren, dann muss er getötet werden. Und wenn sie jemanden wie mich sehen, der als Muslim auch noch zum Christentum konvertieren will, dann wird ihr Hass noch viel größer. Sie tun alles, um mir das Leben dort schwer zu machen."
    Bedrohungen vom Wachpersonal
    Der 27-Jährige wirkt traumatisiert, wischt sich verstohlen mit dem Handrücken über die Augen. In seine Unterkunft traue er sich nicht mehr zurück, sagt Ali. Auch wenn die Polizei jetzt ermittelt. Etwa 500 Flüchtlinge betreut die Tamaja GmbH in einem Hangar, der sich auf dem früheren Flughafen Berlin-Tempelhof befindet. Trotz mehrmaligen Nachfragens will sie offenbar keine Stellung zu dem Vorfall geben. Behrad, der ebenfalls zum Christentum konvertieren will, hat in seiner Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Dahlem ebenfalls schlechte Erfahrungen gemacht. Mit den muslimischen Bewohnern habe er keine Probleme, dafür mit dem arabischstämmigen Wachpersonal.
    "Als sie bei uns im Zimmer Bierflaschen entdeckt haben, sind sie ganz aggressiv geworden, haben mit ihren Füßen gegen die Flaschen gekickt. Aber richtig schlimm wurde es, als sie dann auch noch das Heilige Buch auf unserem Tisch gesehen haben. Da haben sie uns angeschrien und gesagt, die Bibel ist in Gottes Namen verboten. Sie hier zu lesen ist verboten."
    Für Pfarrer Gottfried Martens von der Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz sind beide Vorfälle kein Einzelfall. Iranische und afghanische Taufbewerber berichteten ihm fast täglich, dass sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit in den Unterkünften beleidigt, bedroht, bedrängt würden.
    "Wenn sie beispielsweise dabei erwischt werden, dass sie in der Bibel lesen oder wenn sie gar ihr Taufkreuz tragen, dann bekommen sie sehr deutliche Worte zu hören. Es geht bis dahin, dass sie in der Küche stehen und jemand kommt rein und zeigt ihnen ein Enthauptungsvideo und sagt, du bist der nächste."
    Unabhängige Beschwerdestellen einrichten?
    Martens betont, natürlich verhielten sich nicht alle Muslime so aggressiv gegenüber Konvertiten. Seit dem Sommer aber habe die Gewalt zugenommen. Fragt man bei der zuständigen Senatsverwaltung für Soziales nach, ist das Problem dort nicht bekannt. Auch die Polizei kann keine statistischen Angaben dazu machen. Pfarrer Martens plädiert dafür, persische und arabische Christen in separaten Heimen unterzubringen. Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, lehnt dies dagegen ab. Per se stellt für sie die Religionszugehörigkeit keinen Schutzgrund dar. Erst dann, wenn dies im Einzelfall nachgewiesen wird. Bislang aber kenne sie keine Fälle religiöser Ausgrenzung, sagt Barbara Eschen.
    "Wir sehen es als unsere, aber auch Sache des Staates an, die Religionsfreiheit eines jeden Menschen zu schützen und das bedeutet auch im Zusammenleben. Das heißt, die Unterkünfte müssen so gestaltet sein, dass einerseits jeder einen Privatraum hat und das ist zurzeit nicht überall der Fall. Und dass andererseits aber auch die Toleranz von Anfang an gegenseitig geübt wird."
    Ganz ähnlich sieht es auch Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte und betont, der effektivste Gewaltschutz bestehe darin, Menschen nicht in Massenunterkünften unterzubringen. Solange dies angesichts der Flüchtlingssituation nicht möglich sei, müssten dringend Schutzkonzepte her, allen voran unabhängige Beschwerdestellen.
    "Wir sind der Meinung, dass so etwas auch bundesweit und landesweit etabliert werden sollte für Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte. Dass hier also ein Beschwerdemechanismus entwickelt wird unter Einbeziehung auch der zivilgesellschaftlichen Organisationen, dass hier Gefährdungslagen diskutiert werden und soweit erkannt auch berücksichtigt werden."
    Laut EU-Aufnahmerichtlinie hätte Deutschland diese Beschwerdestellen längst etablieren müssen. Flüchtlingen wie Ali hätten sie geholfen, sich in Deutschland wieder sicherer zu fühlen.