"Es ist der erste Auslandsbesuch des neuen französischen Präsidenten noch am Tag seines Amtsantritts."
15. Mai 2012. Am Morgen ist François Hollande zum französischen Staatspräsidenten vereidigt worden. Schon am Nachmittag steigt er in den Regierungsflieger, um seinen Antrittsbesuch in Berlin zu absolvieren. Doch dann:
"Für François Hollande endete der Tag in Paris turbulent. Den Flug nach Berlin zu Angela Merkel musste er wegen eines Blitzeinschlags abbrechen und das Flugzeug wechseln."
François Hollande erreicht Berlin anderthalb Stunden später als geplant, Angela Merkel musste sich gedulden. Blitzeinschläge in Flugzeuge – die absolute Ausnahme? Mitnichten, meint Jean-Pierre Wolf, Physiker an der Universität Genf:
"Statistisch gesehen wird jedes Flugzeug einmal im Jahr von einem Blitz getroffen. Dann muss es jedes Mal gewartet oder sogar repariert werden, was die Fluggesellschaften einen Haufen Geld kostet. Und jeder kennt die folgende Situation: Da wird die Maschine nach Rom plötzlich nach Neapel umgeleitet, weil es in Rom gerade gewittert und man dort nicht landen kann. Auch das kostet eine Menge Geld."
Blitze gezielt vom Himmel holen
Da wäre es praktisch, man könnte Blitze gezielt vom Himmel holen. Denn in Flughafennähe ist das Blitzrisiko besonders groß, wenn die Maschinen noch am Boden sind beziehungsweise kurz nach dem Starten oder bei der Landung die Wolkendecke durchstoßen. Oben in der Luft dagegen sind sie zumeist über den Wolken oder können ein Gewitter einfach umfliegen. Im Prinzip lassen sich Blitze schon heute gezielt vom Himmel fischen, und zwar, indem man eine kleine Rakete in die Gewitterwolke schießt. An dieser Rakete ist ein langer Draht befestigt, an dem der Blitz kontrolliert zu Boden fahren kann. Damit ist dann zumindest ein Bereich der Wolke entladen und für eine Zeit lang entschärft. Nur:
"Das Problem mit den Raketen: Sie fallen wieder runter. Würden Sie damit einen Flughafen schützen wollen, müssten Sie bei jedem Gewitter mehrere Raketen in den Himmel schicken – und die würden Ihnen dann womöglich auf den Kopf fallen. Ich denke nicht, dass das die Sicherheit eines Flughafens wirklich verbessern würde."
Deshalb setzt Wolf auf eine andere Methode: den Laser. Speziell auf Infrarotpulse, die zwar unvorstellbar kurz sind – der millionste Teil einer Milliardstel Sekunde – die aber eine enorme Leistung besitzen, eine Leistung im Terawatt-Bereich.
"Diese Laserpulse sind so intensiv, dass sie die Eigenschaften der Luft verändern. Sie ionisieren die Luft und erzeugen dadurch einen elektrisch geladenen Kanal. Dieser Kanal hat nur einen Durchmesser von einem zehntel Millimeter, kann aber sehr lang sein, bis zu 100 Meter. Also eine Art ultraintensiver Spaghetti."
2008 erste Tests
Zu sehen sind diese elektrisch leitenden Kanäle als helle weiße Striche am Himmel. Auch wenn sie nicht bis zum Boden reichen, sollten sie eine elektrisch aufgeladene Gewitterwolke entladen können, indem sie einen Blitz auslösen, der dann gezielt zu Boden fährt, und zwar in Richtung eines normalen Blitzableiters, etwa eines Mastes. 2008 testeten Wolf und seine Leute das Konzept. Mit einem deutsch-französischen Laser namens Teramobile unternahmen sie einen dreimonatigen Feldversuch, und zwar auf einem 3.200 Meter hohen Berg in New Mexico.
"Die Leute dort versprachen uns, dass es jeden Tag um 2:00 Uhr ein Gewitter geben würde. Also waren wir frohen Mutes, genug Gelegenheiten zu haben, unser System ausprobieren zu können. Doch es kam anders: In den drei Monaten gab es nur zwei Gewitter."
Ausgemachtes Forscherpech also. Doch immerhin: Die beiden Gewitter gaben ein interessantes Resultat her.
"Wir konnten zwar Blitze zwischen den Wolken auslösen, aber keine Blitze zu Boden leiten."
Der Grund: Die durch den Laser geschaffenen Kanäle brachen viel zu schnell wieder in sich zusammen, als dass sie einen Blitz hätten zu Boden leiten können. Der damalige Laser konnte nur zehnmal pro Sekunde in die Luft feuern – offenbar zu selten. Doch seit 2008 hat die Lasertechnik einige Fortschritte gemacht – weshalb Jean-Pierre Wolf nun einen neuen Anlauf wagt, und zwar mit einem verbesserten Laser, der nicht nur zehn, sondern tausend Pulse pro Sekunde abschießen kann. Erste Versuche im Labor liefen vielversprechend, sagt Wolf.
"Im Labor ist der Effekt dramatisch: Hier sind die elektrischen Kanäle um den Faktor 10 stabiler als früher. Nun wollen wir in einem EU-Projekt prüfen, ob dasselbe auch in der Erdatmosphäre passiert. Konkret planen wie einen Test in den Schweizer Alpen, auf dem Berg Säntis mit seinem hohen Sendemast."
Dieser Mast ist ein regelrechter Magnet für Blitze – ein ideales Umfeld für das Forscherteam, an dem auch ein großer Laserhersteller beteiligt ist sowie Airbus als möglicher Anwender der Technik. In zweieinhalb Jahren soll das Experiment in den Schweizer Alpen starten. Und danach sollte klar sein, ob der Laser als Blitzableiter tatsächlich eine Zukunft hat.